Jazz Happening

Tampere

The Art Ensemble of Chicago © Maarit Kytöharju

Von Jan Kobrzinowski. Das diesjährige Tampere Jazz Happening bot ein dicht und spannend gewobenes Programm ohne spektakuläres Name-Dropping. Es gab Premieren und einige unwiederholbare Zusammentreffen, dazu Momente von erhabener Schönheit, Hymnen und große melodische Bögen.

Aus dem Showcase-Abend Spotlight on Austria ragte das Trio Mario Rom’s Interzone heraus und warf ein interessantes Licht auf die kreative Wiener Szene. Das Henri Texier Sand Quintet zelebrierte schönste Melodien mit dem speziellen außereuropäischen Touch des Komponisten, ausgeführt mittels fein abgestimmter Bläsersounds. Texier zeigte, dass er immer noch blendend in Form ist, und schenkte dem begeisterten Publikum zum Schluss ein paar seiner Klassiker. Trygve Seim trug mit seinem hochkonzentrierten Quartett (herausragend: Kristjan Randalu am Piano) seine intensiven Helsinki Songs vor. Kommunikation pur demonstrierte der einfühlsame Drummer Olavi Louhivuori mit seinem generationsverbindenden Projekt The Net of Indra, bei dem er mit seinem inspirierten Kollegen Eivind Lønning (tp) in einem weitgehend improvisierten Set eine großartige Performance mit viel Raum für unbegleitete Soli möglich machte.

Wie verschieden man das Thema „Lyrik und Jazz“ anfassen kann, bewiesen das Kaja Draksler Octet mit einer beeindruckenden akustischen Hommage an Robert Frost und die finnische Sängerin Emma Salokoski mit ihrem Ilmiliekki Quartet, die Gedichte verschiedener schwedischer Lyriker/innen folkjazzig vertonten. ¿Que Vola? geriet zu einer gelungenen Hochzeit von Bata-Rhythmen und anderen traditionellen afrokubanischen Roots mit europäischem zeitgenössischem Jazz, dank Fidel Fourneyron und seiner hellwachen Band. Man wird davon hören. Der schwedische Wikinger Mats Gustafsson zeigte mit der Großbesetzung seines Fire!Orchestra nicht nur seine verletzliche, geduldige Seite, sondern auch, wie es möglich ist, freies Spiel, Instant Composing, Ethno-Rockgesang und Streichersounds sinn- und gefühlvoll zu verbinden. Die Flötistin und Komponistin Jamie Baum verwies mit ihrem Septet+ mit vertrackten ungeraden Rhythmen und interessanten Transkriptionen der Vokalisen des großen Nusrat Fateh Ali Khan auf die abstraktere, intellektuellere Seite der Lyrik. Einzig die Performance von Josef Leimberg und seinem Astral Progressions Orchestra hinterließ ein wenig Ratlosigkeit. Ob es an der Zerzaustheit der Grooves, am unausgegorenen Konzept oder dem leicht überheblichen Auftreten der Protagonisten lag – wer weiß…

Diese losen Enden verband dann der Late Night Gig von Ghost Note im Klubi. Die Band um die Snarky-Puppy-Drummer Robert „Sput” Searight und Nate Werth legte einen unglaublichen Party-Act mit humorvollem, super-tightem Funk aufs Parkett und sorgte für Hochstimmung bis 3.30 Uhr. Furios, frech, und immer mit einer Ladung Dreck am Fuß, scherte sich das Trio Mopo um Linda Fredriksson (bars) nicht um Konventionen und begeisterte im überfüllten rustikalen Club Telekka. Kurios und bemerkenswert zum Abschluss des Festivals: der Auftritt des Art Ensemble of Chicago, bei dem das Publikum schon vor Beginn stehend applaudierte. Quasi außer Konkurrenz zelebrierte das Ensemble seine eigene Historie. Veteran Roscoe Mitchell spannte zunächst mit enervierenden Linien auf dem Sopran den Faden der Geduld bis zum Äußersten, bis er lakonisch in die Runde fragte, ob nicht auch mal jemand anderes spielen wolle. Danach ein bisschen von allem: Sophisticated Freedom, trockener Humor, Black Power, auch Längen und manchmal etwas schamanistisches Brimborium. Als dann aber Mitchell und Famoudou Don Moye sich schließlich zum Einsatz kollektiver Energie aufrafften, ging ein Ruck durch die Gemeinde.

2017 erhielt das Tampere Jazz Happening den EJN Award für „Adventurous Programming“. Zu Recht, denn Juhamatti Kauppinen gestaltete das TJH auch in diesem Jahr wieder abenteuerlich vielfältig.

Von Jan Kobrzinowski

Nik Bärtsch © Maarit Kytöharju

Nik Bärtsch © Maarit Kytöharju

Es begann mit einem Fokus auf die estnische Jazzszene mit drei sehr unterschiedlichen Acts: dem Kirke Karja Quartet mit klassisch beeinflusstem Nordic Jazz, Sängerin/Pianistin Kadri Voorand im Duo mit Mihkel Mälgand am Kontrabass, und als Showdown Heavy Beauty mit dem charismatischen Liudas Mockunas am Bass-Saxofon.

Im Klubi trumpften das großartig außerirdische Power-Trio The Comet is Coming sowie Jojo Mayers fabelhafter Echtzeit-Trance-Drum & Bass-Rock-Act Nerve auf. Finnlands wichtigsten Jazzpreis, den YRJÖ-Award, gewann Verneri Pohjola (tp). Im Duo mit Mika Kallio (dr) gab er eine Lehrstunde sensibler musikalischer Interaktion. Shabaka Hutchings’ Saxofon mit dramatischem Stakkato und Passagen coltranesker Innerlichkeit gehört inzwischen zu den führenden Stimmen des europäischen Jazz. Spoken Words und Gesang von Siyabonga Mthembu erinnerten an Gil Scott-Heron. Kurz danach passierte quasi das Gegenteil: Steve Coleman & Five Elements besiegten die Poesie mit der Kraft der Mathematik und zeigten, zwar gewohnt virtuos, aber sehr verschlüsselt, einen Rückgriff auf ihre eigene Geschichte.

Im Telekka präsentierte sich die vielversprechende finnische Mini-Bigband Njet Njet 9 mit schönen Sounds, frischem Bläsersatz und interessanten Arrangements. Afro-Beat-Groove-Jazz-Meister Tony Allens Tribute to Art Blakey glückte die Hommage mit einer brillanten Band. Jazz-Messengers-Standards im afrikanischen Dress hätten dem legendären Idol sicher gefallen. Samuel Blaser (tb) rekonstruierte mit Early in the Morning uralten Blues mittels freier Spielweise, mit dem Free-Veteranen Oliver Lake als Gast. Das Quartett des französischen Trompeters Erik Truffaz paddelte durch den Mainstream der semi-elektrischen Fusion. Melodic Jazz mit grooviger Rhythm Section. Evan Parkers furchtloses Free-Projekt The Fifth Man zeigte statt ungezähmter Kollektivimprovisation ein konzentriert sensibles Drei-Gespräch, flankiert von zwei Spezialisten der elektronischen Manipulation (Matt Wright und Walter Prati). John Russell entlockte seiner alten Blues-Gitarre unglaubliche Sounds, Parker agierte mit souveränem Sopran-Ton, und John Edwards (b) transzendierte aufs Neue die Grenzen seines Instruments. Trails of Souls mit Knut Reiersrud (g), Solveig Slettahjell (voc) und In the Country betrieben die norwegische Exegese des Country Jazz: Americana-Klänge à la Frisell, knietief im Blues. Thomas de Pourquery’s Supersonic erreichten mit drei Bläsern und hymnischen Songs eine große emotionale Verbindung mit dem Publikum.

Heavy Beauty © Maarit Kytöharju

Heavy Beauty © Maarit Kytöharju

Das junge finnische Trio Virta verwandelte Telekka mit beeindruckend lautem Drum-Beat-Jazz in eine flimmernde Club-Location.

Nik Bärtsch’s Mobiles Welt der minimalen Patterns ist immer wieder spannend; das geschmackvolle Licht im Pakkahuone unterstützte die hypnotische Reise. Dann ein weiteres, ganz anderes Groove-Erlebnis: New Zion & Hamid Drake beschworen die Geister Jamaikas. Jamie Saft wechselte zwischen Klavier, Rhodes und Orgel, Bassist Brad Jones steuerte jazzige Soli bei, und Hamid Drake stellte seine Drummer-Fähigkeiten voll in den Dienst von Dub und Reggae. Dhafer Youssefs West-Östlicher Diwan geriet zu einem Fest. Seine Kommunikation mit den Musikern, vor allem mit Schlagzeuger Justin Faulkner, war superb. Der Funke sprang über. Zum guten Schluss noch ein Highlight: die akustische Performance von Lucia Cadotschs Speak Low mit warmen, raffinierten und berührenden Interpretationen von altbekanntem Jazz-, Blues- und Standardmaterial. Die Ideen und Arrangements von Petter Eldh (b) und Otis Sansjö (ts) waren zwingend und zu keiner Zeit vorhersehbar.