Südtirol Jazzfestival
Südtirol
Von Klaus von Seckendorff. Als unlängst im Rahmen der Reihe „Jazz & Talk“ vier namhafte Festivalmacher(innen) im Münchner Gasteig diskutierten, waren sie sich einig: Besonders befriedigend ist es, den Anstoß für Projekte zu geben, die sonst nicht stattgefunden hätten. Klaus Widmann hat bei seinem in Sachen bislang Unerhörtes mutig voranschreitenden Südtirol Jazzfestival die Idee auf die Spitze getrieben – mit einem One-Night-Dreier im Sudwerk des Batzenhäusl, der geheimen Festivalzentrale. Für das Format Jazz Labs hat er sich gesagt: So viele Musiker, die hier einen „Day off“ haben, die könnte man doch zusammenbringen. Aus zwölf von ihnen kombinierte er höchstselbst drei betont bunt gemischte Quartette für frei improvisierte 20-Minuten-Gigs – und alle sagten Ja. Keine Proben, höchstens minimale Absprachen, ebenso vielversprechend wie riskant.
Zum Einstieg entwickelte Sängerin Beatriz Nunes eine Art portugiesisches Jodeln, das die Keyboarderin Anne Quillier (Watchdog) mit einem arg lange beibehaltenen Rhodes-Teppich der unauffälligen Art unterlegte. Dann wurde es wesentlich spannender. Auf der Bühne: Sängerin Leïla Martial, eine mit ihrer Neugier und Vielseitigkeit für Südtirol ideale Musikerin und deshalb Stammgast. Einen Abend später konnte sie mit dem Trio Backline direkt anknüpfen an ihre unwiderstehliche Performance im Jazz-Labs-Quartett mit dem Bassisten Matteo Bortone, dem Gitarristen Pedro Branco sowie der aus Dänemark und eher vom freien Jazz kommenden Saxofonistin Lotte Anker. Wie gescratcht klang Leïlas „Welcome, Ladies and Gentlemen“, umtänzelt von Gitarrenlinien, schließlich in heiteres Chaos mündend, dann aber in ein ruhiges Gesangsmotiv, das selbst vom Saxofon nicht aufgebrochen wurde – und dass Lotte Anker auch fade-routinierten Free Jazz kann, bewies tags darauf das Projekt Life and Other Transient Storms. Ein magischer Moment von schierer Schönheit, gefolgt von ein wenig Björk-Nahem und einem zweiten Song: „Bye, bye, Ladies and Gentlemen“. Hörte sich an, als wollte ein Hirte mit zwei kurzen Flötenmotiven bei Gewitter eine glockenbimmelnde Herde zusammentreiben. Jede Menge Ideen, Aufeinanderhören und musikalischer Instinkt auf engstem Raum, so dass die dritte Formation des Abends mit zwei Klarinetten etwas lahm wirkte.
Der Länderschwerpunkt „Iberische Halbinsel“ sprengte mit eindrucksvollem Spektrum unkonventioneller Herangehensweisen in mehr als einem Dutzend Konzerten jeden Versuch einer Zusammenfassung. Mehr oder weniger einziger Promi im Programm war der auch scheu singende Cellist Hank Roberts, der in der wunderlichen Felskulisse des Naturmuseums mit der Ausstrahlung eines freundlichen Zen-Meisters im Alleingang alle Herzen für sich gewann, sei‘s mit ans Esoterische grenzender Naturbegeisterung oder mit den blauesten aller Blue Notes in folkigem, countryhaftem oder von „Donna Lee“ inspiriertem Umfeld. Als er am vorletzten Abend mit italienischem Trio auftrat, waren die Meinungen geteilt: „Schon arg konventionell“, die einen – „sehr zu Herzen gehend“, die anderen, darunter ein beinharter Anhänger des freien Jazz, der sich ein Rührungstränchen aus dem Augenwinkel wischen musste.