Sophie Tassignon

Ein langer Weg

© Katrin Andrzejewski

Dass Sprache für Sängerinnen und Sänger ein wichtiges Thema ist, ist keine überraschende Erkenntnis. Für Sophie Tassignon und das Debüt ihrer neuen Band Khyal ist sie aber noch mehr: Sie ist Ausgangspunkt und Basis des gesamten Projekts, das sich um ganz praktische Völkerverständigung dreht.

Von Guido Diesing

Die Wurzeln von Khyal reichen bis ins Jahr 2017 zurück. Nachdem nur zwei Straßen von ihrer Berliner Wohnung entfernt ein Auffanglager für Geflüchtete aus Syrien eingerichtet worden war, hatte Sophie Tassignon den Impuls, sich zu engagieren. „Ich dachte: Es gibt eine Million Geflüchtete in Deutschland, die sich integrieren und Deutsch lernen sollen. Ich könnte mich doch auch in deren Kultur integrieren und versuchen zu verstehen, was hinter dieser Kultur steckt, die wir wirklich gar nicht kennen. Ich wollte das mal besser erkunden.“ Nachdem erste Freundschaften mit den neuen syrischen Nachbarn gewachsen waren, stand ihr Entschluss fest: „Dann lern ich halt Arabisch! Ist doch bestimmt nicht so schwer.“

Nun ist die gebürtige Belgierin durchaus sprachbegabt, hat als Kind sechs Jahre in Deutschland gelebt und neben ihrer Muttersprache Französisch schon damals fließend Deutsch gelernt, später dann Englisch und Niederländisch und mit 17 noch Russisch. Aber Arabisch? „Das war so eine Herausforderung“, sagt sie und lacht. In der Sängerin reifte die Idee, Jazzstücke mit arabischen Texten zu komponieren, aus zwei Gründen: Einerseits bekam sie von ihren syrischen Freunden die Rückmeldung: „Deine Musik verstehen wir nicht. Wir haben dazu keinen Zugang, weil wir nicht mit westlicher Musik aufgewachsen sind.“ Andererseits spürte sie, wie stark in ihnen die Liebe zur Poesie war. „Ich fand die Idee cool: Modern Jazz, also meine Tradition, und arabische Texte.“ Es sollte ein langer Weg werden bis zum fertigen Album.

Was Sophie Tassignon zu diesem Zeitpunkt hatte: Erstens eine hervorragend besetzte Band mit Peter Van Huffel (as, bars), Hub Hildenbrand, der an der Gitarre mittlerweile von Peter Meyer ersetzt wurde, Roland Fidezius (b) und Mathias Ruppnig (dr). Zweitens das Konzept, ihrer musikalischen Linie treu zu bleiben und gar nicht erst zu versuchen, arabische Musik zu imitieren: „Wenn ich das versucht hätte, wäre das eine Art schlechte Kopie geworden.“ Und drittens ihre neu erworbenen Sprachkenntnisse, die es ihr dennoch nicht leicht machten: „Ich kann die Schrift lesen, aber die Vokale und die Betonungen werden nicht aufgeschrieben. Du musst es auswendig lernen und üben, üben, üben. Ich habe zwei Monate gebraucht, um das erste Lied zu schreiben, auf Englisch brauche ich zwei Stunden.“

2019 fanden die ersten Proben statt, dann wurde das Projekt von der Pandemie ausgebremst – keine Probenarbeit, kein gemeinsames Entwickeln des Programms, keine Auftritte. Erst 2021 – in der Zwischenzeit hatte Tassignon in unzähligen Skype- und Zoom-Meetings mit ihrem Arabischlehrer, einem Libanesen in Abu Dhabi, an den Texten und ihrer Aussprache gefeilt – ging es weiter. Staatliche Förderung aus einem Corona-Hilfstopf ermöglichten ihr drei Monate intensiver Proben und die Aufnahme des jetzt endlich erscheinenden Khyal-Debüts.

Die vertonten Gedichte stammen je zur Hälfte vom syrischen Dichter Mohammad Mallak und Tassignon selbst. Besonders wichtig ist ihr der Song „Time Is Your Only Healer“. „Es ist ein Gedicht, mit dem ich den Flüchtlingen liebevoll Mut zusprechen möchte, denn die Zeit wird ihnen helfen, die Wunden ihres Lebens zu heilen. Sie haben die Entscheidung getroffen, dieses enorme Risiko auf sich zu nehmen, über die Wellen in ein neues Land zu kommen, alleine einer neuen Kultur zu begegnen, die leider nicht immer freundlich rüberkommt. Auf der einen Seite steht eine bessere Lebensqualität, auf der anderen die Tatsache, dass man seine Familie und seine Rituale vermisst und eine neue Sprache lernen muss. Es lag mir sehr am Herzen, diesen Text auf Arabisch zu singen.“

Es ist gleichzeitig das Stück, das am deutlichsten die experimentelle Seite durchscheinen lässt, die in der Anfangszeit der Sängerin eine größere Rolle gespielt hat. Die abwechslungsreich arrangierte Musik von Khyal ist dagegen trotz der fremden Sprache gar nicht so fremdartig. „Es ist lustig, weil ich gar nicht darüber nachgedacht habe, dass mein Stil sich so verändert hat von den avantgardistischen Dingen, die ich gemacht habe“, bestätigt sie. „Jetzt ist es richtiger Modern Jazz geworden. Ich glaube das liegt daran, dass ich erst mal mit schrägeren Sachen experimentieren wollte und mich dann über die Jahre gefragt habe: Was mag ich eigentlich? Eher das, was mich berührt.“

Bei ihren syrischen Freunden sind die Stücke jedenfalls bestens angekommen. „Tatsächlich singen sie diese Musik jetzt mit“, freut sich die Sängerin. „Es ist zwar nicht wie ihre Popmusik, und ich weiß nicht, ob viele Syrer zu meinen Konzerten kommen werden, aber sie finden das toll.“ Bei aller Freude über diesen Erfolg – der Themenkomplex Migration wird Sophie Tassignon weiter beschäftigen: „Ich überlege immer noch, wie wir friedlich zusammen leben können. Eigentlich wollen wir doch alle das Gleiche. Wir wollen Frieden, Kinder, einen Job, eine Familie, etwas Wohlstand, und wir wollen nette Abende verbringen gemeinsam mit Freunden am Tisch. Wir helfen unseren Nachbarn und bringen mal eine Suppe rüber, wenn der andere krank ist. Wir sind eigentlich alle Menschen, die gerne gut sein wollen. Da ist es schon meine Mission, dass wir uns mal zuhören.“ Es lohnt sich.

Aktuelles Album:

Sophie Tassignon: Khyal (W.E.R.F. Records / NEWS)