Megaphon

Von Hans-Jürgen Linke

Und jetzt also die Ausgabe mit der Nummer 300. Das fällt natürlich nur Menschen auf, die das Dezimalsystem verinnerlicht und darum eine Vorliebe für Nullen mit einer anderen Ziffer davor haben. Aber schauen Sie mal nach: Auf der Titelseite, ja, genau da, steht diese Zahl. Weil: Abgesehen von all den Erscheinungsjahren, die eine Zeitschrift auf ihrem kosmischen Zeitkonto ansammeln kann, gibt es auch die pure Anzahl der Ausgaben, die produziert wurden, als erwähnenswerte Größe. Dreihundert sind es jetzt also. Das Jazzmagazin Ihres Vertrauens beglückwünscht sich selbst dazu und wünscht sich und seinen Leser*innen weitere Ausgaben.

An der gegenwärtigen pandemischen Situation ist vieles bedrückend. Für Menschen, die bis zum letzten Frühling noch gewohnheitsmäßig Konzerte, Theater, Opern oder Festivals besucht haben, ist das Fehlen von öffentlichen Kulturveranstaltungen eine zunehmend traurige Einbuße an Lebensqualität. Dabei hatten viele Veranstaltungsorte schon vor einem Jahr zum Teil erhebliche Investitionen in Luftfilteranlagen getätigt und mit den Gesundheitsämtern Konzepte abgestimmt, die zumindest einen eingeschränkten und gesundheitlich risikoarmen Betrieb ermöglicht hätten. Inzwischen sieht es so aus, als würde der Kultur- und Veranstaltungsbetrieb vonseiten der Politik eine wesentlich geringere Wertschätzung genießen als etwa das Friseur-Gewerbe. Das aktuelle Maß an Missachtung des Kulturbetriebs durch die Politikerkaste wirft die Frage auf, wie ein Bereich des gesellschaftlichen Lebens und der gesellschaftlichen Arbeit, der offenbar für völlig nebensächlich gehalten wird, wieder in Gang kommen soll, wenn die Pandemie eingedämmt ist. Starren wir demnächst nur noch auf die Flachbildschirme und lassen die Welt an uns vorüberstreamen?

Das Forum Veranstaltungswirtschaft zeigte sich äußerst unzufrieden mit den regelmäßig erneuerten Bund-Länder-Beschlüssen. Trotz aller Ankündigungen sei eine Öffnungs-Strategie für öffentliche Veranstaltungen bisher ausgeblieben. Die in Aussicht gestellten finanziellen Hilfen für eine Branche, die seit mehr als einem Jahr ins völlige Stocken geraten ist, lassen vielerorts auf sich warten. Alles deutet darauf hin, dass die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Bedeutung der in der Veranstaltungswirtschaft zusammengeschlossenen Betriebe und Initiativen von der Politik weitgehend ignoriert wird. Die Chance einer umfassenden Test-Strategie böte immerhin die Möglichkeit, auch der Veranstaltungswirtschaft wieder in einem gewissen Umfang Aktivitäten zu ermöglichen. Das Forum Veranstaltungswirtschaft ist eine Allianz von fünf Verbänden, dem BDKV (Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft), dem EVVC (Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren), dem ISDV (Interessengemeinschaft der selbständigen Dienstleister*innen in der Veranstaltungswirtschaft), dem Livekomm (Verband der Musikspielstätten in Deutschland) und dem VPLT (Verband für Medien- und Veranstaltungstechnik).

Es ist lange her, aber immer noch wahr, dass Chris Barber einer von denen war, die den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg den Jazz brachten. Wie Glenn Miller spielte er Posaune, allerdings war er in seinen Anfängen auch als Skiffle-Musiker in einer Band mit Waschbrett-Rhythmusgruppe zugange. Später war er ein legendärer Bandleader und Mitbetreiber des Londoner Marquee Club. Er gab bis ins hohe Alter Konzerte, war freundschaftlich verbunden mit Eric Clapton, Van Morrison und Mark Knopfler. Im März starb er, kurz vor seinem 91. Geburtstag.

Jazz macht glücklicher. Die Online-Verkaufsplattform OnBuy hat das in einer vergleichenden Studie nachgewiesen. Und zwar macht Jazz sogar glücklicher als Heavy Metal. Er erlaubt, Gefühle beim Zuhören zu erleben, dämpft Stress, senkt den Blutdruck, macht ausgeglichener und hat enorm positive Effekte auf Körper und Geist. Sogar Gedächtnisleistungen verbessert er zuweilen. Metal dagegen sorgt vor allem dafür, dass seine Hörer*innen ein mentales Ventil für ihre zornigen Gefühle finden. Die drittglücklichsten Musikhörer*innen gehen in die Oper. Folk-Anhänger*innen besetzen den undankbaren vierten Platz in diesem Ranking.

Ralph Peterson Jr., Jahrgang 1962, spielte auch Kornett und Trompete, war aber über drei Jahrzehnte vor allem als Schlagzeuger präsent. Er begann seine Karriere bei den Jazz Messengers, arbeitete mit den Großen seiner Generation wie Terence Blanchard, Craig Harris, Courtney Pine, Branford Marsalis und David Murray, um nur einige der wichtigsten zu nennen, und lehrte Schlagzeug am Berklee College in Boston. Er starb im März an den Folgen einer Krebserkrankung.

Da war ein Foto in der letzten Ausgabe der JAZZTHETIK. Auf Seite 20/21 prangte es prachtvoll und zeigte das Doppler-Trio. Leider vergaßen wir zu erwähnen, dass Kevin Gruetzner der Urheber war, bei dem wir uns hiermit zerknirscht entschuldigen.

Mark Whitecage war als Saxofonist und Klarinettist ein Vertreter der US-amerikanischen Jazz-Avantgarde und wurde in Europa vor allem durch seine Arbeit mit Gunter Hampels Galaxy Dream Band bekannt. In den 1990er Jahren arbeitete er mit Anthony Braxton und William Parker und in letzter Zeit mit dem nach New York emigrierten Kölner Trompeter Thomas Heberer. Er wurde 83 Jahre alt und starb im März.

Die Bremer jazzahead! hat in diesem Jahr leider wieder (nur) digitales Format, gewinnt aber an Umfang: Mit dem Herbie Hancock Institute of Jazz startet die jazzahead! eine Kooperation zum UNESCO International Jazz Day 2021, der von beiden Institutionen am Freitag, 30. April, gemeinsam gefeiert wird. Die Kooperationspartner wollen Aktivitäten bündeln und die weltweite Sichtbarkeit des Jazz verbessern. Näheres unter:

www.jazzahead.de und www.jazzday.com

Das Team des Festivals Jazzdor hat lange gehofft und gezögert und muss nun doch das Festival, das vom 1. – 4. Juni erstmals in Dresden stattfinden sollte, absagen. Alternativ wird an einem Outdoor-Programm gearbeitet, das im Rahmen der Berliner Jazzwoche vom 6. – 13. Juni präsentiert werden soll.

Die Zeit der Absagen geht weiter. Das Jazzfestival Gronau, das sich aus 2020 in das aktuelle 2021 verschieben zu können hoffte, muss sich wieder verschieben beziehungsweise einige Konzerte absagen. Karten können zurückgegeben werden oder behalten ihre Gültigkeit für 2022. Das Konzert mit 4 Wheel Drive am 4. Mai wird aber als Live-Stream zugänglich sein unter:

www.jazzfest.de

Lou Ottens

 

Die Tonband-Kompaktkassette hätte es ohne ihn vielleicht nicht gegeben, und auch an der Erfindung der CD hatte der niederländische Ingenieur Lou Ottens wesentlichen Anteil. Den größten Teil seines erfindungs- und erfolgreichen Berufslebens verbrachte er in Diensten der Firma Philips und lebte bis zu seinem Tode im März in Eersel bei Eindhoven.

Nadin Debenter

 

Der Preis des Europe Jazz Network für abenteuerlustiges Programmieren, im Original Adventurous Programming, geht in diesem Jahr (Tusch!) an Nadin Deventer für ihre innovative Arbeit bei den Berliner Jazztagen.

Richtig reich geworden ist Richard Weize mit Bear Family Records vermutlich nicht, aber immerhin ereilte ihn jetzt das Bundesverdienstkreuz am Bande. Und zwar sehr verdient, denn sein Lebenswerk ist, wie Götz Alsmann in der Laudatio sagte, „eine einzige große Rettung kultureller Schätze, schlichtweg das Bewahren von musikalischem Weltkulturerbe.“ Dem ist, außer endlos vielen Einzelheiten, nichts hinzuzufügen.

Der Jazzpreis Baden-Württemberg geht an Christoph Neuhaus. Kultur-Staatssekretärin Petra Olschowski begründete die Wahl der Jury: „Christoph Neuhaus begeistert als ein außergewöhnlich vielseitiger Gitarrist und Komponist. Stilsicher und äußerst kreativ bewegt er sich musikalisch an der Schnittstelle zwischen Jazz, Groove, Blues und Folkmusic.“ Neuhaus arbeitet auch als Bildender Künstler. Während der Pandemie hat er darüber hinaus mit seinen Konzert-Screenings viel für die Musikszene im Land getan. Ein Termin für Preisverleihung und Preisträgerkonzert im Rahmen der Stuttgart Open steht noch nicht fest.

Ulrike Haage © Egor Sachko

 

Vor allem für ihre Kompositionen für audiovisuelle Medien hat Ulrike Haage den 12. Deutschen Musikautorinnenpreis 2021 erhalten. Laudator Volker Heise fasste bündig zusammen, wieso: „Du bist schlichtweg eine großartige und innovative Musikerin, die auf sehr vielen schmalen Graten wandelt und nie abstürzt. Du hast die seltene Eigenschaft, dass deine Filmmusik immer eigenständig ist und sich nie den Bildern unterwirft.“

Maria Schneider

 

Eine der originellsten US-amerikanischen Bigband-Komponistinnen und -Arrangeurinnen der Gegenwart ist Maria Schneider. Für ihr Album Data Lords wurde sie jetzt in Frankreich mit dem Grand Prix de l’Académie du Jazz und zu Hause gar mit einem Grammy und einem zusätzlichen Grammy für ihre Instrumental-Komposition „Sputnik“ ausgezeichnet, die vermutlich nicht einem Impfstoff gewidmet ist.

Wogram, Nils © Hans Kumpf

 

Nils Wogram ist noch jung, dennoch hat der Jahresausschuss des Preises der Deutschen Schallplattenkritik ihm einen Ehrenpreis zugesprochen, der leider aus pandemischen Gründen noch nicht verliehen ist, aber das wird noch. Ehre, wem Ehre gebührt!

Die Tonne in Dresden war einer der bekanntesten Jazzclubs der DDR und wird in diesen Tagen 40 Jahre alt. Umzüge, Wasserschäden und manch anderes Ungemach haben der Tonne nicht den Boden ausgeschlagen, und irgendwann wird sich auch herausstellen, wie der 40. Geburtstag angemessen gefeiert werden kann. Glückwunsch!

www.jazzclubtonne.de

Matthias Spindler © Manfred Rinderspacher

 

Beim Drei-Städte-Festival Enjoy Jazz, aber nicht nur dort, konnte man häufig Matthias Spindler begegnen und mit ihm in der Pause oder nach dem Konzert in lebhafte Gespräche über die Musik, ihre Geschichte, ihre Bezüge, ihre besonderen Qualitäten geraten. Zum Jazz war Spindler, Jahrgang 1954, schon in den 1960er Jahren gekommen. Mitte der 1970er, während seines Studiums der Geschichte und Soziologie, begann er mit Schallplatten-Rezensionen für das JAZZ PODIUM, später folgten Konzertkritiken für die Tageszeitungen RHEINPFALZ und MANNHEIMER MORGEN und bald Arbeiten für den Hörfunk. Beim Hessischen Rundfunk arbeitete er als Autor, Moderator und Aufnahmeleiter, daneben forschte und publizierte er über Themen aus der Regionalgeschichte. Er ist nach kurzer Krankheit am 7. April gestorben.

Das Land Hessen hat ein neues Förderprogramm ins Leben gerufen, das besonders dem ländlichen Raum, in dem sonst weniger Kulturförderung ankommt, Segen bringen soll. Das Programm ist versammelt unter dem Titel „Ins Freie!“, die Bewerbungsfrist tickt. Näheres unter:

www.diehl-ritter.de/de/insfreie

In Leipzig tut sich was. Der Jazzclub wird Hauptmieter im zukünftigen Haus der Festivals in der Gottschedstraße 16 und kann dort also fortan machen, was er will. Er will vor allem dafür sorgen, dass Leipzig als Ort einer produktiven freien Kulturszene stärker wahrgenommen wird. Durch die Lage in der Innenstadt und die Nähe zu anderen Kultur-Institutionen soll eine interdisziplinäre Kooperation gestärkt und ein vielfältig interessiertes Publikum angesprochen werden. Leider wird der Jazzclub bis mindestens Ende Mai keine Konzerte veranstalten können. Weiteres auf der Website

www.jazzclub-leipzig.de

JAZZTHETIK Mitarbeiter*innen

Und noch etwas gibt es in Leipzig: eine Ausstellung unseres Fotografen Arne Reimer bei der Agentur Punctum Fotografie. Das Thema ist Leipzig im Kampf gegen Corona, Titel der Ausstellung: Ihnen gewidmet. Virtuell zu sehen auf www.punctum.net

Nachdem im vergangenen Jahr aus bekannten Gründen das Trans4JAZZFestival ausfallen musste, gibt es in diesem Sommer über den Dächern von Ravensburg trotz aller Widrigkeiten vom 30.6. – 4.7. die Konzertreihe Veitsburg Jazz, mit Cæcilie Norby, Ulf Wakenius und Lars Danielsson, sodann Trilok Gurtu, Florian Weber und Frederik Köster, außerdem Jon McCleery, der Band Lunaves aus Stuttgart und dem Londoner Pianisten Alfa Mist. Den Schlusspunkt setzt das Emil Brandqvist Trio. www.jazztime-ravensburg.de

Luise Volkmann © Juergen Volkmann

 

Luise Volkmann, Trägerin des Kathrin-Preises, hatte mittlerweile ihre Residency mit intensiver Arbeitsphase in Darmstadt. Die Präsentation ihres Projekts und die Preisverleihung finden nach derzeitigen Planungsstand am 1. Oktober im Rahmen des 17. Darmstädter Jazzforums statt, das dem Thema „Roots_Heimat: Wie offen ist der Jazz?“ gewidmet ist.

https://kathrin-preis.de

Auch der 14. Record Store Day kann nicht so analog und real wie gewünscht gefeiert werden, weshalb eine virtuelle Ausgabe in zwei RSD-Drops am 12. Juni und 17. Juli vorgesehen ist. Zur Feier des Tages wurde eine Art virtuelle Schnitzeljagd mit Gewinnspiel konzipiert. Die Jagd ist in vollem Gange – als Preis winkt ein Technics Turntable Grand Class SL-1200G-Serie. Näheres unter:

www.recordstoredaygermany.de

Wenn es kaum öffentliche Konzerte gibt, bleibt als Chance für die heranwachsende Generation der Unterricht. Musiker*innen der beiden Klangkörper des Hessischen Rundfunks, Sinfonieorchester und Bigband, geben kostenfreien Online-Unterricht für interessierte Schulklassen. Mehr Informationen:

www.hr-sinfonieorchester.de und www.hr-bigband.de

Kenny Wayne Sherpherd

 

Eigentlich war Kenny Wayne Shepherd in der engeren Wahl für den Blues Music Award, aber die Blues Foundation hat ihre Nominierung zurückgezogen. Der Grund ist ein Bild der alten Konföderierten-Fahne, die auf einem Auto prangte, das Shepherd allerdings nicht mehr fährt. Dem ROLLING STONE sagte er, er habe längst beschlossen, die Flagge auf dem Autodach zu bedecken oder übermalen zu lassen, weil sie für etwas stehe, was er gründlich ablehne. Was nun?

European Robin

 

Die Wahl ist vorbei, gewonnen hat das Rotkehlchen, das sich jetzt zwitschernd „Vogel des Jahres 2021“ nennen kann. Zum ersten Mal hat nicht ein Experten-Gremium gewählt, sondern Menschen, die vom Wahl-Aufruf des NABU erreicht wurden. Hoffen wir, dass das Rotkehlchen jetzt unverzüglich die nötigen Reformen einleitet, mit denen sich die Roten sonst eher schwergetan haben.

Erhard Weber Colours of Jazz

 

Das Stadtmuseum Esslingen würde jetzt im Gelben Haus eine Ausstellung mit dem Titel Eberhard Weber – Colours of Jazz zeigen, wenn es denn öffnen dürfte. Da die Ausstellung bis zum 24.10. dort wäre, ergibt sich vielleicht doch noch eine Gelegenheit. Näheres unter

www.museen-esslingen.de

Eigentlich war die Monheim Triennale für 1. – 4.7. geplant, nun ist sie wieder um ein Jahr verschoben worden. Anfang Juli 2021 wird es „The Prequel“ geben, nicht als Ersatz oder Kompromiss, sondern als Version dessen, was hätte stattfinden sollen und können: 16 Künstler kommen in Monheim zusammen und entwickeln ihre Projekte. „The Prequel“ wird das Labor, die Werkstatt, der Think Tank, in dem die Zukunft erdacht wird. Bereits erworbene Tickets behalten ihre Gültigkeit für 2022; alternativ kann der Preis zurückerstattet werden. Wer die Festivalkarte für 2022 behält, bekommt, abhängig von den Hygiene-Vorschriften, kostenlosen Zugang zu den öffentlichen Konzerten von „The Prequel“.

www.monheim-triennale.de

Die irritierende Stille in den Bergen geht zu Ende, das Montreux Jazz-Festival hat einen Plakat-Wettbewerb unter dem Titel „Restart“ ausgeschrieben. Mehrere Preise werden verliehen, außerdem sollen 30 Künstler die Gelegenheit erhalten, beim Festival ihre Werke auszustellen. Die Bekanntgabe der Gewinner erfolgt in diesen Tagen, und das 55. Montreux-Festival findet vom 1. – 17.7. statt. www.montreuxjazzfestival.com/de/