© Andy Spyra

Morgenland Festival

Osnabrück

Von Ralf Döring. Iva Bittová schwebt über die Bühne, zwitschert, krächzt, spielt Geige, singt lautmalerische Texte. Die tschechische Klangakrobatin ist ein großes Spektakel und ein hoher ästhetischer Genuss – auf den man sich einlassen muss. Mohammad Reza Mortazavi spielt auf der Rahmentrommel Daf oder auf der Tombak, einer Bechertrommel aus Holz. Doch was heißt hier spielt? Weiß der Himmel, wo der iranische Perkussionist herholt, was durch das Karree des Osnabrücker Schlossinnenhofs klingt, weiß der Himmel, wie er Rhythmen übereinanderschichtet, wie er seinen Trommeln diesen Reichtum an Klängen entlockt, wie er darauf singt. Der zweite musikalische Hochgenuss an diesem Freitagabend, und abermals keine Kunst zum Zurücklehnen. Das Morgenland Festival Osnabrück beginnt diesen Festivaljahrgang mit einem echten Statement: Zwei Solokünstler unterstreichen mit ihrer kompromisslosen Musik den Anspruch des Festivals, sein Publikum nicht nur zu unterhalten, sondern herauszufordern.

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Die Reisebestimmungen zu Corona-Zeiten haben diesen Anspruch nicht gerade befördert. Umso bewundernswerter sind die Begegnungen, die Festivalleiter Michael Dreyer auf der Open-Air-Bühne im Innenhof des Osnabrücker Schlosses arrangiert hat. Ein herausragendes Beispiel liefern der Trompeter Frederik Köster und Mohannad Nasser, ein Virtuose an der Oud. So verschieden die beiden Instrumente sind und so gegensätzlich die musikalischen Jugendbuden der Künstler, so sehr verbindet sie die Neugier, sich im Ausdrucksraum der jeweils anderen musikalischen Sprache umzuschauen. Nach Jahren in der Morgenland Allstar Band ist Köster mit den Mugham, den Skalen der levantinischen Musik, bestens vertraut, und umgekehrt spielt Nasser auf der bundlosen Oud Jazz von bestechender Intensität – beste Voraussetzungen für ein fruchtbares Bühnen-Date also. In der Abendstimmung nimmt das oft meditative Züge an, aber wenn Köster seine Live-Elektronik dazu- und auf der Trompete in die höheren Gänge schaltet, kommt doch hitzige Clubatmosphäre auf und Nasser begeistert nicht nur durch Virtuosität, sondern auch durch seinen Groove und die Art, wie er in seinen Melodien syrische Musik mit Jazz verbindet. So geht musikalischer Dialog über Grenzen hinweg.

Nun lebt das Morgenland Festival von Gegensätzen. Deshalb arbeiten der Chinese Wu Wei und die Neue Hofkapelle Osnabrück zusammen; die chinesische Mundorgel Sheng trifft ein Spezialensemble für historische Aufführungspraxis. Natürlich gehören da Bach und Rameau zum Programm, so richtig zur Sache aber geht es, wenn Wu Wei in Arrangements chinesischer Musik das Ensemble vom Notenblatt löst und per Improvisationen ins Mischgebiet aus Klassik, Avantgarde und, dank der Toots-Thielemans-Anklänge der Sheng, Jazz führt. Eine erfrischende Mischung.

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Das Finale gehört dem Gesang von Simin Tander und Rabih Lahoud. Ein weiterer Dialog, der seine Spannung aus Gegensätzen entwickelt: hier der raue Ausdruck von Lahoud, der direkt aus dem Bauch kommt und in den Bauch trifft, da der schwebende Gleitflug von Tanders artifizieller Vokalartistik. Den Zusammenhalt schafft am Klavier ein bemerkenswert zurückhaltender Florian Weber. Und einmal mehr hört man dem Festival gar nicht an, wie sehr es aus der Not geboren war. Zu dieser Not gehörte, dass Dreyer es komplett auf die Open-Air-Bühne verlegt hat – und gerade das hat die zauberhafte Atmosphäre ausgemacht.