Megaphon

Von Guido Diesing

Eigentlich ist es doch allen klar. Also jetzt mal abgesehen von den unverbesserlichen Schwerstarbeitern, die ihre Tage und Nächte in Kommentarspalten und Internetforen verbringen, dort versuchen, mit schierer Beitragsmasse Mehrheitsmeinungen zu simulieren, und ihre Expertise an der Youtube-Universität erworben haben. Wir werden nicht so weitermachen können wie bisher. Die Wahrscheinlichkeit, dass die derzeitige Häufung von extremen Wetterereignissen einfach nur ein unglücklicher Zufall ist und dass weltweit 97 Prozent der Klimawissenschaftler aus diabolischer Boshaftigkeit oder schierer Unfähigkeit zu ihren Erkenntnissen über die menschengemachte Klimakrise gekommen sind – sie ist so gering, dass man nicht darauf wetten sollte.

Natürlich ist es leicht, Engagement zu verspotten und damit eigene Bequemlichkeit zu rechtfertigen. Aber es muss etwas geschehen. Und es muss schnell geschehen. Dazu gehört, sich zunächst bewusst zu machen, wo das eigene Verhalten klimaschonender sein könnte. Im Bereich des Jazz hat die französische Association Jazzé Croisé (AJZ) genau das versucht. In einer wissenschaftlichen Studie (Quel impact carbone pour les lieux et festivals de jazz?) wird anhand ausgewählter Konzertvenues und Festivals der Anteil der Jazzszene an klimaschädlichen Emissionen ermittelt und werden Schritte aufgezeigt, an welchen Punkten man mit wie viel Aufwand Verbesserungen herbeiführen kann.

Manche Ergebnisse sind diskutabel, etwa wenn der geringere CO₂-Ausstoß der französischen Veranstalter im Vergleich zu denen in anderen europäischen Ländern im höheren Anteil von Atomenergie im Strom-Mix begründet ist. Andere sind wenig überraschend (Zug schlägt Flug bei der Musikeranreise). Doch genau das ist der Punkt: Die Ansätze sind bekannt, man muss ihnen aber auch nachgehen. Kann der Jazz also doch die Welt retten? Natürlich nicht. Aber voranzugehen und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, auch wenn es nie hundertprozentig vorbildlich sein wird, wäre doch schon mal was.

ajc-jazz.eu/en/carbon-study

Lady Blackbird

 

Der Verein Jazztime Ravensburg lädt wieder zum Trans4JAZZ-Festival. Bei sieben Konzerten zwischen dem 9. und 13.11. reicht die Spannweite vom Fusion-Pop der schwedischen Dirty Loops über den smoothen Jazzrock von Altmeister Lee Ritenour und Matthew Halsalls Nu Spiritual Jazz bis zum Jazzchor Freiburg. Um den Künstlern trotz pandemiebedingt reduzierter Zuschauerzahlen eine angemessene Gage zahlen zu können, wird für einige Konzerte zusätzlich ein bezahlter Livestream angeboten.

www.jazztime-ravensburg.de

Netzwerken mit neuem Network: Ab sofort können Jazzmusikerinnen, die sich in der Szene sichtbarer machen und mit Gleichgesinnten vernetzen wollen, das JazzWomenNetwork nutzen. Saxofonistin Nicole Johänntgen und Jacek Brun vom Online-Jazzmagazin jazz-fun.de haben dazu eine Internetpräsenz geschaffen, auf der schon jetzt deutlich mehr als 100 Musikerinnen aufgeführt sind. Interessierte, die Partnerinnen für Projekte oder andere geschäftliche Kooperationen finden wollen, können sich auf dem Portal registrieren und ihre Daten eingeben und verwalten. Veranstalter*innen können die Vertretenen nach verschiedenen Suchkriterien filtern und so passgenau finden, wonach sie suchen.

www.jazzwomennetwork.com

Aber mal gar kein Thema ist mangelnde Frauenförderung beim NICA artist development. Das im Kölner Stadtgarten angesiedelte Förderprogramm, das vom Land NRW finanziert wird, unterstützt in seiner dritten Förderrunde die Saxofonist*innen Luise Volkmann und Fabian Dudek sowie die Sängerinnen Kira Hummen und Rebekka Salomea Ziegler. In Person von Sophie Emilie Beha wird erstmals auch eine Kuratorin aufgenommen. Das Programm, nach der legendären Jazzförderin Pannonica de Koenigswarter benannt, bietet herausragenden Musiker*innen aus NRW im Bereich Jazz und aktuelle Musik Unterstützung zur künstlerischen Profilierung und Professionalisierung und ist bei Residenzen, Masterclasses und Konzertakquise behilflich. Die Förderung gilt zunächst für ein Jahr und kann auf maximal drei Jahre verlängert werden.

Antonio Lizana © Rainer Ortag

 

Wenn beim Festival Grenzenlos in Murnau die Besucher in diesem Jahr murmeln „Das kommt mir spanisch vor“, hat das seinen guten Grund. Unter dem Motto „Spain“ gibt es vom 14.-16.10. in dem oberbayrischen Ort drei Abende mit Musik von der iberischen Halbinsel. Nach den Trios von Antonio Lizana (Fr.) und Daniel García (Sa.) macht der Belgier Jan Depreter mit spanischer Gitarrenmusik den Abschluss.

www.weltmusikfestival-grenzenlos.de

Arturo Sandoval

 

Popularität ist ja nichts Schlechtes, findet die Jury der German Jazz Trophy und würdigt Arturo Sandoval als einen „der erfolgreichsten Popularisierer des Jazz“. In Anerkennung seines Lebenswerks bekommt der kubanische Trompeter neben der begehrten Trophäe auch 15.000 € Preisgeld.

Mit großem Bahnhof (einem Konzert auf der Hauptbühne mit seiner Band TOYTOY, der NDR Bigband und hochkarätigen Gästen) wurde beim diesjährigen Elbjazz der Träger des Hamburger Jazzpreises 2021, Schlagzeuger Silvan Strauß, geehrt. Neben dem Lob der Jury, er stehe „für eine zukunftsweisende junge Hamburger Jazzszene“ und bringe darüber hinaus Musiker*innen anderer Genres „mit Authentizität und intelligentem Blick in die Zukunft“ mit dem Jazz zusammen, gab es für den gebürtigen Allgäuer 10.000 € Preisgeld.

Grund zur Freude haben auch Marco Mezquida und sein Trio: Die Gruppe des spanischen Pianisten überzeugte beim BMW Welt Jazz Award nicht nur die Jury, sondern gewann zusätzlich auch den Publikumspreis und nahm zusammen 11.000 € in Empfang. Der Jury gefiel besonders „die helle, fröhliche, glückliche Seite der Musik“ in seinen Jazz-Kinderszenen: „Ein Auftritt mit geradezu heilender Wirkung, in diesen Zeiten vielleicht so wichtig und nötig wie nie.“ Der zweite Platz und 5.000 € gingen an das Anat Fort Trio.

Meghan Stabile

Meghan Stabile war als Jazzpromoterin, Kuratorin und Gründerin der Revive Music Group maßgeblich daran beteiligt, der HipHop-Generation den Jazz näherzubringen. Keyboarder Robert Glasper nannte sie „das Rückgrat der modernen kreativen Kraft in New York City“. Der Bassist Ben Williams sagte über sie: „Die Stadt wurde durch sie viel besser. Wir verdanken ihr so viel.“ Mit nur 39 Jahren setzte Meghan Stabile ihrem Leben ein Ende.

Wenn am 8.9. bei den Mercury Awards 2022 im geschichtsträchtigen Londoner Hammersmith Apollo das beste britische oder irische Album des Jahres ausgezeichnet wird, hält der schottische Pianist Fergus McCreadie die Jazzfahne hoch. Er ist mit seinem Album Forest Floor nicht nur unter den zwölf Nominierten, aus denen der Gewinner des 25.000 Pfund schweren Preises ermittelt wird, sondern wird mit seinem Trio auch live bei der Preisverleihung auftreten.

EmsJazz

 

Ein musikalisches Schwergewicht mit durchdringendem Saxofonton eröffnet die erste Ausgabe des neu gegründeten EmsJazz Festival in Greven. Am 8.9. tritt die Jan Garbarek Group im Ballenlager des Kulturzentrums GBS auf. An den folgenden drei Tagen spielen jeweils drei Acts, darunter Bobby Rausch, Johanna Summer, das Tingvall Trio und das Fabiana Striffler Quintett. Komplettes Programm unter

www.emsjazz.de

Asja Valcic, Klaus Paier

 

Nach der erfolgreichen Premiere 2019 ging es der Konzertreihe acoustics, die für kammermusikalische Jazz- und Weltmusikperlen im intimen Kirchenambiente steht, wie so vielen. Doch nach zwei Jahren pandemiebedingter Absagen soll es jetzt in der Rokoko-Schlosskirche in Diersfordt bei Wesel mit drei sonntäglichen Konzerten endlich weitergehen. Den Anfang macht Nik Bärtsch mit einem Soloauftritt am 4.9., gefolgt vom Duo Klaus Paier und Asja Valcic zwei Wochen später. Am 9.10. laden schließlich Martin Taylor und Ulf Wakenius zum Gitarrengipfel. Alle Konzerte beginnen um 15:00.

acoustics-konzerte.de

Jörg Becker

 

Duke Ellington, Miles Davis, Milt Buckner und Thelonious Monk – Jörg Becker hatte sie alle vor der Kamera. Der gebürtige Berliner kam schon als Kind mit seinen Eltern nach Schwaben. Neben seiner Arbeit als Lehrer, Regionalpolitiker und Gründungsmitglied der KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz war er als Fotograf in der Stuttgarter Jazzszene unterwegs. Jörg Becker ist wenige Tage vor seinem 72. Geburtstag an einem Herzinfarkt gestorben.

Am 27.9. wäre Kathrin Lemke 51 Jahre alt geworden. An diesem Tag wird bekanntgegeben, wer 2023 mit dem Kathrin-Preis ausgezeichnet wird, einem Stipendium, das mit vollem Namen Kathrin Lemke Scholarship for Young Improvisers heißt und alle zwei Jahre im Andenken an die 2016 gestorbene Saxofonistin vergeben wird. Turnusmäßig wurde für diese Vergaberunde die Jury zur Hälfte umbesetzt. Neu dabei sind Kontrabassist Sebastian Gramss, Online-Journalistin Aida Baghernejad, Klarinettistin und Saxofonistin Edith Steyer und der Kathrin-Preisträger von 2019, Joss Turnbull. Der Juryrunde weiterhin angehören werden Saxofonistin Angelika Niescier, der auf diesen Seiten bestens bekannte Musikjournalist Hans-Jürgen Linke, Kulturmanagerin Lena Jeckel sowie Fotograf Frank Schindelbeck.

Celine Bonacina © Thierry Clemensat

 

Das Jazzfestival Leibnitz feiert ein kleines Jubiläum und lädt vom 29.9.-2.10. zu seiner 10. Ausgabe in die Steiermark. Einen Schwerpunkt im Programm stellen in diesem Jahr vier französische Ensembles dar, neben den Gruppen von Leïla Martial und Arnaud Dolmen spielen das Bläserduo Céline Bonacina / Laurent Dehors und das Trio Bertault / Collignon / Helbock. Mit Michael Olivera & The Cuban Jazz Syndicate und einem Solokonzert von Gonzalo Rubalcaba ist auch Kuba zweimal vertreten.

jazzfestival.leibnitzkult.at

In eine dunkle Welt aus Drogen, Sex, Crime und Jazz entführen die Musikerstorys im Stil des Comic Noir des Frankfurter Grafikdesigners Holger Klein. Die Ausstellung SLAK! in der Galerie des Jazzinstituts Darmstadt zeigt noch bis zum 21.11. Beispiele einer faszinierenden Kunstform, die zwischen Literatur und Grafik, Popkultur und Kunst angesiedelt ist.

Hans-Joachim Hespos war als Komponist Autodidakt und ließ sich in der Vielseitigkeit seines Werks kaum einordnen. Unter seinen mehr als 200 Kompositionen von Kammer- und Orchestermusik, Elektronik und Stücken für Film und Bühne ist auch ein 1968 entstandenes Stück für Peter Brötzmann zur Begleitung von Streichern, das später von Heiner Wiberny aufgenommen wurde. Hans-Joachim Hespos starb am 18.7. in Ganderkesee.

Johanna Summer, ACT © Gregor Hohenberg

 

Zum Auftakt der Konzertreihe „Jazz in Essen“ wird auch in diesem Jahr in der größten Ruhrpottstadt der Jazz-Pott verliehen, mit dem seit 1998 innovative Jazzmusiker*innen ausgezeichnet werden. Der mit 2.000 € dotierte Preis geht diesmal an die Pianistin Johanna Summer, die sich im Gegenzug im Preisträgerkonzert am 25.9., 20:00, im Essener Grillo-Theater von zwei Seiten zeigt: Sie spielt mit ihrem Trio und gibt einen Vorgeschmack auf ihr kommendes Soloalbum Resonanzen. Das Preisgeld stiftet der Essener Kabarettist Hagen Rether.

Er gehörte zu den frühen deutschen Jazzpädagogen, hat Generationen von Musikern angeleitet und ist auch in seinem 90. Lebensjahr noch höchst aktiv. Saxofonist Joe Viera, der bei seiner Geburt noch Josef hieß, hat an Unis und Musikhochschulen in Duisburg, Hannover, München und Passau gelehrt, zahlreiche Unterrichtsmaterialien herausgegeben und die Internationale Jazzwoche Burghausen gegründet. Zur Feier seines runden Geburtstags findet am 19.9. ab 20:30 in der Münchner Unterfahrt ein Konzert u.a. mit der Uni Big Band München unter seiner Leitung statt.

Professoren unter sich: Seit 2005 spielt Altfrid Sicking in der Band von Götz Alsmann das Vibrafon. Nachdem dieser nach langer Radiotätigkeit als selbsternannter Professor Bop 2011 zum Honorarprofessor an der Uni Münster ernannt wurde, zieht Sicking jetzt nach. Seit Juni 2022 ist er Honorarprofessor für Schlagwerk und Improvisation an der Musikhochschule Münster. Bleibt die Frage: Wie lang sind akademische Viertel-Noten? 15 Minuten?

Sammus © Jose Ginarte

 

Die Hamburger Elbphilharmonie hebt ab in eine schwarze Zukunft. Unter dem Motto Black to the Future – Afrofuturism untersucht sie mit Konzerten, Filmvorstellungen und Vorträgen „die Schnittstelle zwischen Schwarzer Kultur, Technologie, Befreiung und Vorstellungskraft, kombiniert mit einer Portion Mystik“, wie die Autorin Ytasha Womack den Afrofuturismus einmal zusammengefasst hat. Das facettenreiche Programm im schmucken Ambiente umfasst Auftritte von Angel Bat Dawid & Tha Brotherhood (4.9.), Chief Xian Atunde Adjuah (ehemals Christian Scott) am 12.9., Ravi Coltrane, der sich am 15.10. mit seinem Quintett der Musik seiner Eltern widmet, und Theo Croker (siehe JAZZTHETIK-Titelgeschichte im Juli) am 26.10. Den standesgemäßen Schlusspunkt setzt am 13.11. das Sun Ra Arkestra unter Leitung des mittlerweile 98-jährigen Marshall Allen. Elphi is the Place!

www.elbphilharmonie.de/de/mediathek/black-to-the-future-afrofuturism/761

Der dritte Kompositionswettbewerb der Cologne Jazz Supporters in – nun ja – Köln hat drei Sieger hervorgebracht. Nach der Begutachtung von 40 anonym eingereichten Titeln vergaben die Jurymitglieder Martin Sasse, John Goldsby und Charlotte Illinger die Preise an die Kompositionen „Kafka Tamura“ von Sebastian Gahler, „Medianto“ von Marcus Bartelt und „Something in Reserve“ von János Löber. Neben Geldpreisen von 1.500, 1.000 und 500 € sind mit den Auszeichnungen Auftritte im Kölner Club King Georg verbunden. Glückwunsch!

Dasselbe Auszeichnungskonzept (Geldpreis plus Auftritt) liegt auch dem Moods-Aïda-Alliman-Preis zugrunde, für den sich Schweizer und Liechtensteiner Musiker*innen bewerben können. Über 20.000 Franken und einen Auftritt im Zürcher Club Moods mit einem Projekt ihrer Wahl freut sich die schweizerisch-amerikanische Sängerin, Multiinstrumentalistin, Komponistin und Performerin Marena Whitcher. Die Jury überzeugten „ihre unbändige Kreativität und ihre grenzenlose Experimentierfreude jenseits aller musikalischen Genres und Regeln“.

Das Label Blue Note hat zahlreiche ikonische Plattencover hervorgebracht, angesichts deren grafischer Gestaltung man denkt: „Genau. So und nicht anders.“ Der Künstler Dietrich Rünger ist anderer Ansicht und hat für historische Platten alternative Cover gemalt – individuelle Varianten, ganz im Sinne des Jazz. In der Ausstellung Painted Jazz und Cover Design im Hamelner Rolf Flemes Haus ist noch bis zum 25.9. eine Auswahl seiner Werke zu sehen.

www.kunstkreishameln.de