Rhiannon Giddens – Sam Amidon
Tradition erneuern
Zwei amerikanische Musiker:innen ziehen am selben Strang, stellen sich und beantworten dieselben Fragen – und kommen zu überraschend verschiedenen Ergebnissen. Rhiannon Giddens und Sam Amidon beschäftigen sich seit Jahren mit den Wurzeln amerikanischer Musik, beide auf ihre ganz eigene Weise. Ihre neuen Alben auf Nonesuch könnten verschiedener nicht klingen, und doch sind sich die beiden in den meisten Dingen einig.
Von Jan Kobrzinowski
Ein Gespräch über American Roots und String Band Music, Traditionsbewahrer, Authentizität, musikalische Languages, Community, Tanzmusik, Schubladendenken – und was all das mit Jazz und Improvisation zu tun hat.
Jan Kobrzinowski: Rhiannon, in deinem neuen Album They’re Calling Me Home mit deinem Partner Francesco Turrisi stecken Einflüsse aus der ganzen Welt. Ist es jetzt merkwürdig für Dich, von einem Jazzmagazin interviewt zu werden?
Rhiannon Giddens: Es stört mich überhaupt nicht, im Gegenteil. Für mich gibt es eigentlich keine Mauern zwischen den Genres. Ich denke, die Grenzen sind fließend und ist alles miteinander verbunden.
Jan Kobrzinowski: Es ist ein neues Setting, was du da neuerdings bietest, Deine Stimme, manchmal nur begleitet von gestimmten Framedrums, manchmal Akkordeon, ab und zu ist dein Banjo dabei. Ist das jetzt Deine Musik, reduziert auf das Wesentliche?
Rhiannon Giddens: Ich musste sehen, dass ich ein wenig weg kam von den anderen Settings mit Trio – oft mit Bass und Schlagzeug, mit den Chocolate Drops usw. [Carolina Chocolate Drops, mit Rhiannon Giddens, Dom Flemons, Justin Robinson, Leyla McCalla] Das alles nahm irgendwann zuviel Raum ein. Es fiel zusammen damit, dass zu dem, was ich tue, mit Francesco so eine Art „Rest of the world“- Feeling hinzukam. Und dann die Frage: wo ist amerikanische Musik verortet, im Kontext dieser ganzen Welt. Ich bin bereit dafür; und unser Ansatz ist derselbe, mit dem Unterschied des Wie. So entstand mit They’re Calling Me Home ein follow-up zu There is no other. Mit dem Unterschied, dass wir, anstatt uns noch mehr herauszulehnen, mehr nach innen gingen. Ein wenig wie die andere Seite der Medaille.
Jan Kobrzinowski: Ging es hier auch mehr um die nicht-schwarze Seite der amerikanischen Musik? Mit mehr europäischen, keltischen Einflüssen oder welchen aus Asien und Afrika? Nebenbei: dein Banjo klingt manchmal wie eine Oud.
Rhiannon Giddens: Ja, denn dieses Banjo ist bundlos. Es ist ein direkter Nachkomme der Vorläufer, über Westafrika und die Karibik. Und das ist auch ein Grund dafür, dass es Francesco so anzog, weil diese ganzen Sounds einfach zusammenpassen müssen, weil sie eben Verwandte sind. Die Klänge sprechen zueinander.
Jan Kobrzinowski: Ich sehe bei Sam Amidon und dir zwei sehr unterschiedliche Ansätze, aber auch, dass ihr eigentlich am selben Thema arbeitet.
Rhiannon Giddens: Wir hatten ja beide bei diesem Projekt mit dem Kronos Quartet [Folk Songs mit Sam Amidon, Olivia Chaney, Rhiannon Giddens, Natalie Merchant u.a; auf Nonesuch] mitgemacht. Da trafen wir uns zum ersten Mal. Ich liebe die Wege, die er einschlägt. Wir beide sind im selben Universum unterwegs und versuchen herauszufinden, was Folk Music für uns heute bedeutet.
Jan Kobrzinowski: Was hat Improvisation für Dich für eine Bedeutung?
Rhiannon Giddens: Es wichtig für mich und tatsächlich kommt das aus einer ungewöhnlichen Quelle. Ich habe keinen Jazz studiert oder eine Musik, in der Improv eine Rolle spielte. Ich habe klassische Stimme studiert und vom Blatt zu singen. Aber dann geriet ich in die Welt des Contra Dance, einem amerikanischen Volkstanz. Die Musik dort besteht aus Celtic Music, Old Time, Bluegrass, Elemente amerikanischer Musik eben. Du hast einen 7- oder 8-minütigen Tanz, aber du spielst als Musikerin gerade mal 2 Tunes dazu. Diese Bands fangen einfach irgendwann an zu improvisieren. Das ist so ein Jam Band-Ding. Natürlich ist es strukturierter, weil es Musik zum Tanzen ist. Anders als im Irish Folk, wo ein kurzer Tune nach dem anderen gespielt wird.
Sam Amidon kommt, leicht verspätet, dazu: Sorry – ich befand mich echt voll im Dunst der Erleichterung und ich verlor völlig den Überblick über die Zeit [wir sprechen unmittelbar, nachdem Donald Trump gerade Washington verlassen hatte]. Ihr spracht gerade von Contra Dance, bitte, macht weiter… das ist großartig. Bist du als Tänzerin dabei gewesen oder hast du Musik gemacht?
Rhiannon Giddens: Beides. Erst habe ich getanzt und spielte noch nicht mit, ich war noch Anfängerin. Ich wusste damals noch garnicht, dass ich später mal all diese Instrumente spielen würde. Meine Beziehung zu der Musik begann damit, dass ich den Rhythmus fühlte und es ging damit weiter, dass ich hörte, was die Band da spielte und als ‚Caller‘ lernte, was Musiker tun müssen, um die Tänzer zu ‚manipulieren‘. Erst danach begann ich selber zu spielen. Und dieser Prozess formte wirklich mein Gefühl und Denken über instrumentale Musik.
Sam Amidon: Gerade neulich dachte ich an Contra Dance, als ich damit beschäftigt war, was es bedeutet, wenn in Musik Standardformen überwunden werden, etwa in einem Popsong die Abfolge von Chorus und Verse oder wie z. B. im Jazz das Thema, Solo und dann wieder Melodie. Im Contra Dance sind die Leute durch den Tanz in ihrer eigenen Welt und du kannst soviel machen, improvisieren…
Rhiannon Giddens: Ja, und du kannst die Harmonien verändern, Akkord-Changes anders platzieren und Dinge verzögern etc.
Sam Amidon: … und sie auf eine emotionale Reise mitnehmen und sie in verschiedene Zustände versetzen. Es war auch ein großer Teil meiner Teenagerzeit, in einer Contra Dance Band als Fiddle Player zu spielen. Ich glaube, dass ist einem nicht immer bewusst, aber es ist so präsent bei sovielen Dingen, die ich tue. Und ich sehe, dass diese Erfahrungen damals auch mit moderner Tanzmusik, sei es Techno oder Fela Kuti, verbunden sind.
Jan Kobrzinowski: Gut, dass ihr das erwähnt, denn ich hatte – ganz Jazzredakteur – diesen Aspekt der Tanzmusik gar nicht so auf dem Schirm…
Sam Amidon: Ja, und das ist an sich tragisch, weil Jazz auch Tanzmusik war und ist.
Rhiannon Giddens: Wir sprachen ja schon davon, die Vorstellungen des Publikums zu erweitern. Eigentlich Jazz ist eine der besten Kunstformen, über die man in diesem Zusammenhang reden kann.
Sam Amidon: Als Charlie Parker und seine Jungs den Bebop erfanden und plötzlich in kleinen Besetzungen spielten – sie nahmen diese Popsongs und spielten verdrehte Soli darüber – da war das nicht so sehr zum Tanzen wie vielmehr ein durchgeistigtes postmodernes Konzeptkunst-Ding. Und das wurde mit dieser kreativen Geste zu dem, was jetzt irgendwie alle immer noch spielen. Es ergibt eine viel größere Vielfalt, wenn du alles dazunimmst, was es in den 20 und 30er Jahre gegeben hat.
Rhiannon Giddens: Und wenn du an Bluegrass denkst: Diese erste Generation, die solch eine Kunstform kreierte, die war noch durchtränkt von Tanzmusik, Old Time Music. Und wenn nun Leute heute da herangehen, und von dort aus anfangen, wird es nicht mehr dasselbe sein.
Sam Amidon: Was Leute heute als Tradition sehen, ist so willkürlich. Dabei wurde vieles von dem, was man in unserer Kultur in Amerika heute als traditionell ansieht, eigentlich erst in den 1960ern oder 70er Jahren erfunden. Ich liebe es, zu sehen, wie die akustische Gitarre erst durch Leute wie die Rolling Stones und Joni Mitchell z.B. in die irische Musik hineingebracht worden ist. Und vorher war da Robert Johnson und Charlie Patton, die das beeinflusst haben. Das sind all die Irrwege, die das gegangen ist.
Rhiannon Giddens: Ja, und man denke an den Weg der irischen Bouzouki…
Jan Kobrzinowski: Ihr beide seid Musiker, die close to the Roots Musik machen. Jede/r auf Ihre/seine Weise verwertet traditionelles Material recht direkt weiter. Was sagen die ‚Old Folks‘ zu Eurer Art des Umgangs mit der Tradition?
Rhiannon Giddens: Meine Erfahrung ist, dass die alten, traditionellen Musiker, die in erster Linie in ihren Communities spielen – und das war das, was sie schon immer machten – die Innovation lieben. Sie sagen eher: „Oh ja, mach das – go and get it!“ Und die Leute, die sich als Türhüter der Tradition fühlen, das sind oft die von außen, die Neuerungen ablehnen. Das sind dann die, die sagen: „Oh no, that’s not traditional, that’s not how Tommy played it. Don’t teach Joe new tunes!” Es wird oft vergessen, dass du als Künstler sowieso Traditionsbewahrer bist. Und als solcher bringst du immer deine eigene Innovation in die Kunstform. Das gehört zusammen. Die Tradition verändert sich ständig. Vielleicht hatten sie 1923 gerade ein paar Drinks zuviel und den B-Teil vergessen oder sie mixten zwei Stücke zu einem zusammen und von da an wird der Tune für immer genau so gespielt.
Sam Amidon: Manchmal sind gerade die Ältesten diejenigen, die die tiefste Faszination für die Musik einpfinden, das Intuitivste Verhältnis. Die Leute hatten zu der Zeit nichts gegen Neuerungen einzuwenden. Sie hatten nur ihre eigene Version davon, was Folk Music war. Wenn du in eine Irish Folk-Session hineingerätst, werden erstmal all die Tunes für dich gleich klingen. Das Gleich wird passieren, wenn jemand zum ersten Mal Bebop hört. Es gibt dieses Ding mit den „Musical Languages“. Erst wenn du die kennenlernst, spürst du all die kleinen Unterschiede und ein Fiddler klingt irgendwann total anders als der nächste. Ich glaube, viele Leute verwechseln das manchmal mit der Frage nach Tradition oder Authentizität.
Für mich liegt in dieser Qualität der verschiedenen Sprachen das interessanteste an Musik. Wie du lang mitkriegst, auf welche Weise Musiker miteinander sprechen.
Rhiannon Giddens: Ich habe das noch nie so gesehen, aber ich finde das total richtig. Das Bewusstsein für Musical Languages vs. Genre zu steigern, gibt dir all die begleitenden Begriffe an die Hand: Wort, Dialekt, die Kombinationen und Seitenwege, die möglich sind. Das ist eine gute Sicht auf die Dinge, denn wir müssen uns klar sein, dass es die Genres vor allem aus kommerziellen Gründen gibt. Ohne dass ich sagen will, alle Musik ist die Gleiche, das ist sie nicht. Wenn du z. B. anguckst, was die musikalische Sprache im Süden in 1920ern war, als Ralph Peer herkam mit seiner willkürlichen Unterscheidung in Race- und Hillbilly-Musik. Viele der Languages glichen sich. Er nahm Unterschiede im Dialekt und machte sie zu unterschiedlichen Stilen auf verschiedenen Kontinenten. Und das ist das Problem. Die vielen Nuancen wahrzunehmen, ist viel wichtiger, als diese Unterscheidungen vorzunehmen. Es ist ein Programm, rigide zu sagen, das ist schwarz und das weiß.
Sam Amidon: Das Erbe ist auch noch eine Kategorie. Das ganze Thema ist so komplex.
Rhiannon Giddens: Ich habe nicht mehr Recht, Joe Thompsons Musik zu spielen [schwarzer String Band Music Fiddler, 1918-2012, u.a. dessen Musik wird von Rhiannons Band Carolina Chocolate Drops interpretiert] als andere, aber ich habe vielleicht mehr Tools zur Verfügung, Dinge zu verstehen, weil ich aus North Carolina komme, er ist die Generation meines Großvaters. Abgesehen davon machen wir nicht Joes Musik, sondern unsere Interpretation davon. Joe lebt nicht mehr. So ist erstmal auch „seine“ Musik tot. Er lernte Fiddle zu spielen von seinem Vater, aus der Sklavenzeit. Joes Funktion war es, ein Tanzmusiker in seiner Community zu sein, und dafür war seine Musik da. Und das ist vorbei, und wir können nicht Joes Musik in Joes Kontext machen. Wir spielen diese Musik heute in einer anderen Funktion, als Performer. Die Leute tanzen nicht mehr dazu. Das müssen wir berücksichtigen, wenn wir heute über Urherberschaft, Authentizität und all das reden.
Jan Kobrzinowski: Das bringt mich zu einer weiteren Frage. Wenn ihr 95% Musik aus einer anderen Zeit spielt, nennen wir es traditionelle Musik, wie ist es da mit der Künstler*in in Euch, die/der vielleicht etwas Eigenes, Originales in die Welt setzen möchte? Sagt der: das ist meine Musik?
Sam Amidon: Für mich ist es immer wichtig, auf meinen Platten darauf hinzuweisen, dass ich die Musik nicht selbst geschrieben habe. Zur gleichen Zeit sehe ich sie nicht unbedingt als Folk-Alben, mehr als Collagen all der verschiedenen Dinge, die ich mag, wovon traditionelle Songs eine Komponente ausmachen. In meiner Musik sind ganz viele Einflüsse präsent, auf jeden Fall auch diejenigen der Musiker, die da mitspielen. Ich möchte erreichen, dass die Leute alle diese Erfahrungen mitbekommen. Und es gibt einige Fälle, in denen ich die Musik fast komplett neu geschrieben habe. Aber die Musik zu labeln, ist für mich nicht wichtig, auch wenn andere das tun. Für mich sind die Schnittpunkte wichtiger, die Verbindungen der Einflüsse. Nicht nur stilistisch wie Arto Lindsay oder Miles Davis oder andere, es geht mir auch um die Quellen der Songs, von wem ich sie gelernt habe, mit Musikern aus verschiedenen Ecken, Generationen zu spielen. Einmal kam der Trompeter Kenny Wheeler mal dazu und spielte auf zwei Tracks mit. Es geht um die Verbindungen zu anderen Welten, die dadurch zustande kommen, z.B. mit dem Perkussionisten Milford Graves, der auf meinem letzten Album dabei war. Es geht mir darum, das Netzwerk dieses Baumes zu erweitern, abseits der Quelle des Folksongs.
Rhiannon Giddens: Auf eine Weise sagen wir alle dasselbe. Und deswegen sind die Schnittstellen da. Für mein neues Album sitzen wir hier im Studio mit Francesco, der eine Oberton-Trommel spielt, mit diesem wundervollen kongolesischen Gitarristen Niwel Tsumbu und ich mit einem Banjo. Irgendwie sind wir alle Ex-Pats hier in einem Stein-Cottage in Irland, mit Kühen drum herum und wir nehmen Songs aus North Carolina auf, weil wir alle im Moment nicht in der Lage sind, nach Hause zu fahren. Für mich spricht das aus: das ist, was ich will. Da ist die Verbindung so stark, da gibt keine Frage mehr.
Sam Amidon: Das, was ich an dieser überlieferten Qualität der Folk Songs so wunderbar finde, ist, wie sie einige der existenziellen Fragen des Lebens beantworten. Auf welche verbundene Weise sie mit Gefühlen, mit Dingen wie Liebe, Krankheit, Tod und Trauer umgehen.
Rhiannon Giddens: Jede Generation findet die Wahrheit in ihnen; wie könnten Lyrics wie in „O Death“ nicht universell empfundende Gefühle ausdrücken?
Rhiannon verabschiedet sich …
Sam Amidon: Wir haben zwar die Kronos Quartet-Geschichte zusammen gemacht, hatten aber nie die Gelegenheit, über so etwas zu reden. Großartig. Ich habe wirklich eher Patchwork-Kenntnisse über die Geschichte von Folk und String Band Music. Rhiannon ist wunderbar, sie hat richtig tiefes Wissen darüber. Weißt du, ich hatte zwar das Glück, all das Zeug in ganz jungen Jahren kennengelernt zu haben, mir sind die schwarzen und auch die multiracial Roots der String Band Music bewusst, ich hatte sogar Gelegenheit, Joe Thompson zu hören, aber Rhiannon hat fast im Alleingang den ganzen Diskurs darüber in Amerika verändert – du merkst das daran, wie sie darüber redet.
Jan Kobrzinowski: Aber auch du hast tief nachgeforscht.
Sam Amidon: Ja, ich habe z.B. Zeit mit Bruce Greene verbracht. Für mich waren es die Fiddle-Stile, irische und dann verschiedene amerikanische Mountain-Fiddler. Weniger deren Geschichte, als dass ich Hunderte von Stunden mit dem Ohr an den Aufnahmen dran war. Die tiefen, subtilen Elemente des Phrasierens und Streichens, der Intonation. Ich bin nun hauptsächlich Sänger, aber das Fiddle-Spielen hat eigentlich meinen Gesang durchdrungen. Den größten Einfluss auf meinen Gesang hatten Fiddle-Spieler, irische und amerikanische. Als ich meine ersten Alben aufnahm, ging es mir immer mehr um diesen experimentellen Spielraum, ich fühlte mich nicht als Folk-Sänger.
Jan Kobrzinowski: So experimentell das ist, man spürt großen Respekt vor der Musik, auf die du zurückgreifst.
Sam Amidon: Danke. Ich glaube, wenn du diese Musik einfach liebst, musst du dir gar keine Sorgen darum machen, ob du Respekt davor hast. Wenn diese Liebe da ist, kannst du es in der Musik hören.
Jan Kobrzinowski: Das Down Home-Feeling, Old Home Place u.a. sind ehrliche, tief empfundene Aspekte, die in den Texten immer wieder anklingen. Wie wichtig ist das für dich?
Sam Amidon: Das ist eine gute Frage. Die allgemeinere Antwort ist: Das mir wichtigste Element ist das Musizieren für die Gemeinschaft [community music making]. Darin existiert für mich auch die Verbindung zur Improvisation. Folk Music, Mountain- und Old Time Style sind nicht notwendigerweise improvisierte Musik im strengen Sinne. Vielleicht in der Phrasierung, es ist ungebundene und nicht notierte Musik, aber es nicht geht darum, verrückte improvisierte Melodien zu erfinden. Das improvisatorische daran ist für mich das Community-Element. Wenn du mit Leuten improvisierst, ist das ein sozialer Akt. Die ganze Zeit zu spielen wäre wie, wenn du zu einer Party gehst und die ganze Zeit redest. Wenn du zu einer Tune-Session gehst, holst du nicht deine Fiddle raus und spielst drauf los, du hörst du erstmal zu, was die anderen spielen, welche Art Tunes sie spielen, gibst dich dem Tempo hin. Obwohl in meiner Musik nun eher die Tunes als Ausgangspunkt zur Erfindung von etwas Neuem dient, entstehen meine Platten mehr durch diesen Community-Prozess mit Musikern, denen ich vertraue, und ich gebe ihnen viel Raum, um dieses Element auf den Tisch zu bringen.
Sam Amidon stellt auch auf dem neuen Album wieder traditionelle Folk-, Gospel- und Bluessongs in einen innovativen Klangkontext. Seine entspannt-verschlafene Folksinger-Stimme lehnt dabei an seinem tragenden Picking auf 5-String-Banjo und akustischer Gitarre, manchmal spacig-gesplittet und kontrastiert von holpernden Saxofonbausteinen Sam Gendels und Bert Cools‘ E-Gitarrensounds. Unterstützt wird Sam vom Einfallsreichtum langjähriger Partner wie Shahzad Ismaily (b, g), Ruth Goller (b) und Chris Vatalaro (dr). Sehenswert: die Official Videos auf YouTube.
CDs: Rhiannon Giddens – They’re Calling Me Home (Nonesuch/Warner)
Sam Amidon – s/t (Nonesuch/Warner)