Megaphon

Von Guido Diesing

Es bleibt das Thema der Stunde: Wie wird Künstliche Intelligenz (KI) unser Leben und unsere Welt verändern? Für die Erkenntnis, dass die neue Technologie auch die Musikwelt umkrempeln wird, genügen wenige Minuten auf einer beliebigen Videoplattform, wo gerade fröhlich mit der Möglichkeit herumgespielt wird, charakteristische Stimmen bekannter Künstler zu klonen und dazu zu bringen, scheinbar Songs zu singen, die sie nie gesungen haben. Viele der bizarren Hervorbringungen wie Johnny Cashs Stimme, die den Text von „Barbie Girl“ singt, oder Frank Sinatra, der sich Michael Jacksons „Thriller“ vornimmt, rufen dieselbe Mischung aus Faszination und Grusel hervor, wie es auch Zombiefilme vermögen.

Nun könnte man aus Jazzsicht sagen: „Geht uns nichts an. Ohne Individualität und spontane Kreativität geht bei uns gar nichts.“ Doch das ist mehr als blauäugig. Was im Zusammenwirken zwischen Mensch und Maschine schon alles möglich ist, war beim diesjährigen Elbjazz-Festival in Hamburg zu sehen, wo erstmals der jazzki-Award vergeben wurde. Beim Preisträgerkonzert erstaunten die unterschiedlichen Herangehensweisen der Prämierten: Die Gruppe aiThentic präsentierte einen von KI geschriebenen Pseudo-Jazz-Standard, das Projekt First Encounter setzte auf die Live-Interaktion mit der Maschine, und die erstplatzierte Künstlerin Portrait XO arbeitete mit einem KI-Modell ihrer eigenen Stimme. Laut Veranstaltern soll der Preis „aufklären über das, was KI kann und was nicht, Bedenken zerstreuen, ohne die negativen Seiten zu verschweigen, und somit eine Debatte in der Gesellschaft ermöglichen.“ Große und wichtige Ziele.

www.jazzki.de

Ein Bereich, der sich durch KI definitiv verändern wird, ist die Komposition von Filmmusik. Aber noch werden reale Menschen für ihre Leistungen ausgezeichnet: beim Deutschen Filmmusikpreis am 24.11. im Puschkinhaus in Halle (Saale). Neben Preisen in mehreren Kategorien, darunter auch ein Nachwuchspreis, werden je ein internationaler und ein nationaler Ehrenpreis vergeben. Spätentschlossene müssen sich beeilen: Noch bis zum 3.9. können sich Komponist*innen bewerben und ihre Arbeiten einreichen.

deutscherfilmmusikpreis.de


Nach der erfolgreichen Premiere 2022 geht das EmsJazz Festival Greven in die zweite Runde. Acht Konzerte an drei Tagen versprechen vom 8.-10.9. im Grevener Ballenlager ein erlesenes und abwechslungsreiches Programm. Neben heimischen Acts wie Masaa, Jens Düppe, dem Pulsar Trio und dem Jakob Manz Projekt spielen internationale Größen wie der englische Tubaspieler Theon Cross und das Daniel García Trio.

www.emsjazz.de

enjoyjazz 2011 Konzert – Jane Birkin am 24.10.11 in der Heidelberger Stadthalle
© Rinderspacher

 

Sängerin, Schauspielerin, Stilikone – Jane Birkin war eine vielseitige Künstlerin. Ihren internationalen Durchbruch hatte die gebürtige Londonerin in den 60er Jahren mit einer Nebenrolle in Antonionis Film Blow Up. Weltweit bekannt wurde sie 1969 durch das von vielen als provokant empfundene Lied „Je t’aime … moi non plus“ mit ihrem damaligen Lebensgefährten Serge Gainsbourg, mit dem sie auch nach dem Ende der Beziehung weiter zusammenarbeitete. Neben der Mitwirkung in rund 70 Filmen veröffentlichte sie in unregelmäßigen Abständen Arbeiten als Sängerin, zuletzt 2020 das Album Oh! Pardon tu dormais … Am 16. Juli starb Jane Birkin mit 76 Jahren in Paris.

15 Jahre sind ein stolzes Alter für ein Label, vor allem, wenn es sich stilistisch bewusst zwischen alle Stühle setzt. Yellowbird hat’s geschafft und seinen Geburtstag im Juli mit einer CD-Präsentation gefeiert, die nicht passender hätte ausfallen können. Mit Marc Ribot’s Ceramic Dog spielte im Münchener Ampere eine Band, die nicht nur selbst konsequent Genres ignoriert, sondern auch seit der Labelgründung bei Yellowbird zu Hause ist. Glückwunsch und weiter so!

Sogar fünf Jahre länger gibt es bereits Motéma Records – eine Herzensangelegenheit in doppeltem Sinne: Der Name, den Gründerin Jana Herzen ihrem Label gegeben hat, bedeutet in Lingala Herz. Im Motéma-Katalog finden sich u.a. das Debüt von Gregory Porter, Alben von Geri Allen, Donny McCaslin und Charnett Moffett, mit dem Jana Herzen verheiratet war. Nach dessen Tod im April 2022 ruhte die Label-Arbeit vorübergehend, jetzt erwacht Motéma zum 20-jährigen Bestehen wieder zum Leben.

Lakecia Benjamin © Elizabeth Leitzell


Eine junge Motéma-Künstlerin, die Pianistin Shuteen Erdenebaatar, gehört auch zum Line-up, wenn vom 17.-29.10. in Nürnberg zehn Jahre NUEJAZZ gefeiert werden. Zum runden Jubiläum des Festivals, das gerade mit dem Nürnberger Kulturpreis ausgezeichnet wurde, treten u.a. Cory Henry, MonoNeon, Lakecia Benjamin und Kassa Overall auf. Ein deutsch-französischer Jubiläumsabend unter dem Motto „European Jazz Companions“ verspricht interessante Begegnungen. Neu im Festivalprogramm sind Auftritte der Preisträger des Talentwettbewerbs NUECOMER Jazz Award.

https://www.nuejazz.de/de

Auch in Burghausen werden wieder Talente gesucht. Für den 14. European Young Artists‘ Jazz Award 2024 sind erstmals auch Solokünstler*innen und Duos zugelassen. Den Erstplatzierten der Endausscheidung am 12.3.2024 winken ein Preisgeld von 5000 € und Auftritte beim Eröffnungskonzert der Burghauser Jazzwoche sowie in Münchens neuem Szeneclub Bergson. Die Bewerbungsfrist endet am 31.10.

https://www.b-jazz.com

Kleinschmidt,Gaby © Kumpf

 

Auf ihre Initiative kamen viele amerikanische Jazzstars von Miles Davis und Ornette Coleman über Sun Ra bis zu Ron Carter nach Europa. Gaby Kleinschmidt setzte sich mit großem Einsatz für den Jazz ein und schreckte auch nicht davor zurück, ihr Haus zu beleihen, wenn sie Geld brauchte, um eine Tournee zu finanzieren. Als Frau und Pionierin war sie ein Leuchtturm in einer bis heute von Männern dominierten Branche. Am 30. Juli ist die Jazzpromotorin mit 84 Jahren gestorben.

Anja Lechner, Pablo Marquez © Nanni SchifflDeiler

 


Erstklassige Jazz- und Weltmusik-Konzerte in intimer Atmosphäre und bester Akustik – das bleibt das Erfolgskonzept der Konzertreihe acoustics, die an drei Sonntagen jeweils um 15 Uhr in die Schlosskirche Diersfordt bei Wesel einlädt. Am 10.9. gastieren Anja Lechner (vc) und Pablo Márquez (g) mit Schubertliedern ohne Gesang, es folgt der aserbaidschanische Pianist Isfar Sarabski (24.9.). Den Abschluss machen am 1.10. Claire Antonini (theorbe) und Renaud García-Fons (b) mit Erkundungen zwischen Barock und Orient.

http://acoustics-konzerte.de

Das nennt man ein erfülltes Berufsleben: Sänger und Entertainer Tony Bennett konnte sich in mehr als 70 Bühnenjahren über mehr als 50 Millionen verkaufte Tonträger und 19 Grammys freuen. Aus der Diskografie des Crooners alter Schule ragen aus Jazzsicht zwei Alben mit Bill Evans heraus. Bennett vermochte es, sich durch Kooperationen mit Künstlern wie Elvis Costello, Elton John, Stevie Wonder, Amy Winehouse und zuletzt Lady Gaga immer wieder neue Publikumskreise zu erschließen und selbst nach einer Alzheimer-Diagnose 2016 bis ins hohe Alter aktiv zu bleiben. Er starb kurz vor seinem 97. Geburtstag.

German Jazz Trophy: Steve Turre in der Spardawelt Eventcenter bei der jazzopen Stuttgart 2023

 

JAZZTHETIK präsentiert

Zum Auftakt der JazzOpen in Stuttgart wird traditionell die German Jazz Trophy an Musiker*innen verliehen, die durch ihr Lebenswerk dem Jazz neue Impulse gegeben haben. In diesem Jahr wurde der US-amerikanische Posaunist Steve Turré ausgezeichnet und konnte 15.000 € und eine Statue des Bildhauers Otto Hajek mit nach Hause nehmen. Vorher bedankte er sich aber noch mit einem Konzert seiner Gruppe Generations.

Der Deutsche Musikrat (DMR) sorgt sich um die Zukunft des Musik- und Kulturjournalismus und fürchtet eine Abwärtsspirale durch die unklaren wirtschaftlichen Perspektiven in der Medienlandschaft. Der DMR tritt für bessere Nachwuchsförderung, Aus- und Weiterbildung und öffentlich finanzierte Modelle eines unabhängigen Journalismus ein. Schließlich habe der Kulturjournalismus gesellschaftliche Bedeutung: „Kultur lebt von der Begegnung, Reflexion und konstruktiven öffentlichen Kritik und trägt ihrerseits ihre grundlegenden Impulse zu großen Teilen auch über die Medienlandschaft in die Gesellschaft hinein. Ein lebendiges Musikland Deutschland braucht daher einen starken und zukunftsfähigen Musikjournalismus.“

www.musikrat.de

Wie begründet die Sorgen des DMR sind, zeigen Gerüchte über Pläne beim Bayerischen Rundfunk, die Kulturberichterstattung im kommenden Jahr um sieben Stunden pro Woche zu kürzen. „Diese erneuten Kürzungen sind für die Kultur ein Abstellgleis, Kultur wird zum reinen Nischenprodukt“, heißt es dazu in einer im Sender kursierenden Kritik an den Sparplänen. Der BR hält dagegen, die Inhalte der wegfallenden Sendungen würden nicht gestrichen, sondern lediglich in andere Sendungen integriert. Inwiefern das irgendwelche Spareffekte haben soll, bleibt in der BR-Stellungnahme offen.


Ein Festival, das seine Gäste nicht vor quälende Entscheidungen zwischen parallel angesetzten Konzerten stellt, ist das Trans4JAZZ in Ravensburg und Weingarten. An den fünf Abenden vom 8.-12.11. gibt es je ein Konzert. In wechselnden Venues treten auf (in chronologischer Reihenfolge): Joy Denalane, Heiri Känzig’s Travelin‘, Fieh, GoGo Penguin und Oscar Jerome.

www.jazztime-ravensburg.de

Zu den vielen Leidtragenden der Corona-Pandemie zählten Chöre, Orchester und Amateurbands, die bis heute unter Mitglieder- und Zuschauerschwund infolge der Probenbeschränkungen und Auftrittsverbote leiden. Für den Wiederaufbau der Amateurmusiklandschaft hat der Bundestag einen Fonds gegründet, der Ensembles mit Fördersummen zwischen 2.500 und 75.000 helfen soll, besondere Projekte zu finanzieren. Der Bundesmusikverband Chor und Orchester wertet den Amateurmusikfonds als „historischen Meilenstein für die über 14,3 Millionen Menschen, die in Deutschland in ihrer Freizeit Musik machen“. Förderanträge können bis zum 10.10. gestellt werden. Alle Infos unter:

www.bundesmusikverband.de/amateurmusikfonds

© Erin McKinney

 

Tristan Honsinger entwickelte sich nach klassischem Studium zu einem kreativen und eigenwilligen Cellisten der frei improvisierten Musik. In den USA geboren, zog er mit Mitte 20 nach Amsterdam und wurde als Gründungsmitglied des ICP Orchestra zu einer wichtigen Stimme der europäischen Szene. Er arbeitete u.a. mit Derek Bailey, Steve Lacy, Cecil Taylor und Gianluigi Trovesi. Tristan Honsinger starb am 5. August mit 73 Jahren.

Rebecca Trescher © Dovile_Sermokas

 


Ein Fest für Holzbläserfans wird der Konstanzer Jazzherbst vom 31.10.-4.11., bei dem keins der sieben Konzerte ohne Saxofon oder Klarinette auskommt. Im Mittelpunkt steht eine Residenz der Komponistin und Klarinettistin Rebecca Trescher, die dreimal zu sehen sein wird: im Duo mit Giorgos Tabakis (g), mit ihrem New Shapes Quartet und – als krönender Abschluss – mit ihrem Tentet. Die beste Gelegenheit, einen umfassenden Blick auf das Schaffen einer faszinierenden Künstlerin zu werfen. Weitere namhafte Festivalsaxofonisten sind Bernd Konrad, Christoph Irniger, Emile Parisien und Lömsch Lehmann, der sich im Trio Lehmann Debus Ditzner dem Werk Richard Wagners widmen wird.

www.jazzclub-konstanz.de

Ein starkes Zeichen der Unterstützung der Münchner Jazzszene war in diesem Jahr die Verleihung des BMW Young Artist Awards durch den namengebenden Autohersteller und die Stadt. In Valentin Renner (dr), Karoline Weidt (voc) und Luca Zambito (p) wurden drei junge Schlüsselfiguren der lokalen Szene ausgezeichnet. Neben dem Preisgeld, das auf 5.000 € erhöht wurde, werden die Geehrten mit Auftritten in der Münchner Unterfahrt (im September) und bei den Leipziger Jazztagen (im Oktober) belohnt.

www.unterfahrt.de

Marilyn Mazur

 


Dort, bei den Leipziger Jazztagen, sind sie in guter Gesellschaft. Vom 14.-21.10. bespielt das Festival wieder zahlreiche Bühnen in der ganzen Stadt und präsentiert Musiker*innen der lokalen, deutschen und internationalen Szene. Große Namen, aber auch Newcomer spielen im Opern- und Schauspielhaus, in Kirchen, aber auch in Szeneclubs und Off-Locations. Mit dabei sind u.a. Tigran Hamasyan, Marilyn Mazur, Eric Schaefer, der MDR-Rundfunkchor sowie die Bigband Spielvereinigung Sued in einem Projekt mit dem Vokalsextett Sjaella.

https://www.jazzclub-leipzig.de/leipziger-jazztage

Ernst Ludwig „Luten“ Petrowsky © Hans Kumpf

 

Ernst Ludwig „Luten“ Petrowsky, 1933 in Güstrow geboren, war Exponent des freien Jazz in der DDR. Von all den Musiker*innen und Bands, die sich einer Zusammenarbeit mit ihm erfreuen konnten, muss man vor allem das legendäre Zentralquartett nennen, um seinen Rang zu markieren. Enge Verbindung mit seiner Herkunft und ein enormer Freiheitsdrang waren prägende Merkmale seines ruhelos-eruptiven Improvisationsstils. Dass er unter anderem den Albert-Mangelsdorff-Preis, 2022 endlich den Deutschen Jazzpreis und für sein mit verschiedenen Bands eingespieltes Spätwerk den Preis der Deutschen Schallplattenkritik bekam, sei am Rande erwähnt. Luten Petrowsky starb im Juli in einem Berliner Pflegeheim.

25 Jahre enjoyjazz. Pressekonferenz am 19.07. 2023 mit Programmvorschau
Bild zeigt : Rainer Kern, Macher und Seele des enjoyjazz Festivals
© Manfred Rinderspacher

 


Silberjubiläum: Bereits zum 25. Mal bringt vom 2.10.-4.11. das Festival Enjoy Jazz die Rhein-Neckar-Region zum Klingen. Zur Feier des Jahres gönnt sich das Festival mit Moor Mother und Terri Lyne Carrington gleich zwei Artists in Residence. Unter den vielen großen auftretenden Namen sind Aki Takase, Arild Andersen, Archie Shepp, Nils Petter Molvær u.v.m.

https://enjoyjazz.de

Eicher

 

Der wohl weltweit einflussreichste Deutsche im Jazzbereich ist kein Musiker, sondern ein Labelchef und Produzent. ECM-Gründer Manfred Eicher feierte im Juli seinen 80. Geburtstag. Mit seiner Klangästhetik, in der viel Raum für leise Töne ist, hat er insbesondere den europäischen Jazz stilbildend geprägt. Die Konsequenz, mit der er seine Produktionen von der Musik über das Klangbild bis zur Covergestaltung als Gesamtkunstwerk konzipiert, wurde bereits so häufig gelobt, dass eine Auflistung seiner Auszeichnungen jeden Rahmen sprengen würde. Und das Beste: Er wirkt alles andere als schaffensmüde.

Charles Lloyd

 

Ähnliches, was die Schaffenskraft und die Zahl der wohlverdienten Auszeichnungen angeht, kann man über Charles Lloyd sagen. Jetzt wurde der 85-jährige Saxofonist von der Jazz Journalists Association mit der Auszeichnung für sein Lifetime Achievement in Jazz geehrt.


Was haben die Städte Dortmund, Bochum, Lünen, Unna, Lippstadt und noch einige andere gemeinsam? Sie liegen am Westfälischen Hellweg und sind deshalb Spielorte des Festivals „Take5 – Jazz am Hellweg“, das am 17.9. beginnt und sich mit 50 Konzerten an 30 Orten bis nach Weihnachten hinzieht. Zu hören sind u.a. Bob Degen, Götz Alsmann, Vadim Neselovskyi und die WDR Big Band.

https://www.jazz-am-hellweg.de

Sinéad O’Connor

 

Ihr Leben war geprägt von Brüchen und Kehrtwenden, von Erfolgen und Katastrophen, von Kompromisslosigkeit und Problemen. Die irische Sängerin Sinéad O’Connor bleibt vor allem mit ihrer Version der Prince-Komposition „Nothing Compares 2 U als empfindsame Sängerin mit kahlrasiertem Kopf und ausdrucksstarkem Gesicht im Gedächtnis. Später machte sie sich mit unversöhnlicher Kritik an der katholischen Kirche Feinde unter christlichen Fundamentalisten. Musikalisch blieb sie ihr Leben lang auf der Suche. Sie starb Ende Juli mit 56 Jahren in London.