Megaphon

Von Jan Kobrzinowski

In Zeiten musikalischer Globalisierung und eines zur Haltung gewordenen „gesunden Eklektizismus kommt es bei Interviews immer mal wieder zu folgendem Statement: „Bitte keine Schubladen. Nennt es doch einfach Musik. Ich mag derlei mittlerweile nicht mehr hören, denn warum soll ein musikalisches Phänomen, das sich durch freien Umgang mit Metrum, Harmonik, Form und Ausdruck auszeichnet, nicht einfach Jazz heißen? Warum preisen so viele heutzutage die Errungenschaften und positiven Wirkungen improvisierter Musik, warum sind Jazzfestivals heute das Supercoolste? Ja, weil meist doch noch irgendwie Jazz drinsteckt, wenn’s draufsteht. Nicht umsonst klingt es anders, eben befreiter, wenn Jazzmusiker improvisieren, als wenn die Kollegen aus der Klassik das tun. Things get cool, if you „jazz them up“. Auch ist es okay, Merkmale, Kriterien und Definitionen zu diskutieren. Und sogar, sich Ursprünge und Traditionen bewusst zu machen. Da kommt schon nicht gleich Marsalis-Verdacht auf. Und warum es nicht doch Jazz nennen, solange es kein besseres Wort dafür gibt?

Wadada Leo Smith © William Matczynski

 

An der Herb Alpert School of Music der University of California wurde die ehrwürdige UCLA-Medaille zum ersten Mal an einen Musiker der Avantgarde verliehen. Der Komponist und Improvisator Wadada Leo Smith nahm diese höchste Auszeichnung der Universität entgegen. „Ein Künstler, der sich jeder Kategorie widersetzt und sowohl innerhalb als auch außerhalb von Genres wie Blues, Jazz, Experimental und Klassik arbeitet“, so UCLA-Chef Gene Block in seiner Laudatio.

Das zwölfköpfige Offenbacher Sudden Orchestra unter der Leitung von Lutz Jahnke hat den Sonderpreis beim 7. Hessischen Orchesterwettbewerb in Schlitz/Hessen für seine „außerordentlich innovative Performance und Vielfalt“ gewonnen.

Elisabeth Coudoux

 

Das Europäische Zentrum für Jazz und aktuelle Musik im Stadtgarten Köln setzt sich für die Stärkung der freien Musikszene ein: Das ursprünglich als Exzellenzförderung Jazz gestartete Programm des Landes NRW ist in Anlehnung an Pannonica de Koenigswarter in „NICA artist development“ umbenannt worden. Ausgewählt wurden Elisabeth Coudoux, Pablo Giw, Pablo Held und Tamara Lukasheva.

Das Land Baden-Württemberg fördert auch 2020 wieder professionelle Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker aus dem Musterländle bei Auftritten in Deutschland und im Ausland mit insgesamt 345.000 Euro. Anträge müssen bis 31.1. beim Jazzverband Baden-Württemberg eingereicht werden. (Förderung von Jazzfestivals bis zum 15.1.)

www.mwk.baden-wuerttemberg.de/ausschreibungen

Mit dem Spielstätten-Preis APPLAUS werden jährlich herausragende Livemusikprogramme unabhängiger Spielstätten von der Initiative Musik, dem „Förder- und Exportbüro für Musiker*innen und Musikunternehmen“ des Bundes ausgezeichnet. Unter den Preisträgern sind jeweils sowohl bekannte Live-Spielstätten wie auch kleinere Projekte und Reihen. Die Spielstätten des Jahres sind das Berliner Quasimodo, das Café Wagner in Jena und die Serie „Stage off Limits“ in der Black Box in Münster.

www.initiative-musik.de

Am anderen Ende gibt es das Club-Sterben, insbesondere kleinerer Spielstätten. Der Deutsche Bundestag behandelt jetzt – auf Antrag von Linken und Grünen – die Einstufung und Anerkennung von Musikclubs als Kultureinrichtungen und stellt weitere Fragen hinsichtlich eines Kulturraumschutzes für Live-Musik. „Das kulturelle Erbe stiftet Identität, die künstlerische Avantgarde belebt den demokratischen Diskurs“, so die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters (CDU). Zu hoffen bleibt, dass die beschlossene Steigerung des Bundes-Kulturetats nicht nur den Berliner Festspielen und ähnlichen Großveranstaltungen zugutekommt.

Im Oktober wurde RomArchive, das digitale Archiv der Sinti und Roma, bei den European Heritage Awards / Europa Nostra Awards mit dem Großen Preis der Jury in Höhe von 10.000 Euro ausgezeichnet. Der Plattform geht es darum, ihren Beitrag zur europäischen Kulturgeschichte ohne Stereotypen und Vorurteile zu erfassen, das „vorhandene Wissen zu dekolonialisieren und (…) die Geschichte der Sinti und Roma mit ihren eigenen Stimmen zu schreiben.

www.romarchive.eu

Die Preisträger des Jahrespreises der Deutschen Schallplattenkritik, Bereich Jazz, stehen fest. Marilyn Mazur und Shamania „beschwören Scat-singend und spielend ein musikalisch mitreißendes Ritual und erweisen sich als wahrhaft weltläufige Grenzgängerinnen. Das Émile Parisien Quartet mit Double Screening „fährt in die Beine, ohne das Hirn zu vernachlässigen“, hieß es in der Begründung der Jury.

www.schallplattenkritik.de

Elektro Guzzi

 

Wir laden ein zum Festival der Jazz Offensive Essen (JOE) vom 16. – 18.1. Es spielen: RE: Calamari feat. Wanja Slavin, Brenda, Tom Rainey Trio, John-Dennis Renken, Dell-Lillinger-Westergaard, Elektro Guzzi, Soko Steidle, Azkadenya sowie Das Behälter.

www.jazz-offensive-essen.de

Gerade 2019 erfolgreich zu Ende gegangen, steht der Termin für die nächsten Jazztage Dresden (vom 21.10. – 22.11.2020) bereits fest. Dennoch muss Intendant Kilian Forster weiter auf ehrenamtliche Hilfe bauen. Die Unterstützung von Land Sachsen und Stadt Dresden habe mit „institutioneller Förderung wenig zu tun, da insgesamt nur rund fünf Prozent des Festivals gefördert werden.“

www.jazztage-dresden.de

Mary Halvorson

Die Gitarristin Mary Halvorson erhielt die MacArthur Fellowship 2019. Wegen der bemerkenswerten Höhe von 625.000 Dollar wird der von der MacArthur Foundation vergebene Preis auch schon mal mit dem Nobelpreis verglichen. Halvorsons noble Vorgänger im Bereich Jazz waren Cecil Taylor, Anthony Braxton, John Zorn, Steve Coleman, Vijay Iyer und Jason Moran.

Airelle Besson © Sylvain Gripoix

Immer wieder innovativ und besonders: Auch die von „Inbetween“ in „Shortcut“ umbenannte eintägige Kurz-Version des Internationalen Jazzfestivals Münster am 5.1. hat es in sich: Jazz und improvisierte Musik, Schwerpunkt „Premieren aus Europa, mit Airelle Besson / Lionel Suarez, Koma Saxo und Pipe Dream feat. Hank Roberts.

www.jazzfestival-muenster.de

Kadri_Voorand © Stina Kase

Zum dritten Mal hat der unermüdliche Axel Krieger vom Schauspielhaus im beschaulichen Bergneustadt große Frauenstimmen für sein Kleines Festival gebucht: Vom 27.2. – 1.3. sind Kadri Voorand, Sara Decker, Tamara Lukasheva, Siri Svegler, Luah, Marion Wilmer und Adrienne Haan (schon am 8.2.) in Schauspielhaus und Krawinkelsaal zu erleben.

www.schauspielhaus-bergneustadt.de

Helge Schneider

 

Der Bayerische Hof in München engagiert sich stark für die Musik. Innerhalb verschiedener Reihen wie „New York im Bayerischen Hof, „Musizierende Schauspieler oder „Jazzin’ the Night Club“ bringt das noble Hotel so verschiedene Hochkaräter wie Helge Schneider, Dominic Miller, Jasmin Tabatabai und John Lee Hooker jr. unter einen Hut (Termine s. Clubs).

www.bayerischerhof.de

Jan Erik Kongshaug

 

Bescheiden und genial. Niemand hat die Klangwelt des neueren Jazz seit den 70er Jahren so nachhaltig beeinflusst wie der Norweger Jan Erik Kongshaug. Hunderte von Alben hat er allein für ECM aufgenommen, seit 1984 in seinem eigenen Osloer Rainbow Studio. 50 Jahre währte seine Zusammenarbeit mit Manfred Eicher seit Jan Garbareks Afric Pepperbird. Leider ist der legendäre Toningenieur am 5. November im Alter von 75 Jahren gestorben.

Herbert Joos

Der Jazzmusiker und Grafiker Herbert Joos ist am 7.12. im Alter von 79 Jahren gestorben. Detailverliebte Ästhetik war das Markenzeichen des „Philosophen des Flügelhorns“, sowohl als Spieler, Komponist wie auch als Zeichner. Mit feinem Strich fertigte er, quasi nebenberuflich, Grafiken an, darunter eine umfangreiche Serie von Porträts, meist von Jazzkollegen. Joos’ Musik war immer geprägt vom weichen Klang des Flügelhorns, auch auf der Trompete wirkte sein Spiel immer eher gehaucht. Selbst freiere Experimente mit Klangflächen und Improvisationen in den 70er und 80er Jahren, z.B. mit seinem Modern Jazz Quintet Karlsruhe, hatten nie das Wilde der damaligen Free-Jazz-Szene, wenn Herbert Joos beteiligt war. 1984 erhielt er den Südwestfunk-Preis und 2017 wurde ihm im Stuttgarter Theaterhaus ein mit 10.000 € dotierter Sonderpreis für sein Lebenswerk überreicht. Seine wichtigsten Weggefährten waren Hans Koller, Günter Lenz, Jürgen Wuchner, Adelhard Roidinger, der Stuttgarter Jazz-Professor Bernd Konrad und bis zuletzt sein Duo-Partner am Piano, Patrick Bebelaar.

Im Rahmen der Reflektor-Reihe der Hamburger Elbphilharmonie wird ECM-Chef Manfred Eicher Anfang Februar vier Tage lang sein ganz persönliches, handverlesenes Programm vorstellen. Näheres in diesem Heft im Livetipp und unter Termine.

www.elbphilharmonie.de/de/festivals/reflektor-manfred-eicher

Das Tonstudio Bauer in Ludwigsburg wurde 70. 1949 von Rolf Bauer gegründet, gilt es als das älteste und größte deutsche Tonstudio. Neben Stevie Wonder, Jack Bruce, Chaka Khan, Herbert Grönemeyer, Reinhard Mey etc. haben auch etliche Jazzer wie Randy Brecker, Al Di Meola, Bill Frisell, Keith Jarrett und Pat Metheny im Laufe der Jahrzehnte unter der Regie verschiedener Tonmeister-Generationen dort aufgenommen.

www.bauerstudios.de

Der Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e.V. (VUT) hat den Leitfaden für mehr Nachhaltigkeit in der Musikwirtschaft unterzeichnet. Hinter „Music Declares Emergency“ stehen Künstler und Künstlerinnen, Fachleute der Musikindustrie und Organisationen, die auf den klimatischen und ökologischen Notstand hinweisen und eine „sofortige staatliche Reaktion zum Schutz des Lebens auf der Erde“ fordern.

www.musicdeclares.net

PinkFloyd-Legende David Gilmour bekämpft auf seine Weise den Klimawandel. Die Versteigerung seiner Gitarrensammlung bei Christie’s in New York erzielte den Rekordpreis von 21,5 Millionen US-Dollar. „Ich hoffe, dass der Verkauf Client Earth dabei hilft, echte Veränderungen herbeizuführen. Wir brauchen eine zivilisierte Welt, die für unsere Enkelkinder und darüber hinaus Bestand hat und in der diese Gitarren gespielt und Lieder gesungen werden können.

Paul Barrere

Zu deren besten Zeiten war Paul Barrère Mitglied der legendären Band Little Feat. Der kalifornische Gitarrist spielte u.a. mit Bonnie Raitt, Carly Simon, Robert Palmer und Fred Tackett. Er starb im Oktober im Alter von 71 Jahren.

Grammy-Nominierungen 2020 erhielt Miguel Zenón im Bereich „Best Latin Jazz Album“ für Sonero: The Music of Ismael Rivera. Der Pianist und Komponist Fred Hersch wurde bereits zum 15. Mal nominiert, diesmal in der Kategorie „Best Instrumental Composition“ für den Titelsong seiner Produktion Begin Again mit der WDR Big Band und Vince Mendoza.

Die Musikpädagogin Dorothée Kreusch-Jacob gewann für ihre Bemühungen, Kindern Musik nahezubringen, gleich zwei Preise: Für ihr Hörbuch Oh Verzeihung, sagte die Ameise erhielt sie das Hörbuchsiegel Auditorix – Hören mit Qualität. Den Medienpreis LEOPOLD – Gute Musik für Kinder 2019/2020 erhielt sie für ihre Kinderlieder auf Sonne, Mond und Abendstern, u.a. mit Giora Feidman und Klaus Doldinger.

Der Wormser Jazzpreis 2019 geht an den Saxofonisten Fabian Schöne für sein „versiertes, gereiftes Saxofonspiel und seine kompositorischen Fähigkeiten. 2020 wird der Preisträger auf Einladung der Stadt beim Festival Jazz & Joy auftreten.

Frank Möbus

Die IG Jazz Rhein-Neckar e.V. vergibt in Kooperation mit der Alten Feuerwache in Mannheim zum 15. Mal den Neuen Deutschen Jazzpreis, mit 10.000 Euro der höchstdotierte Bandpreis für professionelle Jazzbands und der einzige Publikumspreis der deutschen Jazzszene. Kurator ist der Jazzmusiker Frank Möbus. Das Festivalwochenende findet am 13. und 14. März in der Alten Feuerwache statt.

www.ig-jazz.de/neuer-deutscher-jazzpreis-2020

In Rahmen seiner Tour mit der Jan Garbarek Group nahm Trilok Gurtu den Life Time Achievement Award des Global Percussion Network Percuaction aus der Hand des Perkussionisten Tupac Mantilla entgegen.

www.percuaction.com

Und unsere letzte Meldung:

Den Inhalt der Urne in alle Winde zerstreuen, auf dem Meer oder im eigenen Garten, das kann man schon lange. Jetzt haben Hinterbliebene dank einer kleinen englischen Firma namens And Vinyly die Möglichkeit, natürlich gegen entsprechendes Honorar, sterbliche Überreste dem Vinyl einer Schallplatte beizumischen. Audio nach Wunsch, geheimnisvolles Knistern inklusive. Wer’s nicht glaubt:

www.andvinyly.com