Reflektor John Zorn

Elbphilharmonie, Hamburg

Von Guido Diesing. Als jemand, der sich beim Publikum einschmeicheln will, ist John Zorn nun wirklich nicht bekannt. „Wenn es den Leuten nicht gefällt – fuck you! Ich bin nicht hier, um euch zufriedenzustellen“, betonte er noch beim einleitenden Künstlergespräch zum Festival „Reflektor John Zorn“ in der Elbphilharmonie. Umso bemerkenswerter, in welcher Harmonie das Festival vier Tage später endete: Das tobende, völlig begeisterte Publikum wollte den Saxofonisten und Komponisten gar nicht mehr von der Bühne des Großen Saals lassen, und Zorn verkündete enthusiastisch, sein Aufenthalt in Hamburg sei einer der Höhepunkte seines kreativen Lebens gewesen.

Dazwischen lagen nicht weniger als vierzehn (!) Konzerte, die die enormen Kontraste im Schaffen des 68-Jährigen zwischen eingängig und sperrig, brachial und delikat, frei und streng zeigten. Neben Jazz und Noise umfasste das Programm Streichquartette, Orgelmusik, klassische Lieder, Kammermusik und sogar das legendäre alte Game Piece Cobra. Umrahmt wurde das Festival von drei unterschiedlich alten Masada-Besetzungen. Ein Doppelkonzert zu Beginn bot die seltene Gelegenheit, das Originalquartett um die Zorn-Veteranen Dave Douglas (tp), Greg Cohen (b) und Joey Baron (dr), das in den 1990ern am Beginn von Zorns Besinnung auf seine jüdischen Wurzeln stand, mit dem vor gut zwei Jahren gegründeten New Masada Quartet zu vergleichen. Beide Gruppen ließen in Sachen Spielfreude, Virtuosität und Frische keine Wünsche offen. Doch auch wenn sie aus demselben Fundus an Kompositionen schöpften, war eine interessante Verschiebung der stilistischen Schwerpunkte zu erkennen. Stand beim Originalquartett die Begegnung von Ornette-Coleman-Gestus mit den charakteristischen übermäßigen Intervallen jüdischer Skalen im Mittelpunkt, fächerte sich die Klangwelt beim neuen Quartett weiter auf. Zu den hinzutretenden Latin- und Exotica-Einflüssen überraschte Zorn in seinen Soli mit einem so cleanen Ton, wie man ihn selten von ihm gehört hat. Großen Eindruck machten das flüssige Spiel und die technische Brillanz von Julian Lage (g), etwa im Intro zu „Rigal“, auch die Rhythmusgruppe aus Jorge Roeder (b) und Kenny Wollesen (dr) bekam Raum, um solistisch zu glänzen.

Die abschließende Vereinigung beider Gruppen zum kraftvollen Septet mit zwei Kontrabässen und zwei Schlagzeugen war ein irrer Spaß, aber noch halbwegs gezügelt, verglichen mit dem, was drei Abende später folgen sollte: Am Schlusspunkt des Festivals stand die Weltpremiere von New Electric Masada. In coronabedingt leicht modifizierter neunköpfiger Besetzung brachte die Band in langen modalen Passagen über treibende Grooves den Saal zum Beben. Im Halbkreis um Zeremonienmeister Zorn gruppiert, der das Geschehen per Handzeichen ordnete, verbanden die Musiker höchst konzentriert blitzschnelle Wechsel zu einer stimmigen Dramaturgie. Wieder begeisterte Julian Lage, neben dem selbst Altmeister Bill Frisell fast ein wenig blass wirkte. Von Trevor Dunn am E-Bass zusammengehalten und durch Cyro Baptista (perc) verstärkt, steigerten sich die Drummer Baron und Wollesen zum Ende hin in schwere Beats, die das Elphi-Publikum in kopfwackelnde Metalheads verwandelte – ein angemessen skurriler Anblick am Ende eines denkwürdigen Festivals.