Morgenland Festival

Osnabrück

Homayun Sakhi © Andy Spyra

Von Ralf Döring. Es zählt zu den großen Qualitäten des Morgenland Festivals, Jahr für Jahr neue Räume zu erschließen. Das gilt für kulturelle und musikalische Räume, in der jüngsten Ausgabe aber auch im Wortsinn: Das in Osnabrück ansässige VW-Werk wurde zum Schauplatz für ein Konzert der Morgenland All Star Band. Die Gäste in der Werkshalle erlebten eine Band, die ungeheure Spiellust und Experimentierfreude an den Tag legt, sich aber stetig von der Session-Formation zum festen Ensemble entwickelt, ohne die Freude am Spiel zu verlieren. Im Gegenteil: Musiker wie Serpent- und Tubavirtuose Michel Godard, Trompeter Frederik Köster, Schlagzeuger Bodek Janke, vor allem aber der syrisch-amerikanische Klarinettist und Komponist Kinan Azmeh, (mehr oder weniger heimlich) Mastermind der Band, denken längst nicht nur in den Kategorien des freien Ausdrucks via Improvisation, sondern in Strukturen komplexer Arrangements. Damit formuliert die Band mittlerweile so starke Positionen, dass es möglich ist, das Konzert von Lichtkünstler Philipp Geist illuminieren zu lassen, ohne die Musik in einer Flut starker Videos und Projektionen untergehen zu lassen. Im Gegenteil, Licht und Musik ergänzen sich perfekt.

Tatsächlich drückt sich in dieser Kombination ein Experimentierwille aus, der zum Kennzeichen des Festivals geworden ist. Eine mitreißende Kooperation hat sich diesmal zwischen dem syrischen Trompeter Nezar Omran und seinem Kollegen Ingolf Burkhardt von der NDR Bigband ergeben: Burkhardts expressiver Sound trifft den bronzenen Ton Omrans, Blue Notes und die Mikrotöne der arabischen Maqamat treten in Dialog, und Florian Weber am Klavier und der ebenso sensible wie virtuose türkische Perkussionist Hogir Göregen erspielen sich mathematisch präzis abgezirkelte Freiräume – ein starker Abend.

Ulzhan Baibussynova, Raushan Orozbaeva © Andy Spyra

Als Länderschwerpunkt hat Festivalleiter Michael Dreyer diesmal das riesige Steppenland Kasachstan gesetzt und locker ins Programm eingewebt. Raushan Orozbaeva mit der bogengestrichenen Laute Kobys und Ulzhan Baibussynova mit Obertongesang und der zweisaitigen Dombra offenbarten dabei, wie neu sich die Klänge in unseren Ohren ausnehmen, wie nah uns die Musik aber gleichzeitig in ihrer liedhaften Struktur ist. Diese originäre Musik wurde auch Teil eines typischen Morgenland-Projekts unter dem Titel Die neue Seidenstraße. Die beiden Kasachinnen trafen dabei auf Wu Wei und seine chinesische Mundorgel Sheng sowie auf den Pianisten Salman Gambarov aus Aserbaidschan und Perkussionist Bodek Janke, seinerseits ein Musiker mit polnischen und kasachischen Wurzeln. Das Konzert im soziokulturellen Zentrum Lagerhalle offenbarte zwar, wie schwierig es ist, die Kräfteverhältnisse zwischen der Ausdruckskraft Wu Weis und Jankes und den diskreten Kasachinnen auszubalancieren. Wenn aber Gambarov mit seinem feinsinnigen Klavierspiel zwischen Jazz, Bach und Polyphonie den Ton angab, entfaltete das einen zauberhaften Reiz. Und wie sehr solche Kooperationen lohnen, demonstrierten das Ensemble Hewar aus Syrien und das Gurdjeff Ensemble aus Armenien beim Abschlusskonzert. Die Musik Armeniens und Einflüsse arabischer Musik, Jazz und Spurenelemente der zeitgenössischen Musik verschmolzen zu einer Einheit, die Räume nicht nur erschließt, sondern gleich neu schafft. Besser kann sich ein Festival nicht legitimieren.