©Maria Frodl

Playground4

Die Gefundenen

Nicht gesucht und doch gefunden – so fangen die besten Geschichten an. Auch diese. Auf seiner Homepage stellt sich Playground4 kurz und bündig als „internationale Woman-Jazz-Formation aus D-A-CH“ mit „Eigenkompositionen, Jazzflute, Piano, Bass, Percussion“ vor. Damit es aber überhaupt zur Quartettwerdung kommen konnte, bedurfte es der Kernelemente guter Geschichten: vom Glücksfall des Kennenlernens über allerlei Irrungen und Wirrungen bis hin zum gemeinsamen Ziel.

Von Victoriah Szirmai

Erstmals getroffen haben sich Stephanie Wagner, Ester Bächlin und Gina Schwarz Ende 2014 als Dozentinnen der Hessischen Frauenmusikwoche, Perkussionistin Ingrid Oberkanins kam 2017 nach einigen Formationswechseln, während derer man mit Vocals, Drums und Saxofon experimentierte, dazu – und blieb. Eine Band hatte sich gefunden. Aufgrund der bestimmten Klangfarbe, die den Gründungsmitgliedern schon immer vorgeschwebt und die sich nun endlich materialisiert hatte, sollten die Kompositionen fortan bewusst dem neuen Quartett auf den Leib geschrieben werden. Dass sich dieses ausschließlich aus Frauen rekrutiert, ist dagegen reiner Zufall, wie der deutsche Teil des Kleeblatts, Flötistin Stephanie Wagner, versichert. „Wir haben jetzt nicht gesagt: Wir gründen eine Frauenband. Wir haben uns zufällig bei dem Workshop kennengelernt – und Ingrid spielt eben hervorragend Perkussion, also nahmen wir sie dazu.“

Braucht es im Jazz überhaupt noch Formate explizit für Frauen wie die Hessische Frauenwoche? „Das hab ich mich auch gefragt, als ich dazu eingeladen wurde“, erinnert sich Wagner, „und hatte es auch schon fast wieder vergessen, bis ich dort ankam und merkte: Stimmt, das war ja der Workshop mit den vielen Frauen. Auch, wenn ich allein Workshops gebe, melden sich außerordentlich viele Frauen an. Für viele Amateurmusikerinnen ist es vielleicht doch noch mal eine zusätzliche Hürde, bei Männern Unterricht zu nehmen. Es kann einfacher sein, wenn einem eine Frau das beibringt, weil man sich in der Improvisation ja sehr öffnen muss. Man erzählt da eine sehr persönliche Geschichte und muss dafür auch ein gewisses Selbstbewusstsein an den Tag legen, um zu sagen: Das ist jetzt meine Stimme. Vielleicht öffnen sich Frauen da eher gegenüber anderen Frauen.“

Nachdem man in der neuen Besetzung einige Konzerte gegeben hatte, war schnell klar, dass die Chemie zwischen den Musikerinnen auf CD gebannt gehörte. Das Ergebnis heißt Hit the Ground Running und schlängelt sich mit „Lily of the Nile“ voller außereuropäischer Skalen regenzaubergerasselreich an, überstrahlt von einer zunächst zum Beatboxing entfremdeten Altflöte, geerdet vom magischen Klang des Hang. Wagner nennt es „Jazz mit Weltmusikanteilen“, der sich samt einem nahezu naiv anmutenden Sechs-Ton-Motiv, das ein Kind auf der Schaukel selbstvergessen vor sich hin summen könnte, schon auf „Mäander“ derart lebensfroh, fröhlich, ja freundlich gibt, dass sich einem der Bandname sofort erschließt. Die Ballade „Grandma’s Musicbox“ bringt – durchaus fordernd, nie einlullend – Wärme und Wohlgefühl ins Spiel, während „Earwalk“ sich nach einem innerhalb kürzester Zeit aufgebauten Drohszenario zu etwas Wunderschönem auflöst.

Mit dem Titeltrack versetzt das Quartett den Hörer mit Rhodes und packendem Groove in einen urbanen Club, wären nicht auch hier diese modalen Skalen, die einerseits ein spirituelles, andererseits ein fremde Kulturen evozierendes Element in die Musik bringen. „Und Offenheit!“, ergänzt Wagner. „Die modale Tonalität gibt die Freiheit, dass man auch ausbrechen kann. Durch ein festgezurrtes Harmonieschema ist man viel eingeschränkter. Dieses Modale macht auf.“ Wie zum Beispiel in der Bächlein-Ballade „Schmetterling“, die sich wie ein verwunschener Märchenfilmsoundtrack geriert.

Spätestens mit „Dedication to Nguyên Lê & Esbjörn Svensson“, wo sich ein repetitives Kurzmotiv tief ins Gedächtnis fräst, bevor der sanfte Rhodes-Ausklang den im Entstehen begriffenen Ohrwurm mitnimmt, hat man sich vollends in das Album eingehört. Vorsichtig klopft danach die aus Klangclustern bestehende „Ouverture“ an die Tür, öffnet sie einen Spalt, jederzeit bereit, sich beim kleinsten Hinweis auf Unerwünschtsein zurückzuziehen, während „Laubbläser versus Laubsauger“ zunächst als Reprise des Openers durchgehen könnte, bevor er mit enervierendem Flötenton seinem Titel gerecht wird.

Der mit präpariertem Klavier aufwartende Closer „From Shenandoah“ – gewidmet der Heimatstadt Charlie Hadens – bringt das Ganze besänftigt nach Hause, weckt er doch Erinnerungen an unbestimmt Gutes, ob ans wohlige Einigeln an einem Regentag oder diesen besonderen Aprilnachmittag in Paris. Wie ein Duft, der unvermittelt kindliche Geborgenheit beschert, oder ein Melodiefragment, dass an die großväterliche Schallplattensammlung denken lässt, erinnert er an längst vergangenes Glück.

Bei aller Unterschiedlichkeit der vier musikalischen Charaktere wirkt Hit the Ground Running immer wie aus einer Hand. Man hat sich aufeinander eingespielt, die musikalische Sprache der anderen zu eigen gemacht und weiterentwickelt. „Das ist das Spannende an diesem Quartett“, resümiert Wagner. „Man muss sich öffnen für das, was der andere mitbringt.“ Wie bei jeder seligen Spielplatzstunde weiß man vorher nicht, was einen erwartet. Aber nachher weiß man: Es war gut, dass man genau hier, genau so zusammengefunden und zusammengespielt hat.

Aktuelles Album:

Playground4: Hit the Ground Running (JazzHausMusik / Al!ve)