Bastian Jütte Quartett

The Cure

Laika / Rough Trade

4,5 Sterne

Die Wucht, mit der es in der ersten Nummer „Post City“ losgeht, ist nur ein, wenn auch gewichtiger musikalischer Aspekt von The Cure, dem neuen Album des Quartetts von Drummer Bastian Jütte. „Gerade in derart tristen Zeiten ist Musik für mich ein wahres Wundermittel mal auf subtile, empfindsame Art, mal direkt und roh“, so der Leader zur Produktion, die schon Anfang 2020, kurz vor dem ersten bundesweiten Lockdown, eingespielt wurde. Zwei Jahre danach bekommen diese Worte angesichts der dramatischen gegenwärtigen Lage umso mehr Bedeutung. Die zehn Stücke, alle von Jütte geschrieben und produziert, bieten im Grunde das, was eine überzeugende Aufnahme braucht: guten Sound, durchdachten Aufbau mit entsprechender Entwicklung der Songs, virtuoses wie filigranes Zusammenspiel der Musiker (sax, p, b, dr) und vielfältige Stimmungen. Trotz aller rhythmischen Vertracktheiten und Finessen inklusive ungerader Metren ist die Einspielung von starker melodiöser und lyrischer Kraft. Bei „Family Affair“ sieht man förmlich eine Feder oder ein Blatt bei leichter Brise verspielt dahinschweben. „Country Song“ ist eine knapp elf-minütige Stomp-&-Groove-Nummer, die trotz ihrer rhythmisch-erdigen Schlichtheit durch die Improvisationen auf ein anderes Level gehievt wird. Demgegenüber wird die Qualität der Band ebenso in Passagen mit bis zum Bersten hoher Dichte deutlich. Florian Trübsbach (as, ss) im Fußball-Jargon: „Wir sind viel Risiko gegangen, haben Kurzpass-Spiel auf engstem Raum betrieben und uns auf diese Art kreative Freiräume erarbeitet.“ Die komplexe Gestaltung wie der Flow der Musik zwingen geradezu zum mehrmaligen Hören, um alle Feinheiten zu entdecken.

Andreas Ebert

By the Way

Time for Blue

Mons / NRW

4 Sterne

Zurücklehnen und entspannen, während andere charmant swingen: Time for Blue, das Debütalbum des Kölner Trios By the Way, macht es einem leicht, sich wohlzufühlen. Drei Standards, sieben Eigenkompositionen und die Repeat-Funktion des CD-Players reichen völlig aus, zumindest sofern man Jazz nicht ausschließlich dort verortet, wo Konventionen gesprengt und Grenzen überschritten werden. Nein, was der Musikhochschuldozent und Pianist Frank Wunsch zusammen mit seinen ehemaligen Studentinnen Emese Mühl (voc) und Christine Zurhausen (g) präsentiert, ist sicherlich nicht revolutionär. Aber schön. Wirklich schön. Ausgehend von der generationenübergreifenden Harmonie, die zwischen dem 76-jährigen Wunsch und den beiden jungen Damen besteht, hat das Trio filigrane, oft tänzerisch anmutende Arrangements geschaffen, die durch die ätherische Stimme Mühls und das sich gegenseitig stützende und ergänzende Spiel von Wunsch und Zurhausen eine stimmige Einheit bilden. Insbesondere die Stücke aus dem Great American Songbook sind dabei ganz bewusst konventionell gehalten. Emese Mühl interpretiert „Ain’t Misbehavin’“ und „No Moon at All“ schnörkellos und mit einer Leichtigkeit, die durch das feine Zusammenspiel von Gitarre und Piano noch unterstrichen wird. „In the Wee Small Hours of the Morning“ und Frank Wunschs titelgebende Komposition „Time for Blue“, zu der Mühl den Text beigesteuert hat, kommen dagegen mit intensiver Melancholie daher, während Warum die Eile“ – wie die Hälfte der Stücke aus der Feder von Christian Zurhausen mit leichtem Bossa-Rhythmus aufwartet. Der Rest des Albums wechselt zwischen diesen Polen, abgesehen von dem eigenwilligen „BTFW“, das als einzige Nummer Ansätze des Modern Jazz aufweist. Und selbst das passt irgendwie zu By the Way.

Thomas Kölsch

Brad Mehldau

Jacob’s Ladder

Nonesuch / Warner

5 Sterne

Herrje: Hegel, Heavy Metal und die Himmelleiter – es kommt einiges zusammen auf Jacob’s Ladder, dem jüngsten Album von Brad Mehldau. „Der musikalische Leitfaden ist Prog“, lässt der US-amerikanische Pianist dazu wissen. Rush, Gentle Giant und Emerson, Lake and Palmer seien die Helden seiner frühen Jugend gewesen, über Miles Davis, Weather Report und das Mahavishnu Orchestra lief der Faden dann über Fusion zum Jazz. Dem, was Mehldau hier in zwölf – tja – „Songs“ (Kapiteln?) offeriert, ist allerdings weder als Jazz noch als Fusion beizukommen; „- maybe as his skies are wide -“, Eingang in diesen dantesken Bau, erinnert tatsächlich eher an Canterbury-Komplexitäten (Soft Machine, Matching Mole, Henry Cow). Unmittelbar gefolgt von „Herr und Knecht“, das mit deutschem Text von Tobias Bader („screaming metal Hegel vocals“) ungefähr so klingt, als seien die Goldenen Zitronen angetreten, um John Zorn den Schneid abzukaufen. Ähnlich bizarr geht es weiter: Kontrastprogramm mit jeder Drehung des Kaleidoskops: Becca Stevens legt „(Entr’acte) Glam Perfume“ auf, mit „Cogs in Cogs“ erfahren Gentle Giant eine Würdigung in Triptychongestalt, Doppelfuge auf dem Moog inklusive. In „Tom Sawyer“ sind Rush aufgerufen, in „Racecar“ Periphery. Doch nirgends begnügt sich der 51-jährige Grammy-Preisträger mit braver Verbeugung und Hommage – Tributes dürfen andere machen, hier ist Fallhöhe gefragt. Was kein Problem darstellt, wenn man wie Mehldau über eine Kombination aus überbordender Kreativität und Virtuosität gebietet und Ausnahmemusiker wie Cécile McLorin Salvant oder Mark Guiliana hinzubittet. Eines der herausforderndsten Alben in 2022 bislang. Brad Mehldau – immer für eine Überraschung gut.

Harry Schmidt