Shalosh
Das Prinzip Hoffnung
Das israelische Lebensgefühl fasst Shalosh nicht zum ersten Mal in Töne. Schon auf dem 2015er-Debütalbum des Trios wurde dem manchmal schizophrenen Alltag in Israel mit „Jerusalem State of Mind“ ein musikalisches Denkmal gesetzt. Da ist es nur konsequent, dass sich auf dem dritten Album Onwards and Upwards eine ganze Geschichte über diesen Zustand entspinnt. Sie endet, so viel vorab, vorsichtig optimistisch.
Von Victoriah Szirmai
Am Anfang steht dieses diffuse Gefühl einer Beklemmung, in das sich mehr und mehr Erleichterung mischt – analog jenem kurzen Moment der Stille nach dem Sturm, bevor ein erstes Regen in Gang kommt. Der Opener „After the War“ hebt so vorsichtig, sanft, ja: watteweich an, dass er dem behutsamen Öffnen einer Tür gleicht. Nach knapp anderthalb Minuten scheint man dann beschlossen zu haben, dass es jetzt mal mit der Zartheit langt, um einen mit pentatonisch angehauchten Melodietupfern versetzten dreckigen, ungestüm boogie-artigen Uptempo-Beat dahinzurotzen, bevor man zur sich wieder des sachten Tons besinnt. Zurück bleibt ein gewisser, der gerade überstandenen Adrenalinausschüttung geschuldeter Alarmismus. „In dem Song“, so Tastenmann Gadi Stern, „geht es um die Absurdität von Krieg. Er versucht, mit den Mitteln der Musik den Zustand davor, währenddessen und danach zu beschreiben. Gleichzeitig soll es ein hoffnungsvoller Song sein, der mit einer melancholisch-positiven Note endet. Wir versuchen, einfach weiterzumachen.“
Eine Losung, die für das gesamte Album Gültigkeit beansprucht, dem ein melancholischer, aber auch optimistischer Ton eignet, als wäre man einerseits in Trauer befangen über all jenes, was im Krieg verloren gegangen ist, gleichzeitig aber voller Hoffnung auf das Leben, das weitergeht. Drummer Matan Assayag bestätigt: „Das ist genau die Situation in Israel. Wir sind immer traurig über das, was passiert ist, und hoffen gleichzeitig auf das Beste.“
„Children of the 90’s“ gestattet einen Blick in die Kindheit des – nicht als „ein weiteres Pianotrio“, sondern als Band gesehen und gehört werden wollenden – Dreibundes, der von David Michaeli (b) komplettiert wird und sich schon seit Schulzeiten kennt. Ein Coming-of-Age-Song voller Alice-im-Wunderland-artiger Momente des Staunens über die Welt und die seltsamen Dinge, die in ihr sind, während es zur anschließenden „Meditation“ nicht viel mehr zu sagen gibt als: nomen est omen. Eine Überraschung dann die nervöse Interpretation von „You’ll Never Walk Alone“ aus dem Musical Carousel, an dessen Bombast Shalosh unbedingt festhält. Wieso gerade dieser Broadway-Schmachtfetzen? „Wir mögen epische Momente zur emotionalen Katharsis, und dieser Song ist der epischste von allen, inklusive jedes nur vorstellbaren harmonischen Klischees“, erklärt Stern. „Davon abgesehen glaube ich, dass er ein heimlicher Jazzstandard ist, der einfach nur nie gespielt wird.“
Nach diesem Ausbruch gibt sich die Moritat „The Impossible Love Story of Jackie and Hanan“ wieder ganz der sanften Tonalität des Albumflusses hin, die hier nur deshalb ein bisschen wehtut, weil Stern seine Rhodes wie eine verzerrte E-Gitarre heulen lässt. „Sinan, and His Never Ending War Against the Bureaucracy Robots“ überlässt die Distortion dem Kontrabass, um einen Don-Quijote-artigen Kampf des Individuums gegen die Windmühlen der Bürokratie zu illustrieren, den Stern am besten im Fritz-Lang-Film Metropolis verkörpert sieht.
Die größte Überraschung lauert jedoch, als Bruchteile einer seltsam bekannten Melodie an die Oberfläche drängen und genauso schnell wieder im Schwurbelklang verschwinden, bevor mit dem Refrain der Aha-Effekt einsetzt – und zwar im Wortsinne, hat man sich mit „Take on Me“ doch den Spaß gemacht, die norwegische Band mit ihrem größten Hit zu covern. a-ha! „Unser Plan war es, das Publikum zu verblüffen. Es ist doch am besten, wenn du den Song zu Beginn nicht erkennst, aber wenn du es dann tust …“, freut sich Assayag wie ein Kind über einen gelungenen Streich. „Auch, um Humor auszudrücken“, fügt Stern hinzu, „denn irgendwas im modernen Jazz ist so ernsthaft geworden, gerade auch auf der Bühne. Dabei ist Humor doch so ein wichtiger Teil von Jazz. Sinatra und Gillespie und all diese Typen haben viel mit dem Publikum gescherzt. Dem Jazz auf spielerische Weise ein Pop-Cover unterzuschummeln, ist so ein Scherz, der für unsere Konzerte wichtig ist.“
Im „Tune for Mr. Ahmad Jamal“, dessen Melodie stark an Ten Sharps „You“ erinnert, und mit dem eher einer Meditation denn einem Wiegenlied ähnelnden „Lullabye“ kumuliert der positive Melancholismus des Albums. Shalosh setzt der melancholischen Grundannahme „Es ist kein Heil“ hier ein beherztes „Doch“ entgegen – und das umso mehr, wenn das Trio im abschließenden Titelstück einen menschlichen Chor auffährt, der der Hoffnung eine Stimme verleiht. Wie die ganze Platte hat sich das Stück aus etwa zweihundert Konzerten entwickelt, bevor es aufgenommen wurde. Sang hier zunächst das Publikum, beschloss Shalosh, für die Aufnahme eine Handvoll Freunde singen zu lassen – ungeübt, unperfekt, aber eben sehr menschlich. Und das Urmenschliche, das Allermenschlichste ist nun einmal die Hoffnung. In Israel angesichts der alltäglichen Herausforderung einer permanenten Bedrohung vielleicht noch ein bisschen mehr als anderswo.
Aktuelle CD:
Shalosh: Onwards and Upwards (ACT / Edel:Kultur)