Megaphon

Von Jan Kobrzinowski

Aktuelle Studien zeigen, dass in Krisen, besonders im Krieg und unter Katastrophenbedingungen, Menschen einander letztlich eher beistehen, als sich dem Egoismus hinzugeben. Zwar wird der vielbeschworene Konsens gefühlt geringer und der Glaube an die Demokratie, an den Kompromiss, der diese Gesellschaft noch zusammenhält, schwindet. Anonym twitternd aufeinander herumzuhacken – das rüttelt am friedlichen Zusammenleben auf diesem Planeten. Dabei kann uns – wie immer – die Musik zeigen, wie es geht: Konsonanz (Harmonie) und Dissonanz gehören unabdingbar zusammen. In der Musikforschung heißt es, Konsonanzen seien dazu da, für sich zu bestehen, und Dissonanzen strebten nach Auflösung, naheliegend also die Erkenntnis, dass es immer beide Pole braucht, um unsere Gesellschaft lebendig zu erhalten: beim Wie des Zusammenlebens und im gegenseitigen Respektieren, beim Dulden verschiedenfarbiger Ansätze, der Erhaltung der Kraft des Spirituellen, dem Auseinanderdriften und dem Eins-Werden, beim Dissens und Konsens über Geschmack, dem gesellschaftlichen Protest und gemeinsamen Glückserlebnissen. Reden müssen wir und streiten, in Kontakt bleiben, nicht aussteigen, uns auseinanderdividieren und wieder zusammenkommen. Es braucht ein gutes Intro und ein gutes Finale, im Lied wie im Gespräch.

Mal schauen, wer nachrückt, wenn so verschiedene Botschafter*innen des Humanen wie Pharoah Sanders, Jaimie Branch oder Rolf Kühn von den Bühnen abtreten und große Lücken hinterlassen. Bleiben wir zuversichtlich, dass es auch auf dem so wichtigen Gebiet des menschlichen Auftretens, bei der Frage nach dem Wie und nicht nur dem „Wie gut, wie weit, wie hoch, wie schnell“ genug guten Nachwuchs gibt.

Pharoah Sanders © Quentin Leboucher

 

Pharoah Sanders starb am 24.9. im Alter von 81 Jahren. Hymnik, Spiritualität, Expressivität – Attribute und Zuweisungen, die der Prediger des Ethno- und Spiritual Jazz selbst wahrscheinlich lächelnd von sich gewiesen hätte. Für ihn war Musik einfach Musik. Dass diese Jazz war, war für ihn, wie für viele heute Jüngere auch, unerheblich. Es geht darum, sich von den Einschränkungen einer Kennzeichnung zu befreien: „Die Hauptsache ist, dass es sich gut anfühlt, dann braucht man dem Ganzen auch nicht irgendein Label aufzukleben und ist in der Lage, sich auf ganz unterschiedliche Weise auszudrücken“, äußerte er einmal. Dass Pharoah Sanders im Jazz unterwegs war, nicht nur mit John Coltrane, dessen Botschaft er bis zuletzt weitertransportierte, ist unübersehbar, aber wichtiger war ihm der Einklang von Kosmos, Musik und den Menschen. Den Freiheitsgrad in der Musik bestimmt der Mensch, solange er im Sinne des Masterplans des Schöpfers musiziert. Der aber sieht nicht mehr und nicht weniger vor als „Peace and happiness for every man, Peace and happiness through all the land“. Aus der hingebungsvollen Wiederholung solcher Wahrheiten in oft einfachsten Melodien ergaben sich Sanders‘ oft magische Improvisationen. Er musizierte meist ohne Rücksicht auf herkömmliche Ästhetik, ob sanft oder kratzig – sein Instrument agierte stets als verlängerter Arm der Stimme. Sanders‘ Sound geglättet, aber auch pointiert haben Leute wie Bill Laswell oder DJ Floating Points (Promises mit dem London Symphony Orchestra, 2021), was nichts daran änderte, dass alles bei ihm klang wie eine perfekte afroamerikanische Weltmusik, die viele Musiker*innen auch außerhalb des Jazz beeinflusste. „Music is the healing force of the universe! Our roots began in Africa.” Allumfassende Botschaften, zu deren Verbreitung Pharoah Sanders auf diesem Planeten war. Und ist.

Die Grizzly Jazz Foundation ist eine in Bonn ansässige private Stiftung, die besonders begabten Jazznachwuchs in Deutschland fördert. Sie setzte jetzt ein besonderes Zeichen der Unterstützung für eine junge ukrainische Künstlerin. Die Jazzsängerin Kateryna Kravchenko erhielt im Rahmen des Benefizkonzerts „United for Ukraine“ im Telekom-Forum Bonn ein Stipendium von 20.000 €.

www.grizzly-foundation.com

Mette Rasmussen Trio © Francesco Saggio

 

Das Jazzfest Berlin 2022 illustriert unterschiedliche aktuelle Strömungen der improvisierten Musik. Mit Craig Taborn, Tomeka Reid, Kris Davis, Hamid Drake, Matana Roberts und Immanuel Wilkins sind wichtige Vertreter*innen der US-amerikanischen Avantgarde und der Black-Radical-Aesthetics-Szene zu Gast. Südafrikas Jazz repräsentieren Asher Gamedze und das Kollektiv The Brother Moves On. Den interessanten Zusammenhang von folkloristischen Musiktraditionen und Improvisation beleuchten Kateryna Ziabliuk, Olga Kozieł, Sofia Jernberg und Lucian Ban. Mit mehreren Beiträgen wird Sven-Åke Johanssons Lebenswerk gewürdigt. Die jüngere europäische Generation vertreten Mette Rasmussen und Rodrigo Amado. Dazu auf parallel bespielten Bühnen: Die Hochstapler, Camille Émaille, Lisa Ullén, Synesthetic 4 und die Umlaut Big Band. Alle Konzerte werden von ARD und DLF aufgezeichnet und live oder zeitversetzt gesendet.

www.berlinerfestspiele.de/de/jazzfest-berlin/programm/2022/gesamt/termine.html

Beim Internationalen Jazzfestival Münster 2023 schon für den ausgefallenen Shortcut im vergangenen Corona-Jahr angekündigt und nun mit Spannung erwartet: der Saxofonist John Surman und „Transylvanian Folk Songs“ mit dem rumänischen Pianisten Lucian Ban und dem amerikanischen Bratschisten Mat Maneri, das Duo Camille Bertault/David Helbock sowie die belgische Posaunistin Nabou Claerhout u.v.a.m. Der Vorverkauf für das Festival vom 6.-8.1. beginnt am 15.11.

www.jazzfestival-muenster.de/

Die NDR Bigband unter Chefdirigent Geir Lysne präsentiert das Programm für die Konzertreihe NDR Jazz 2022/2023. Mit „einer guten Mischung aus neuen und langjährigen Musikerinnen und Musikern“ und dem neuen Bigband-Manager Michael Dreyer geht die Band in ihre 65. Spielzeit.

www.ndr.de

Die Registrierungsphase für die 17. Ausgabe des weltgrößten Treffens der Jazzbranche, der jazzahead! in Bremen, hat begonnen. Messe und Festival finden vom 27.-30.4.23 in der Halle 6 der Messe Bremen statt. Das Showcase-Programm: für das Partnerland Deutschland vier Co-Produktionen sowie acht Formationen der German Jazz Expo, 16 europäische Showcases, sowie acht Overseas-Showcases.

www.jazzahead.de

Für die 3. Ausgabe des Deutschen Jazzpreises, vergeben im Rahmen der jazzahead! 2023 in Bremen, sind Bewerbungen in elf Kategorien noch bis zum 30.11. möglich.

www.deutscher-jazzpreis.de/bewerbung

Jazzbegeisterte Diplomaten – die gibt es tatsächlich. Gemeinsam mit Musiker*innen aus anderen Behörden und externen Profis jazzen Mitarbeiter*innen des Auswärtigen Amts unter dem Label „jAAzz“ schon seit Anfang der 1990er. Zurzeit arbeitet man am neuen CD-Projekt Jazz Made in Germany.

www.auswaertiges-amt.de/de/aamt/auswdienst/mitarbeiter-node/jaaz/215098

Der 13. European Young Artists‘ Jazz Award Burghausen 2023 wird anlässlich der 52. Internationalen Jazztage Burghausen vom 21. – 26.3.2023 vergeben. Im Dezember gibt die Jury bereits die fünf Finalteilnehmer bekannt.

www.melodiva.de/news/13-burghauser-nachwuchs-jazzpreis-2023

Das Jazz-Team von BR Klassik gewann den Deutschen Radiopreis in der Kategorie „Beste Sendung“. Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer erhielten den bedeutendsten Hörfunk-Preis Deutschlands für ihre Rundfunkserie Jazztime, die unter dem Titel „Hören wir Gutes und reden darüber!“ die Jury überzeugte. „Jazz ist Lust am Reagieren auf die Welt, Lust am Klang, Lust an Kommunikation“, freuten sich die drei in großer Überraschung. „Genau diese Eigenschaften übertrugen sich auch auf unsere – ebenfalls improvisierten – Gespräche: Jede Produktion war bisher eine Feier der Lust an Musik, Lust am Zuhören und Lust am In-Sprache-Fassen, was Musik auslöst und was sie bedeuten kann.“ In diesem Sinne auch von unserer Seite: Herzlichen Glückwunsch!

Der Rotary Club Hildesheim gibt bekannt: Die Bewerbungsfrist für den mit 10.000 € dotierten HI Five Jazz Award läuft noch bis zum 15.1.23. Der Preis richtet sich an Bands und Formationen der Kategorie Jazz. Die Jury bewertet vor allem das musikalische Wirken der vergangenen drei bis vier Jahre in den Kategorien Virtuosität, Kreativität, Zusammenspiel, Eigenständigkeit und Bühnenpräsenz.

www.hi-five-rotary.de

Der Bassist Wolfgang Güttler war ein mit allen Wassern gewaschener Musiker mit Erfahrungen, Studien und Repertoire in Alter Musik, Jazz und Zeitgenössischer Musik. Unter den Stationen seines musikalischen Lebens: die Berliner Philharmoniker, Hochschulen in Köln und Karlsruhe, Sinfonieorchester in Baden-Baden und Freiburg, Juilliard und Manhattan School of Music. Güttler starb am 18.9. im Alter von 77 Jahren.

Liebe Jazzwerkstatt Peitz! Listige Leute haben ein Experiment mit dem Poster Deines Festivals vom September ’22 durchgeführt: Sie ließen alle männlichen Künstler aus dem Line-up weg, übrig blieben gerade mal zwei weibliche Namen! Mehr noch, zählt man die Namen aller Bandbesetzungen auf der Festival-Homepage, landet man beim Verhältnis von fünf Frauen zu achtundvierzig Männern. Du meinst, rein zahlenmäßig sollte man das Thema nicht angehen? Dann scheint an Dir vorbeigegangen zu sein, dass es im Jazz inzwischen richtig viele Frauen gibt. Oder denkst Du im Grunde: „Nur Männer können’s wirklich“? Na, dann schau Dich doch einfach mal um, z.B. hier: Terri Lyne Carrington, Gründerin und künstlerische Direktorin des Berklee Institute of Jazz and Gender Justice kuratierte das neue Real Book New Standards: 101 Lead Sheets by Women Composers mit Musik von ausschließlich weiblichen Komponistinnen, darunter Mary Lou Williams, Alice Coltrane, Esperanza Spalding, Geri Allen, Maria Schneider, Cecile McLorin Salvant, Cassandra Wilson, Dianne Reeves, Dorothy Ashby, Nubya Garcia, Nicole Mitchell und Anke Helfrich.

www.halleonard.com

Der Pianist Ramsey Lewis (1935-2022) war einer der Musiker, die seit den 1960er Jahren dafür sorgten, dass auch jede Menge Nicht-Jazzfans sich tanzend dieser Musik nähern konnten. Seine Fähigkeit, Pop-, Soul- und Gospelhits in groovende Jazznummern umzuwandeln, machte ihn zu einem der beliebtesten Jazzmusiker der Welt. Ob seine Version von „Wade in the Water“ oder sein Hit „The In Crowd“ – bis heute nutzen DJs in aller Welt nicht nur Samples, sondern ganze Originale seines Repertoires. Ramsey Lewis starb am 12.9. in Chicago. Er wurde 87 Jahre alt.

Joey DeFrancesco (1993) © Hans Kumpf

 

Wie schon sein großes Idol Jimmy Smith, konnte Joey DeFrancesco die Sounds seiner Hammond B3 abrupt von einem Umgebungs-Summen zu einem gewaltigen Brüllen anschwellen lassen. Im zarten Alter von 17 Jahren hatte Joey sein Schallplattendebüt. Kein Wunder, denn schon Papa John war Organist und Großvater Joseph spielte Saxofon. Neben der Orgel griff Joey gerne auch mal zu Trompete oder Saxofon oder nahm sich ein Gesangsmikro. „I told him if he ever picked up the bass, warnte Kollege Christian McBride, „we’d have some words!” Joey DeFrancesco starb am 25.8., viel zu früh, im Alter von nur 51 Jahren.

Robert Lucaciu © Fabian Kammerer

Kathrin-Preis: Alle zwei Jahre vergeben JAZZTHETIK, jazzpages.de und das Jazzinstitut Darmstadt diese Auszeichnung in Form einer vollfinanzierten einwöchigen Werkstattphase in Darmstadt. 2022 geht der Preis an den Kontrabassisten Robert Lucaciu. Die Residenz-Woche mit Lucacius Band Fallen Crooner findet vom 15. -20.5.23 statt, die offizielle Verleihung beim Preisträgerkonzert am 20.5. Der Preis ist nach der 2016 verstorbenen Saxofonistin Kathrin Lemke benannt.

www.kathrin-preis.de

Hier sind sie, die perfekten Grooves zum Sundowner: INFRACom! Anniversary: 30 Years – We Couldn’t Save the Entire Planet But We Still Like to Save Your Soul. Die Compilation zum 30-jährigen Jubiläum von INFRACom!

www.infracomcompilations.bandcamp.com

Irene Papas

 

Die Schauspielerin und Sängerin Irene Papas ist tot. Für den Film entdeckte sie der Regisseur Elia Kazan. Sowohl im Film wie auf der Bühne war Irene Papas’ Hauptgeschäft die griechische Tragödie. Als Sängerin wurde sie vor allem durch die Zusammenarbeit mit Vangelis bekannt, mit dem sie seit Anfang der 1970er Jahre die Alben 666, Odes und Rapsodies aufnahm. Seit 2013 an Alzheimer erkrankt, starb Irene Papas am 14.9. im Alter von 96 Jahren.

Seit 15 Jahren ist der BIX Jazzclub in Stuttgart Anlaufpunkt für Liebhaber der guten Musik, für Gourmets und diejenigen, die den Leidenschaften des Whiskytrinkens und Zigarrerauchens frönen. Eine Fotoausstellung von Wolf-Peter Steinheisser feiert das Jubiläum ab 11.11. im Kunstbezirk, der Galerie im Gustav-Siegle-Haus. Die Ausstellung ist bis zum 4.1. zu sehen.

www.bix-stuttgart.de

Deutsche Schallplattenkritik

Zur Kritik der kritischen (Jazz-)Kritik: Die Deutsche Schallplattenkritik gab ihre Jahrespreise 2022 bekannt. Im Bereich Jazz traf die Jury ihre Auswahl (diesmal etwas einseitig) und bevorzugte dabei Blue Note/Universal-Künstler. Geehrt wurden Charles Lloyd, Bill Frisell und Thomas Morgan für Trios: Chapel sowie Nduduzo Makhathini & Band für das Album In the Spirit of Ntu. Der neu gewählte Vorstand des PdSK besteht übrigens aus Albrecht Thiemann, Julia Kaiser, Torsten Fuchs und Jörg Wachsmuth.

www.schallplattenkritik.de/jahrespreise/2022

Das Indie-Label Tapete blickt mit Intact & Smiling – The Weird & Wonderful World of Tapete Records Vol. 1 auf 20 Jahre unabhängige Musikproduktion zurück. Seit 2002 veröffentlicht man in der Stahltwiete in Hamburg-Altona Musik von Bands aus Deutschland, den USA, GB, Skandinavien, Österreich u.a.

www.tapeterecords.de

Jelena Kuljić © Josef Beyer

 

Der JTI Jazz Award, gesponsert vom größten privaten Arbeitgeber der Mosel-Stadt Trier, Japan Tobacco Industries, geht in diesem Jahr an die KUU!-Sängerin Jelena Kuljić. Ironie: Die Performerin hat sich kürzlich gerade das Rauchen abgewöhnt.

www.jti.com

Das Le Guess Who? Festival in Utrecht/NL gewinnt den EJN Award for Adventurous Programming. Der Preis, inzwischen in 11. Auflage, wird jedes Jahr vom Europe Jazz Network (EJN) an eine/n europäischen Promoter*in mit besonders visionärem Programm vergeben. Le Guess Who? steht für ein „inspirierendes und mutiges Festival mit weitem Horizont, ohne bestimmte Jazz-Ästhetik – ‚A Celebration of Sound‘ mit sehr offenem Programm“, so die Jury, „ein Spielplatz für Entdecker neuer Künstler und Musik. Das Line-up ist sehr vielfältig und inklusiv, auch was die Gender Balance betrifft.“

www.europejazz.net/activity/ejn-awards

Zur turnusgemäßen Neubesetzung der Instrumente und des Vokalensembles des Bundesjazzorchesters (BuJazzO) finden die Vorspiele vom 2.-4.1.23 in Köln statt. Das BuJazzO ist das offizielle Jugendjazzorchester der Bundesrepublik Deutschland und dient der Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses im Jazz.

www.bundesjazzorchester.de

Wilfried Schaus-Sahm, über 30 Jahre künstlerischer Leiter verschiedener Musikfestivals, stellte nun seinen Debütroman Denner vor, der nach dem Hamburger Barockmaler Balthasar Denner benannt ist und in den 1970er Jahren in Aachen und Peru spielt.

www.schaus-sahm.de