Megaphon

Von Jan Kobrzinowski

Mehr denn je leben viele, die Kultur schaffen, in prekären Verhältnissen. Dennoch spielte die Kultur im Bundestagswahlkampf eine untergeordnete Rolle. Fleißig wurde vor der Wahl, zu Pandemie-Zeiten, der Wert der Kultur beschworen. Hier also: „Die Parteien im Test“ – auch nach der Wahl. Fühlen Sie mit uns „der Politik“, ob in Regierung oder Opposition, in der kommenden Zeit tüchtig auf den kulturellen Zahn.

Die SPD versprach verbesserte soziale Sicherung von Kulturschaffenden, die zur Corona-Zeit bis auf die Grundsicherung „durchgereicht“ wurden. Alles soll „institutionell und strukturell besser werden“, dazu verspricht man, die Künstlersozialkasse für Krisensituationen besser vorzubereiten. Und (oha!): Mindestgagen und Ausstellungshonorare sollen fest etabliert werden. Die CDU/CSU steht auch kulturell für das „Weiter so wie bisher“ und will „erfolgreiche Kulturpolitik konsequent fortsetzen“, so das Wahlprogramm. Zur Grundsicherung der Kulturschaffenden sagt die Union, dass „Sicherungssysteme etwas Selbstverständliches“ werden müssten. Von konkreten Plänen außer der Fortsetzung von bestehenden Förderprogrammen war aber nicht die Rede. Für die Grünen sind Künste „von zentraler Bedeutung für die Selbstreflexion der Gesellschaft, den Zusammenhalt und die Persönlichkeit der und des Einzelnen“. Öffentliche Kulturförderung solle „partizipativ, inklusiv und geschlechtergerecht“ sein. Freie und etablierte Szene sollen die gleiche Wertschätzung erfahren. Man möchte einfachen Zugang zu Kulturangeboten für alle und Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern. Es sollen „prekäre Arbeitsverhältnisse in privaten und insbesondere öffentlichen Kulturinstitutionen“ überwunden werden. Für die Dauer der Corona-Pandemie soll Kulturschaffenden ein Existenzgeld von monatlich 1.200 Euro gezahlt, die KSK „finanziell gestärkt“ und die Mitgliedschaft erleichtert werden. Die FDP sieht die Kulturförderung als „eine Investition in die Zukunft unseres Landes“, die Betonung liegt allerdings auf einer „sich selbsttragenden Vermarktung“. Man tritt für „Förderprogramme auch für kleinere Unternehmen und Solo-Selbstständige“, Vereinfachung von Förderanträgen etc. ein. Zur sozialen Absicherung von Kulturschaffenden bleibt das Programm der Liberalen eher schwammig. Vieles soll eher den Gerichten als der Politik überlassen werden. Die Linke setzt sich für kommunale Kultur- und Vereinsförderung sowie urbane Clubkultur ein. Kunst und Kultur sollen „helfen, unterschiedliche Perspektiven auf unser gesellschaftliches Miteinander sowie auf Missstände zu werfen“. Museen, Staatstheater, Opernhäuser sollen sich ihrem Publikum intensiver zuwenden, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. Kulturschaffende sollen rein in die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung und eine Monatspauschale von mindestens 1.200 Euro erhalten. Und die AfD? Die faselt weiter von „Identität“ und „deutscher Leitkultur“: „Unsere deutsche Sprache, unsere Werte, unsere Geschichte und unsere Kultur ist eng verbunden mit dem Christentum, der Aufklärung, unseren künstlerischen und wissenschaftlichen Werken“. Man wirft mit Schlagworten wie „Multikulturalismus“, „Kulturrelativismus“, dem „Neben- und Gegeneinander von Parallelgesellschaften“ in einer „fragmentierten Gesellschaft“ um sich und beschwört am Ende Konflikte herauf, „die kaum noch beherrschbar“ seien. (Auf Basis der guten Zusammenfassung der Kulturprogramme der Parteien auf www.deutschlandfunk.de – Dank an Jürgen König!)

Die Jugend jazzt auch in Zeiten von Corona. Dafür sorgt das alternative Förderkonzept der Bundesbegegnung Jugend jazzt on tour. Der „Jugend jazzt Truck“ fährt seit September durch die Bundesländer, und zwar nach folgendem (Rest-)Fahrplan (ohne Gewähr): 25.11. Brandenburg, 26.11. Berlin, 3.12. Hessen, 4.12. Rheinland-Pfalz, 9.12. Nordrhein-Westfalen, 10.12. Niedersachsen, 13.1. Schleswig-Holstein, 14.1. Hamburg. Baden-Württemberg und Bayern: in Vorbereitung.

www.musikrat.de

Zum Glück für die Nachwelt wurde der Auftritt von Angel Bat Dawid & Tha Brothahood auf dem Berliner Jazzfest festgehalten und dokumentiert. Dafür erhielt die Klarinettistin, Keyboarderin und Sängerin nun einen der Jahrespreise der deutschen Schallplattenkritik. Für die Longlist 4/2021 waren 260 Neuerscheinungen nominiert, darunter im Bereich Jazz: Joëlle Léandre, George Lewis, Pauline Oliveros, Kuu!, Lyle Mays, Michael Mantler, Toine Thys, Kenny Garrett, Roy Hargrove, Mulgrew Miller, Andrew Cyrille, Brandee Younger, Ches Smith, Dave Liebman & Richie Beirach, Julian Lage.

www.schallplattenkritik.de/jahrespreise

Aynur Doĝan © Muhsin Akguen

 

Als Aynur Doğan in Fatih Akins Doku Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul in Erscheinung trat, ging ob dieser Ausnahmeerscheinung ein Raunen durch die World-Music-Gemeinde, inzwischen kennt man die kurdische Sängerin hierzulande z. B. durch ihre Präsenz auf dem Morgenland Festival. Nun erhielt sie den JAZZTHETIK präsentiert WOMEX 21 Artist Award. Den WOMEX 21 Professional Excellence Award gibt es für das Unterstützungsnetzwerk Global Music Match. GMM steht für inspirierenden Wissensaustausch von Musikexportbüros und Künstler*innen in 17 Ländern und Regionen weltweit.

www.womex.com/programme/awards/recipients

George Mraz © ACT/ Marc Dietenmeier

 

Warum riefen Leute wie Oscar Peterson, Bill Evans, Hank Jones und Tommy Flanagan in den 70ern gern George Mraz an, wenn sie einen Bassisten für ihr Trio brauchten? Weil dieser Mann jeder Jazzbesetzung mit ungebremster Musikalität zu wahrer Größe verhelfen konnte. Begriffe wie Top-Call-Bassist oder auch Musicians’ Musician klingen pragmatisch, aber auf Mraz trafen sie im besten Sinne zu. George wurde als Jiří Mráz 1944 in Písek, im damaligen „Protektorat Böhmen und Mähren“ geboren. Nachdem er sich mit 16 am Prager Konservatorium eingeschrieben hatte, studierte er fortan tagsüber klassische Musik und spielte nachts in den Jazzclubs der Stadt. Später, mit Umweg über München, landete er am Berklee College in Boston und bald schworen nicht nur Klaviertrio-Legenden auf den virtuosen, feintönenden und großartig swingenden Bassisten, sondern auch viele andere Jazzgrößen, darunter Dizzy, Joe Henderson, Joe Lovano, Benny Carter, Thad Jones/Mel Lewis. Eine vollständige Liste würde hier locker die Seite füllen. George Mraz starb am 16.9., eine Woche nach seinem 77. Geburtstag.

Camille Emaille @AKUT-Festival

 

Das AKUT-Festival im Mainzer Frankfurter Hof ist eines der wenigen Festivals, auf denen der „frei und sperrig gedachte Jazz“ sich austoben kann. AKUT 23 strotzt vor Persönlichkeiten, überwiegend aus Europa, die für Spielfreude und Lust am Experiment stehen, darunter Camille Emaille, Dikeman / Edwards / Lillinger, Philipp Gropper und Nik Bärtsch.

www.akut-festival.de

Dr. Lonnie Smith © Maarit Kytöharĵu

 

Dr. Lonnie Smith hörte sich in jungen Jahren die Platten von Jimmy Smith genau an und lernte auch von Brother Jack McDuff. Das führte zu frühen Aufnahmen mit George Benson und Lou Donaldson. Sein souliges Spiel auf der Hammond B-3 zeugte von seiner Liebe zum Rhythm & Blues, in späteren Jahren kamen Funk und Fusion hinzu und er arbeitete mit einer Vielzahl ungewöhnlicher Partner. Noch im März 2021 hatte Smith seine geniale Blue-Note-Aufnahme Breathe mit Gästen wie Iggy Pop veröffentlicht, nun im September raffte es ihn im Alter von 79 Jahren dahin. Der (selbst ernannte) Doktor, stets erkennbar an Turban und Ziegenbart, war ein bedeutender Stilist des Soul-Jazz und galt als Architekt der Acid-Jazz-Bewegung, die allzu gern seine groovenden Sounds sampelte.

Die Jazzszene in Esslingen ist legendär – und ebenso der Jazzkeller. 1957 wurde ein Jazzverein gegründet, zunächst zum Plattentausch. Das fand statt im denkmalgeschützten Keller der Bäckerei Hutter aus dem 15. Jahrhundert. Heute betreiben ihn Barbara Antonin und Claudia Leutner. Das alles und noch viel mehr erfährt, wer regelmäßig den Podcast Studio Gelbes Haus der Städtischen Museen Esslingen hört.

www.anchor.fm/museen-esslingen

Olivia Trummer © Roberto Cifarelli

 

Auf dem Gelände der Messe Freiburg findet im Januar (unter Einhaltung des gültigen Hygienekonzepts) die Internationale Kulturbörse Freiburg statt. Vom 23.-26.1. stellen sich Aussteller*innen der Bereiche Musik, darstellende Kunst und Straßentheater zum Branchentreffen ein. Ein umfangreiches Kurzauftrittsprogramm sowie Seminare und Vorträge werden die Sehnsucht aller nach Live-Events, Begegnung und persönlichem Austausch stillen.

www.kulturboerse-freiburg.de

Die Zürcher Kantonalbank fördert auch 2021 junge innovative Schweizer Bands mit dem ZKB Jazzpreis, vergeben im Zürcher Moods. Das Matthieu Mazué Trio gewann den mit 15.000 CHF dotierten 1. Preis, der 2. ging mit 5.000 an OORT CLOUD, Mirjam Hässig Ayé! sicherten sich den Publikumspreis. In der Jury: internationale Expert*innen, darunter Jaimie Branch, Lionel Friedli, Julie Henoch und Pierre Dugelay.

www.jazzpreis.ch

Zwar hat der Saxofonist Tony Lakatos die hr-Bigband verlassen, um sich in den Ruhestand zu verabschieden (Goodbye-Konzerte gab es am 14./15.10. im hr-Sendesaal), ob sich der gebürtige Ungar aber für immer aus dem Jazz zurückzieht, bleibt abzuwarten.

www.hr-bigband.de

Der mit 15.000 Euro dotierte Albert-Mangelsdorff-Preis geht an Aki Takase für Lebenswerk und Verdienste für den Jazz in Deutschland. Der Preis, gestiftet von GEMA-Stiftung, GVL und Förderungs- und Hilfsfonds des Deutschen Komponistenverbandes, wird jährlich von der Deutschen Jazzunion vergeben. Verleihung und Konzert am 5.11. im Rahmen des Jazzfests Berlin JAZZTHETIK präsentiert im Haus der Berliner Festspiele.

www.deutsche-jazzunion.de/auszeichnungen/albert-mangelsdorff-preis/

Vor der Bundestagswahl schaffte Kulturstaatsministerin Grütters schnell noch Fakten: Theatermacher Matthias Pees wird neuer Intendant der Berliner Festspiele. Pees, „ein renommierter Theater- und Festivalprofi“, löst ab September 2022 den zurückgetretenen Thomas Oberender ab. Die Festspiele realisieren MaerzMusik, Musikfest, Jazzfest Berlin, dazu Theatertreffen, vier Bundeswettbewerbe für junge Talente, Ausstellungen im Gropius-Bau und weitere Veranstaltungen in Berlin.

www.berlinerfestspiele.de

Pee Wee Ellis © David Weimann

 

James Browns musikalischer Direktor und als solcher einer der Erfinder des Funk war Alfred „Pee Wee“ Ellis. Der Godfather allerdings würdigte Ellis wenig als Musiker und verbuchte dessen Leistungen gerne für sich selbst. Daher war Pee Wee bald lieber mit Van Morrison, Blood, Sweat & Tears, George Benson, Marianne Faithfull und Lenny Kravitz unterwegs oder funkte als JB Horns mit seinen alten Weggefährten Fred Wesley und Maceo Parker, was das Zeug hielt. 2019 war er noch mit Ginger Baker und dessen Jazz Confusion auf Tour. Nun starb Pee Wee Ellis mit 80 Jahren.

Auand, italienisches Plattenlabel mit „Energie, Risiko und der Vorliebe für das Unerwartete“, wird 20 Jahre alt. Marco Valente, Bassist und Jazzenthusiast, begann mit einem Online-Shop für Jazzplatten und startete sein Label mit einem Album von Gianluca Petrella, dem Aufnahmen mit weiteren Preisträgern wie Francesco Bearzatti, Aldo Romano und nahezu der kompletten Improvisationsszene Italiens folgten. Die Zusammenarbeit mit US-Künstler*innen blühte, so dass man, als Auanders familiär zusammengeschweißt, das 10. Jubiläum dann schon in New York feiern konnte.

www.auand.com

Zum 10. Male wird der 2003 von Florian Gerster ins Leben gerufene Wormser Jazzpreis verliehen. Gewinner ist der Ludwigshafener Schlagzeuger, Vibrafonist, Komponist und Arrangeur Tobias Frohnhöfer. Das Preisgeld von 5.000 € stammt ausschließlich aus Spenden von Wormser Bürgern. Diesmal mit Corona-Zuschlag von 1.000 €, gespendet von der Jazzinitiative BlueNite und dem Jazzclub Rheinhessen.

www.bluenite.de/jazzpreis-allgemeines

Mikis Theodorákis © Guy Wagner

 

Was ich zu schreiben hatte, habe ich geschrieben.“ Als Komponist befand sich Míkis Theodorákis auf der Suche nach der universellen Harmonie, als Mensch nach seinen Leuten, seiner Heimat, als politischer Kämpfer zwischen Ideal und Wirklichkeit. Der große Musiker starb am 2.9. nach rund sieben Jahrzehnten künstlerischen Schaffens im biblischen Alter von 96 Jahren. Er war Komponist großer Orchester- und Chorwerke, von Volksmusik, die nicht nur griechische Massen bewegte, Schöpfer lyrischer und moderner Film- und Kammermusik, aber als „Stimme für die Freiheit“ auch Ikone des Widerstands. „Jetzt am Ende meines Lebens kann ich sagen, dass ich genau das gemacht habe, was ich machen wollte“, sagt ein Künstler, der in seinem Leben dreimal ins Exil musste, verfolgt, interniert und auch gefoltert wurde.

Dr. Ulrich Kurth © Wilfried Heckmann

 

Die westdeutsche Welt der improvisierten Musik verlor mit dem langjährigen WDR-Jazzredakteur und Leiter der Programmgruppe Musik bei WDR 3, Dr. Ulrich Kurth, nicht nur einen leidenschaftlichen Musikjournalisten und fähigen Musikproduzenten mit „nie erlahmender musikalischer Neugier“, sondern einen „großen Ermöglicher und Entdecker von musikalischen und journalistischen Talenten. Er initiierte zahllose waghalsige Projekte, nicht nur im Feld der improvisierten Musik“, so hieß es im Nachruf aus dem Hause WDR. Kurth starb am 12.8. nach langer Krankheit im Alter von 67 Jahren.

Christof Sänger
@Hessisches Jazzpodium

 

Im Rahmen des Hessischen Jazzpodiums 2021 vom 3.-5.12. im Kulturforum Wiesbaden wird der Hessische Jazzpreis 2021 an den Pianisten Christof Sänger (Preisträgerkonzert am 3.12.) verliehen. Die Veranstalter Leo Wölfel und Raimund Knösche haben eigens die Magnet Kulturproduktion gegründet, um aktuelle Strömungen im hessischen Jazz zu unterstützen. Weitere Konzerte geben das Martin Lejeune Project, The Resonators feat. Frank Gratkowski, Eric Plandé & Jörg Meder, Max Andrzejewski & Athina Kontou u.a.

www.magnetfestival.com/hessisches-jazzpodium-2021

Der Deutsche Jazzpreis 2022 soll internationaler werden und wird deshalb am 27.4., dem Vorabend der JAZZTHETIK präsentiert jazzahead!, in Bremen verliehen. Tina Sikorski, Geschäftsführerin der Initiative Musik: „Mit dem Deutschen Jazzpreis wollen wir nicht nur die herausragendsten nationalen und internationalen Musiker*innen ins Rampenlicht rücken, sondern die gesamte Szene.“ Da passt die jazzahead! als zentrales Event der internationalen Jazzszene gut. Der Preis ehrt herausragende künstlerische Leistungen des nationalen und internationalen Jazz in 31 Kategorien und wird realisiert von der Initiative Musik mit Projektmitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.