Taktlos
Zürich
Von Pirmin Bossart. Nach der über 30-jährigen Ära in der Roten Fabrik Zürich hat das Taktlos Festival seit zwei Jahren einen neuen Standort, das Kanzlei-Areal, und ein erneuertes Konzept: Für das Programm zeichnet ein Musiker oder eine Musikerin verantwortlich, der oder die auch selbst auftritt. Nach dem Schlagzeuger Lucas Niggli (2018) kuratierte in diesem Jahr Gitarrist Manuel Troller das Festival.
Einige Konzerte fanden im Kino Xenix und im Club Zukunft mitten in Zürichs Ausgehmeile statt. Das lockerte den gewohnten Konzert-Guckkasten-Rahmen und zog auch junges Publikum an. Der aktuelle Jahrgang brachte Stilistiken und Generationen zusammen und wirkte wie eine Blutauffrischung. An den drei Abenden schien die experimentierfreudige Musik plötzlich nicht mehr so isoliert zu sein, wie es mit dem geschrumpften Stammpublikum in der Roten Fabrik manchmal gewirkt hatte.
Der erste Abend lotete die Spielarten der Reduktion aus. Präzise getaktet und klangstark das Trio Schnellertollermeier (mit Manuel Troller), das sich mit sphärischen Texturen und wuchtigen Rockschüben energetisierte. Erfinderisch mit Sounds und perkussivem Minimal-Geklacker die Französin Eve Risser am präparierten Flügel. Und am Ende des Abends der Gimbri-Spieler Joshua Abrams aus Chicago, der mit seiner Natural Information Society die reduktionistische Spielweise zum hypnotischen Sog trieb. Die weiteren beiden Abende spielten mit scharfen Kontrasten. Das französisch-norwegische Quartett Dans les Arbres um den Klarinettisten Xavier Charles und Christian Wallumrød am präparierten Flügel verharrte über lange Strecken in feinsten Regungen. Es fehlte der Musik an überraschenden Akzenten und Entfaltungen, dafür wirkte sie als extreme Beruhigungspille. Das deutsche Quintett Die Enttäuschung spielte sein gut verdautes und witzig kommentiertes Hardbop-Free-Amalgam in einer bravourösen Mischung aus Virtuosität und lakonischer Distanz.
Zu den Highlights gehörte der Soloauftritt der Dänin Mette Rasmussen (sax). Mit scharfem Sound entwarf sie klare Architekturen und verlor nie den Boden, auch wenn sie abhob. Dass „Star Spangled Banner“ von Jimi Hendrix oder die karge Albert-Ayler-Ästhetik durch ihr Spiel geisterten, änderte nichts am erfreulichen Umstand, dass hier eine junge Frau ein rares Statement setzte. Musikalische Vehemenz ließ auch das Trio von Hans Koch (cl, sax), der Camille Emaille (perc) und dieb13 (turntable) verspüren. Das Klangbild blieb lebendig und entfaltete sich in freien Interaktionen, brütenden Sound-Texturen und teils heftigen Erschütterungen. Mit modulierten Unterwasser-Aufnahmen aus der Antarktis und Synthesizern kreierte zu später Stunde Tom Ramon ein facettenreiches Solo-Programm.
Manuel Troller legte seinem Solo-Set einen Zyklus von repetitiven Minimal-Patterns zugrunde, die er unerschütterlich und klangbewusst ausreizte. Später öffnete er die Textur mit blitzschnell-präzisen Interaktionen zwischen Saiten und Effektgeräten. Gegen diese stringente Musikalität kam einem der elektronisch geschichtete Klangstrom von Oren Ambarchi (g) und Will Guthrie (dr) reichlich einfallslos und zugedröhnt vor. Immerhin: Mit dieser zeitgemäßen Lärm-Beschallungs-Variation hat das Taktlos nach 34 Jahren schon mal ein urbanes Clubpublikum erreicht.