The Bright Future Ensemble

Music Week

Tallinn

Von Angela Ballhorn. 2020 hat Corona die Kulturszene ordentlich geschüttelt. Fast alle Konzerte und Festivals wurden abgesagt. Estland hat sich getraut und die Tallinn Music Week aus der Lockdown-Zeit auf Ende August verschoben. An dem Wochenende mit tollen Konzerten, vielen Konferenzen, Workshops, Panels und Podiumsdiskussionen nahmen 140 Künstler aus zehn Ländern teil, 160 Freiwillige lotsten 11.399 Festivalbesucher durch 60 Locations. Dazu kamen 778 Konferenzteilnehmer (digital zugeschaltet oder vor Ort).

Der Mut, das Festival durchzuziehen, hat sich ausgezahlt: Die Besucher erlebten einen bunten Querschnitt durch die estnische Musikszene, von Rock über Funk, Klassik und Jazz zu Folk.

Am Eröffnungsabend stellte das Duo Puuluup mit zwei Exemplaren der archaisch anmutenden Hiiu Kannel, einer gestrichenen Leier, samt einer stattlichen Anzahl von Loop-Geräten eine witzige Mischung aus Folk, Reggae und afrikanischer Musik auf die Bühne. Der Folk-Abend am letzten Festivaltag hatte mit dem Wetter zu kämpfen, nach zuvor viel Sonne regnete es und ließ die Fans unter Schirmen stehen oder zu überdachten Konzerten huschen. Die Funk Night fand mit ungewohnt viel Publikum statt, zwar waren alle Eingänge reichlich mit Desinfektionsmittelspendern bestückt, die Zuschauer kamen aber ohne Masken. Tanzen und Mitsingen ohne Mindestabstand fühlte sich etwas unsicher an, doch die Musik, vor allem Sofia Rubina und die Abräumer Lexsoul Dancemachine, brachte mit irrwitzigen Grooves und viel Humor den Saal zum Tanzen.

Unter den Jazzacts war Kadri Voorands Duo mit Bassist Mihkel Mälgand gleich am Eröffnungsabend ein Knaller. Doch auch Titoks, ein junges Trio mit Geige, Gitarre und Bass, das im Stil von Django Reinhardt und Stéphane Grappelli spielt, begeisterte mit Virtuosität. Der junge Pianist Joel Remmel spielte seine Solokompositionen mit viel Ruhe und großen melodischen Bögen. Die Kontrabassistin Mingo Rajandi, die gerade eine neue CD veröffentlicht hat, stellte mit ihrem Quintett Songs in interessanten Formen vor. Eindrückliche Texte und ungewohnte Taktarten und Grooves führten weg von alten Hörgewohnheiten.

Ganz wild wurde es dann bei The Meat, einer neuen Trioformation mit dem Finnen Ilmari Heikinheimo (dr), dem Norweger Christian Meaas Svendsen (b) und der Estin Kirke Karja (p). Das Dreierkollektiv brachte brachiale Energie auf die Bühne. Fantastisch war auch das Chorkonzert in der kleinen Kalju-Kirche, der Frauenchor der Technischen Universität und der gemischte HUIK! Chor bestachen mit geschlossenem Klang und überraschten mit modernen Kompositionen mit schwer zu singenden Intervallen und Modulationen.

Bei einer Podiumsdiskussion konnte man die sympathische estnische Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid erleben, die analytisch und wissenschaftlich fundiert Probleme der Corona-Zeit und die Bedeutung von Kultur für das Land sezierte. In vielen Konferenzen und Panel-Diskussionen gab es regen Austausch der europäischen Jazzszene, aktuell natürlich zur Corona- Problematik wie Streaming oder Ticket-Refunding, aber auch zu Networking, Ausbildung und Management-Tipps.

Toll, dass Tallinn sich getraut hat – die Konzerte, die in der ganzen Stadt verteilt waren, hatten guten Zulauf, und sogar das Wetter spielte mit viel blauem Himmel mit. Die nächste Tallinn Music Week soll vom 6. bis 9. Mai 2021 stattfinden.