Reflektor Manfred Eicher
Elbphilharmonie, Hamburg
Von Jan Kobrzinowski. Der Reflektor ist das große kelchartige Etwas über der Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie, verantwortlich für die famose Raumakustik in Hamburgs berühmtem Konzertgebäude, gleichzeitig Symbol für eine Veranstaltungsreihe, in der sich Künstler ihren Reflexionen hingeben. Im Brüsseler Flagey ist im November gefeiert worden, was ECM an aktuellem Jazz zu bieten hat (wir berichteten). In Hamburg hatte Manfred Eicher freie Hand zu zeigen, was ein „Streifzug durch die Klangwelten des Labels“ darüber hinaus bietet.
Erster Akt war ein Porträt-Konzert des estnischen Komponisten Arvo Pärt, dessen Werk schon seit den 80er Jahren fest zum Repertoire der ECM New Series gehört. Größere Pärt-Experten als das Tallin Chamber Orchestra und den Estonian Philharmonic Chamber Choir unter Dirigent Tõnu Kaljuste mit dem großartigen Solisten Harry Traksmann (vi) kann es nicht geben. Gegenseitige Dankbarkeit der Beteiligten kam zum Ausdruck, als zum Schluss Eicher und Pärt persönlich mit den Akteuren auf der Bühne die stehenden Ovationen entgegennahmen. Direkt danach war es zunächst nicht einfach, von innerlichem Zuhören auf den zeitgenössischen Vollblut-Jazz des Louis Sclavis Quartet umzuschalten. Konzentriert und energiegeladen agierten die vier französischen Improvisatoren und Improvisatorinnen. Unter der Regie von Heiner Goebbels wuchtete anderntags das Ensemble Modern mit Josef Bierbichlers unprätentiösem Sprechgesang das leicht angestaubte Eislermaterial ins Licht der Aktualität. Die Inszenierung mit der originellen Aufstellung des Orchesters im Raum sorgte für einen echten Hingucker mit hohem Unterhaltungswert. Der Bratschistin Kim Kashkashian gelang mit Stücken von J.S. Bach und György Kurtág die nicht einfach zu bewerkstelligende Verbindung von Alter und Neuer Musik mittels eines allgemein als spröde geltenden Instruments. Die Musik von Anouar Brahem büßte durch die Orchestrierung mit dem Tallin Chamber Orchestra etwas von der kristallinen Klarheit ein, die man mit seinem meisterhaften Quartett in Verbindung bringt, was allerdings weder diesem noch den Kammermusikern anzulasten war. Weil immer kreativ und selten zu erleben, ist ein Auftritt von Meredith Monk an sich schon ein Ereignis. Für die Konzertversion ihrer Cellular Songs war die intime Atmosphäre des Kleinen Saals perfekt geeignet. Von Monk selbst ebenso schlicht wie ergreifend moderiert, verließen sich die fünf Frauen des Vocal Ensemble voll auf Stimmkraft und körperliche Präsenz. Daraus ergab sich die feine Mischung aus Lyrik, Interlocking Patterns, Tanz und Video-Projektion, hin und wieder sparsam mit Geige und Klavier instrumentiert.
Die Auftritte des ECM-Veteranen Egberto Gismonti und des etablierten Newcomers Avishai Cohen mit Quartett sowie des New-Series-Duos Anja Lechner (cello) & Pablo Márquez (g) rundeten das Programm ab. Vor würdiger Kulisse bot der Eicher-Reflektor Momente von lehrreich über kontemplativ bis hoch genussvoll, die Konzerte wurden begleitet von fachkundigen Einführungen des Elphi-Pressechefs Tom R. Schulz, Klaus Wiegmann und Timo Vollbrecht.
Ein Tipp in Zeiten der Livekonzert-Abstinenz: der Stream des kompletten Arvo Pärt-Konzerts unter: www.elbphilharmonie.de/de/blog/reflektor-manfred-eicher-arvo-part/305