Megaphon
Von Hans-Jürgen Linke
Der Trend geht zum Opfer. Junge, hormongeplagte Männer zum Beispiel, befand der President of the United States (PotUS) jüngst, werden Opfer nachtragender, humorloser Frauen, die sie der Übergriffigkeit und schlimmerer Dinge bezichtigen. Was sollen die Männer denn tun! Das Bier schmeckt so gut, und die Frauen sind so attraktiv! Tief verunsichert sind die Armen, weil ihr biologisch bestimmtes Verhalten bestraft wird. Andere Zeitgenossen fühlen sich verunsichert von all den fremden Ausländern allüberall, und wenn sie sich wehren, hält das halbe Land sie für gewalttätige Nazis. Dabei sind doch auch sie Opfer! Oder werden da gerade dreist die Rollen vertauscht?
Das Programm hat mehr Gesichter als sonst. Nicht nur Musik verschiedenster Konstellationen, Generationen, Aktualitäten, Kontexte, Stil- und anderer Richtungen steht im Programm, sondern auch Installationen, Filme, ein performativer „Umschlagplatz der Visionen“ für Zu- und andere Künfte, bisschen Party, drei parallele Themenschwerpunkte (Europa, Chicago, afroamerikanische Musik), dazu die Harlem Hellfighters im Krieg, die WDR Bigband auf der Bühne, Mary Halvorson als Artist in Residence, Maciej Obara und Bill Frisell und zur Eröffnung eine House Warming Party, die die angestammte Spielstätte vorübergehend zum Berliner House of Jazz erklärt – so sieht Nadin Deventers erstes Berliner JazzFest aus. Es beginnt gewissermaßen schon in diesem Augenblick. Also schnell hin!
www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/jazzfest/ueber_festival_jazz/aktuell_jazz/start.php
Zum ersten Male wurde der Kathrin-Preis vergeben. Er geht an Joss Turnbull. Die Workshop-Woche in Darmstadt, die Bestandteil des Preises ist, wird vom 20.-24.5.2019 stattfinden, das Preisträgerkonzert mit Preisverleihungszeremonie also am 24. Mai.
Wir hätten ihm noch ewig zuhören können, aber am 4.10. ist Hamiett Bluiett gestorben. 1940 in Brooklyn, Illinois, geboren, lernte er schon als Kind Klavier, Trompete und Klarinette und mit zehn Jahren Baritonsaxofon, das sein Hauptinstrument wurde. Er gründete die Black Artists Group in St. Louis, ging dann nach New York, wo er unter anderem mit Sam Rivers, Charles Mingus, Thad Jones und Mel Lewis arbeitete. 1977 war er Mitbegründer des Epoche machenden World Saxophone Quartet. In seinen anderen Formationen bewegte er sich auf einzigartig schlüssige Weise zwischen Gospel, Blues und Avantgarde Jazz.
Seit 20 Jahren besteht das Ensemble der International Composers und Improvisers (ICI), das diesen runden Geburtstag zum Anlass für eine dreiteilige Werkschau nimmt. Deren dritter Teil ist um Electrobeats gedrechselt und wird am 2.12. im HochX Theater, Entenbachstraße 37, München, stattfinden.
Der Shimon Peres Preis wird im Andenken an den israelischen Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträger vom deutschen Außenministerium und vom Deutsch-Israelischen Zukunftsforum vergeben an junge deutsche und israelische Fach- und Führungskräfte, die sich um die deutsch-israelischen Beziehungen verdient gemacht haben. Diesmal geht er an das Caravan Orchestra, eine Initiative des Yiddish Summer Weimar, der Abteilung für Musik der Universität Haifa und der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Das Ensemble vereint junge Musikerinnen und Musiker verschiedener kultureller Hintergründe, um die häufig vernachlässigten Verbindungen zwischen jüdischen, arabischen und europäischen Musikstilen zu erkunden.
Nicht einmal 60 Jahre alt wurde Rachid Taha. Geboren in der Nähe von Oran im Westen Algeriens, kam er früh mit Rai und traditionelleren nordafrikanischen Musikstilen in Berührung. Die Familie emigrierte 1968 nach Frankreich und lebte ab Ende der 60er Jahre in Lyon, wo Rachid Musik seiner algerischen Herkunft mit europäischer Popmusik amalgamierte. 2008 erhielt er von der BBC den Award For World Music. Er starb am 12. September, sechs Tage vor seinem 60. Geburtstag, in Les Lilas, einem Vorort von Paris.
Das neue Jahr beginnt diesmal in Münster. Und zwar mit dem Internationalen Jazzfestival, das nunmehr 40 Jahre alt wird und damit seinen studentischen Ursprüngen endgültig entkommen sein dürfte. Vom 4.-6. Januar lädt das Kulturamt ins Theater Münster zum Geburtstags-Event mit an die 100 Musikerinnen und Musiker. Der Vorverkauf beginnt am 15.11. im Theater Münster sowie online unter:
Miles and more: „Sold“, meldete Ebay. Miles Davis’ postgelber Ferrari 308 GTSI, Baujahr 1980, brachte schlappe 90.450 Dollar, umgerechnet etwas weniger als 80.000 Euro. So viel zu den aktuellen Preisen am Gebrauchtwagenmarkt.
Mourning in the Morning, Screamin‘ and Cryin‘, Cold Day in Hell: Wenn einer den Blues hatte, dann Otis Rush. 1934 in Philadelphia geboren, zog es den Linkshänder nach Chicago, wo er zu einem bekannten Gitarristen der Blues-Szene wurde und etliche Hits hatte. In den 60ern wurde er auch in Europa populär und beeinflusste eine ganze Generation britischer Bluesmusiker. Der ROLLING STONE listete ihn auf Platz 53 unter den 100 besten Gitarristen aller Zeiten. Er starb am 29. September.
Das Kasseler Kulturzelt ist dahin, nach 32 Jahren. Das Kulturzelt war nicht nur das Festzelt am Ufer der Fulda neben der Drahtbrücke, sondern auch ein sommerliches Festival, das bis 1993 von der Stadt veranstaltet und dann an einen Trägerverein übergeben wurde. Dieser fühlt sich bei der Stadt inzwischen nicht mehr erwünscht und hat das Kulturzelt darum nach dem Ende der letzten Veranstaltung gewissermaßen zurückgegeben. Ob die Stadt, die sich noch mit den Folgen der letzten documenta quält, das Festival in eigener Regie weiterbetreiben wird? Fortsetzung folgt.
Die Union deutscher Jazzmusiker (UdJ) und das Europe Jazz Network (EJN) haben ungefähr gleichzeitig für eine Resolution gestimmt, die die Gleichstellung der Frau im Jazz fordert. Es handelt sich nicht um bloße Meinungsäußerung, sondern auch um verpflichtende Grundsätze und Maßnahmen. Den EJN-Text kann man herunterladen unter:
www.europejazz.net/sites/default/files/EJN_Manifesto_on_gender_balance.pdf , den UdJ-Text unter www.u-d-j.de/gleichstellung
Randy Weston begann als Blues-Pianist und geriet in den 50ern mit Art Blakey und Kenny Dorham in den Jazz. Anfang der 60er zog es ihn nach Marokko, dann nach Europa, bevor er 1990 wieder in die USA ging, wo er mit Dizzy Gillespie und Pharoah Sanders arbeitete. Etliche seiner Kompositionen zählen heute zu den Jazz-Standards. Der größte Teil seiner Partituren, Aufnahmen, Fotos und Korrespondenzen befindet sich seit 2016 in der Harvard Universität. Am 1.9. ist Randy Weston in New York gestorben.
Als in Graz 1965 das Institut für Jazz gegründet wurde, war Erich Kleinschuster dabei. Er war Posaunist, Komponist, Arrangeur, Bandleader und Hochschullehrer und hat unter anderem mit Albert Mangelsdorff, Duško Gojković, Joe Zawinul, Stan Getz und Volker Kriegel gearbeitet. Er war ab 1969 Leiter des Instituts für Jazz am Konservatorium Wien, wurde 1971 Produktionsleiter der Abteilung für Unterhaltungsmusik des ORF und kehrte 1976 in seine Heimatstadt Graz als Lehrbeauftragter und ab 1981 als Professor an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst zurück. Er starb am 12.9. in Graz.
Seine Eltern waren 1915 vor dem Völkermord an den Armeniern nach Paris geflohen, 1924 kam Charles Aznavour, eigentlich Schahnur Waghinak Asnawurjan, in Paris zur Welt. 1946 wurde Edith Piaf auf ihn aufmerksam, nahm ihn auf eine Tournee mit und eröffnete ihm eine Karrierechance. Aznavour schrieb im Laufe seines Lebens an die 1000 Chansons, seine Schallplatten verkauften sich millionenfach, er wurde Schauspieler, armenischer Botschafter in der Schweiz und bei den Vereinten Nationen in Genf. Sein letztes Konzert gab er in Osaka zwei Wochen vor seinem Tod, der ihn am 1. Oktober in Mouriès ereilte.
Der dreigeteilte Talent Award des Montreux Jazz Festivals geht in diesem Jahr an den französischen Pianisten und Elektroniker Højde, die türkische Band Islandman und den Amerikaner Jalen N’Gonda. Letzterer gewinnt den Fairmont European Tour Award, der ihm eine Tournee durch vier europäische Metropolen ermöglicht. Højde gewinnt den Parmigiani Montreux Jazz Solo Keys Award, Islandman den Shure Montreux Jazz Band Award.
Während in Las Palmas auf Gran Canaria gerade (24.-28.10.) die World Music Expo WOMEX mit Showcases, Konferenzen und allem Drum und Dran über die Bühnen geht, wurde auch schon angekündigt, wo diese Veranstaltung im kommenden Jahr beherbergt sein wird: in Tampere, Finnland, vom 23.–27.10.2019. Es wird dort etwas dunkler und kühler sein als gerade auf Gran Canaria.
Wer kennt nicht Julian (tp) und Roman (p) Wasserfuhr!? Außer Jazz interessieren sich die beiden auch für Bier – nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Produzenten: Seit 2014 brauen sie, wenn zwischen den Konzerten mal Zeit ist, ihr eigenes Bier, dem sie den prägnanten Namen „Schnaff“ gegeben haben. Es ist obergärig und naturtrüb, der Bier-Sommelier entdeckt einen erfrischenden Duft nach Waldbeeren, Grapefruit, Mandarine und Maracuja, getragen von einem kräftigen Malzkörper, mit einem fruchtig-bitteren, hopfenaromatischen Finale. Wow. Das Jazzmagazin Ihres Vertrauens verlost unter den Neu-Abonnenten des Jahres 2019 fünf mal fünf Liter dieses Jazz-Biers namens „Schnaff“.
Das Thema „Popular Music as a Medium for the Mainstreaming of Populist Ideologies in Europe“ wird vom 1.3. an ein Team von Forscherinnen und Forschern der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Graz beschäftigen. Im Vergleich von sechs europäischen Ländern werden Gebrauch, Rolle und Struktur populärer Musik in populistischen politischen Strömungen im Zuge des europäischen Einigungsprozesses untersucht. André Döhring, Leiter des Grazer Jazzinstituts, konnte dafür Drittmittel in Höhe von 971.000 Euro von der VW-Stiftung nach Graz leiten. Möge die Macht mit dem Institut sein!
Doch, wirklich. Die Dresdener Jazztage dauern einen ganzen Monat, von Anfang bis Ende November. Sie beginnen mit Sharrie Williams im Quartier an der Frauenkirche am 1.11. und enden mit den Klazz Brothers am 29.11. im Kulturpalast. Dazwischen: Avishai Cohen und Candy Dulfer, Al Di Meola und Eivind Aarset, Nik Bärtsch und Maceo Parker, Gregory Porter und Martin Tingvall, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Alles Wichtige über Programm, Spielstätten und Rest-Tickets unter:
www.jazztage-dresden.de/de/startseite/
Ira Sabin, geboren 1928 in Brooklyn, gründete nicht nur das Magazin JAZZTIMES, sondern auch einen modellhaften Schallplattenladen in Washington, DC, der den Namen Sabin’s Discount Records trug. Außerdem war er Schlagzeuger, Bandleader und Promoter und weihte sein Leben dem Jazz. Er starb am 12.9. in Rockville, Maryland.
Beeinflusst von Illinois Jacquet und Lester Young sowie von seinem älteren Bruder Robert, wurde Cecil James aka Big Jay McNeely Saxofonist, spielte Rhythm’n’Blues und Boogie Woogie und ging, als sich seine Karriere in den 60er Jahren etwas abkühlte, zur Post. Die 90er Jahre brachten ein Revival, und so landete er doch noch in der Rhythm and Blues Music Hall of Fame. Er starb am 16. September.
Bis zum 20.1. widmet sich das Caricatura Museum in Frankfurt am Main dem zeichnerischen Werk des großen Volker Kriegel, der neben seiner enormen Wirkung als Fusion- und Jazz-Gitarrist ein cartoonistisches Oeuvre mit hintersinnig-ironischem Humor hinterließ. Es dreht sich um Alltag und Musik, Hunde und Menschen, Philosophie und Essen, und der 20. Januar kommt eher, als man denkt!
Beim Weltmusik-Wettbewerb creole Global in der Berliner Werkstatt der Kulturen gab es im September drei verdiente Sieger, nämlich das Trio gruberich, das Leo Xao Trio und die Willy Sahel Band. Mehr über die Werkstatt unter:
www.werkstatt-der-kulturen.de/de/
Jerry Gonzales, geboren 1949 in der Bronx, war Sohn puerto-ricanischer Einwanderer, spielte Trompete und Congas und verband Einflüsse von Miles Davis und Lee Morgan. Er wurde Protagonist des Afro-Cuban Jazz und spielte mit Dizzy Gillespie, Archie Shepp, Dewey Redman, Tony Williams, George Benson und McCoy Tyner. Nach einer Europa-Tournee ließ er sich im Jahr 2000 in Madrid nieder. Er starb am 1.10. an einer Rauchgasvergiftung infolge eines Wohnungsbrandes.
Den Leipziger Jazz-Nachwuchspreis 2018 erhielt Philipp Rumsch, der darum die 42. Leipziger Jazztage am 11.10. mit seiner Band und dem Preisträgerkonzert eröffnen durfte. Rumsch studiert seit 2013 in der Klavierklasse der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig und besuchte 2016/17 das Rytmisk Musikkonservatorium in Kopenhagen.
Nach 40 Jahren gehört man nicht mehr ganz zur Jugend, aber der Wettbewerb Jugend jazzt ist auch nach 40 Jahren noch eine sehr jugendliche Veranstaltung. 1978 begann in Nordrhein-Westfalen, von Dortmund ausgehend, die Jugend wettbewerbshalber auf Landesebene zu jazzen. Andere Länder folgten dem Vorbild. 1997 wurde in Trägerschaft des Deutschen Musikrates zum ersten Mal die Bundesbegegnung durchgeführt. Der Combo-Wettbewerb zum 40. Jubiläum ist der 34. und findet am 17.11. statt.
Einen großen Glückwunsch an den Bassisten Martin Brugger, Preisträger des BMW West Young Artist Jazz Award. Mit seiner Band Fazer trat er infolge des Preises am 5.10. in der Münchner Unterfahrt und am 13.10. bei den 42. Leipziger Jazztagen auf.
Enjoy Jazz in Mannheim, Heidelberg, Ludwigshafen und anderswo ist längst im Gange. Vielleicht gibt es ja noch ein Ticket für Erwin Ditzner in der Alten Feuerwache Mannheim, für Anke Helfrich und Angelika Niescier im Mark Twain Center Heidelberg oder für das Pablo Held Trio im Kulturzentrum dasHaus in Ludwigshafen? Oder gar für die Sons of Kemet in der Alten Feuerwache oder das Kari Ikonen Trio im Karlstorbahnhof Heidelberg?
Es gebe, sagt Thomas Bugert, der auch Autor des Jazzmagazins Ihrer Wahl ist, jede Menge Bücher, nach denen man Bass lernen kann, aber bisher keines zum Bossa Nova. Um diese Lücke zu schließen, hat er eine Crowdfunding-Initiative gestartet, der wir durchschlagenden Erfolg und alles erdenklich Gute wünschen.
www.startnext.com/bossa-nova-bassbuch
Gold! Und zwar in Straßburg aka Strasbourg. Vom 9.-23.11. steigt dort und am anderen Rheinufer in Offenburg das Jazzdor Festival – mit unter anderem Archie Shepp, David Helbock, Das Kapital, Andreas Schaerer, Lucia Cadotsch, dem Pablo Held Trio und Michael Wollny.
Applaus ist immer hoch willkommen, zumal wenn das Wort ein Akronym für „Auszeichnung der Programmplanung unabhängiger Spielstätten“ ist. Die nächste Preisvergaberunde findet in Mannheim im Rosengarten statt, und zwar am 14.11.
www.initiative-musik.de/applaus
Den Parliamentary Jazz Award gibt es in neun Kategorien, und er wird wirklich, wie der Name andeutet, vom englischen Parlament, und zwar gleichermaßen vom Ober- wie vom Unterhaus, vergeben. Da kommen wir einfach nicht mit, so sehr Monika Grütters sich auch aus dem Fenster hängen mag. Wir gratulieren Shabaka Hutchings, Cleveland Watkiss, Phronesis, Dinosaur, Nerija und allen anderen.