Sebastian Scotney

The London Column

Erstaunlich viele Jazz-Festivals hier auf den britischen Inseln finden in alten verträumten Seebädern statt: Scarborough, Southport und neu dazugestoßen Eastbourne, Lowestoft und Margate. Da fange ich an zu überlegen: Was bringt wohl den Jazz ans Meer? Und warum gibt es immer mehr dieser Städtchen, wo neue Jazz-Festivals organisiert werden, obwohl sie sonst einen eher heruntergekommenen Charme haben?

Die letzte Frage ist relativ einfach zu beantworten: Die neuen Festivals gedeihen da, wo Musiker und Musik-Promoter leben. Viele Musiker sind an die Küste gezogen. Teils aus prosaisch-finanziellen Gründen (die Häuser sind dort billiger), teils aus spirituellen Gründen. Der ehemalige Direktor der Jazz-Abteilung bei Sony, Adam Sieff, ist nach Deal in Kent gezogen und hat im September ein Jazz-Festival in der Nachbarstadt Margate initiiert. Seine Erwiderung auf die Frage „Warum?“: „Wo sonst würde man Musik hören wollen? Dies ist ein magischer Ort.“ Als ich dieselbe Frage auf Facebook stellte, kam von Daniel Spicer, dem Direktor des Brighton Alternative Jazz Festivals, die knappe Antwort: „Das Festival findet hier in Brighton statt, weil ich hier wohne.“

Das Phänomen ist genauso weiter im Norden zu finden, in Schottland, wo es auch beliebte Küstenorte gibt, wie zum Beispiel Dunoon, das an der Mündung des Clyde in der Nähe von Holy Loch liegt. „Dieser für ein Jazz-Festival scheinbar ungeeignete Ort – Dunoon wird eher von Reisebussen voller Rentner besucht – hat Musiker dennoch zu Höchstleistungen angeregt“, schreibt der schottische Jazzjournalist Rob Adams. „Vielleicht wirkt die Ferne von ihrem normalen Alltag befreiend.“ Das Assoziieren der Küstenbäder mit Musik und damit, dass man die Sorgen zu Hause lässt, ist tief in der britischen Seele verankert. Ein bekannter Varieté-Ohrwurm von 1907 drückt das so aus: „Oh! I do like to be beside the seaside! Where the brass bands play, Tiddely-om-pom-pom!

Als ich anfing, über diese Kolumne nachzudenken, hatte ich die geheime Hoffnung, einen Beleg dafür zu finden, dass Künstlertypen generell magnetisch von der Peripherie der Landmasse angezogen werden. Vielleicht könnte ich jemanden finden, der, wie William Shakespeares im Sturm beschreibt, „wandelt Meereshut in ein reich und seltnes Gut“. Zum Beispiel hat der Pianist/Vokalist Neil Richardson ein Jazz-Festival in Eastbourne ins Leben gerufen. Als ich ihn fragte, was ihn dazu bewegt hat, an die Küste zu ziehen, sagte er: „Das Meer ist voller Wunder; es hat etwas Magisches, Mystisches, Gefährliches, Hypnotisierendes, Inspirierendes. Das zieht mich immer wieder an. Es ist die Quelle meiner Kreativität.“ Na, wenn das kein Beleg für meine Theorie ist!


Jazzjournalist Sebastian Scotney betreibt die Website www.londonjazznews.com, die im Januar 2019 ihr zehnjähriges Bestehen feiert.