© Emile Holba

Terje Isungset

Der Gletscherflüsterer

Jeder Gletscher klingt anders. Wenn überhaupt. Nicht jedes Schelf singt zu Terje Isungset, manche Eis-Formationen bleiben selbst gegenüber dem Gletscherflüsterer stumm. Doch wenn der Norweger die richtigen Stellen findet, vermag er, die Musik des gefrorenen Wassers zu entfesseln wie kein Zweiter. Nun veröffentlicht der Perkussionist und Eis-Künstler das Live-Album Beauty of Winter – und zeigt, wie viel Wärme doch in selbigem steckt.

Von Thomas Kölsch

Frost schreckt Terje Isungset nicht. Ganz im Gegenteil: Die Schönheit erstarrten Wassers, das im Moment gefangene Element des Lebens übt eine überwältigende Anziehungskraft auf den Norweger aus. Es ist eine magische Verbindung, sagt er. „Als ich das erste Mal den einzigartigen Klang des Eises vernommen habe, war ich völlig verzaubert“, erinnert sich Isungset. Seit fast 20 Jahren beschäftigt er sich jetzt mit dem kalten Element, seit 1999, um genau zu sein, als er während des Winterfestivals in Lillehammer ein Konzert in einem gefrorenen Wasserfall spielen durfte. Ein Moment, der bis heute nachwirkt. „Ich kann einfach nicht aufhören, nach neuen Möglichkeiten zu suchen, um dem Eis seine Töne zu entlocken“, sagt Isungset und lacht. Vielleicht liegt es daran, dass er als Perkussionist anders hört; oder auch daran, dass er schon immer mit unterschiedlichen Naturmaterialien experimentiert hat.

Aber das allein erklärt nicht, warum sich der 54-Jährige eine einzigartige Nische geschaffen hat, in der er nicht nur Schlagwerk, sondern auch Hörner und ein ans Marimbafon angelehntes Iceofon zum Klingen bringt. „Natürlich hat mich damals fasziniert, dass noch niemand zuvor einen derartigen Versuch unternommen hat, aber inzwischen bewegt mich viel mehr“, bestätigt er denn auch. Die Art, wie das Licht im Eis gebrochen wird, während er darauf spielt; die innere Ruhe, die sich schon während des Schnitzens einstellt und die im Konzert ihren Höhepunkt erreicht; oder auch einfach das Wissen darum, dass der Stillstand in seiner kristallinen Form gerade in der heutigen Zeit vergänglich ist und verletzlich.

Mit Beauty of Winter fasst Terje Isungset all dies zusammen. Stimmkünstlerin Maria Skranes, deren glasklare Stimme mal mit dem Eis harmoniert und dann wieder einen Kontrast bildet zum Schürfen und Kratzen auf den gefrorenen Oberflächen, steuert sphärisch schöne Melodien bei, die etwa bei „Blue Horizon“ auf einem traditionellen Inuit-Lied basieren. Zum Teil sind sie unterfüttert durch Electronica, Kehlkopfgesang (bei „Arctic Ice Music“) und im Falle von „Sea Horn“ durch Walrufe und Seelöwengebrüll. Diese sind es, die dem Album noch am ehesten einen melancholischen Anstrich verleihen. Immerhin ist mit dem Schmelzen der Gletscher ihr Lebensraum in Gefahr. „Die Umweltthematik ist in meinem Werk immer präsent“, betont Isungset. „Sie ist einer der Gründe, warum ich Eismusik mache. Ich möchte auf eine Welt aufmerksam machen, die wir sonst ignorieren, auch weil wir sie nur unzureichend erfahren können. Ich könnte auch Vorträge dazu halten, aber meiner Meinung nach ist Sprache dafür unzureichend. Musik geht tiefer und berührt die Menschen auf eine ganz besondere Weise.“

Normalerweise nimmt Isungset seine Alben in seiner norwegischen Heimat auf, in Geilo, wo er seit einigen Jahren ein Eismusikfestival organisiert. Dort, bei mindestens 20 Grad unter null, findet er perfekte Bedingungen für die Klänge, die er erzeugen möchte. Doch Beauty of Winter ist ein Livealbum, zumindest zum Teil aufgenommen in Russland, Belgien und Deutschland. „Dadurch hatten wir eine weitaus geringere Vielfalt an Klängen“, entschuldigt er sich. „Für die Konzerte im Westen Europas haben wir vorgefertigte Eis-Instrumente in einen Truck gepackt und mitgenommen, nur in Russland haben wir das dortige Material verwendet und die Instrumente vor Ort gefertigt.“ Was alles andere als einfach ist. „Das Herstellen ist weniger das Problem“, sagt Isungset. „Die größte Herausforderung ist es, das passende Eis zu finden. Ich weiß nicht, warum, aber längst nicht jeder Gletscher oder gefrorene See klingt. Und wenn sie es tun, dann sind die Frequenzen anders, wirken sie mal dumpfer, dann wieder heller. Ich muss es an jedem Ort ausprobieren.“ Und künstliches Eis? „Das ist tot“, sagt Isungset bestimmt. „Künstliches Eis klingt nie.“

Wenn Terje Isungset dann schließlich spielt, entsteht schnell eine meditative Stimmung. Für ihn ebenso wie für die Zuhörer. „Ich höre auf zu denken, während ich musiziere“, sagt er. „Ich höre einfach nur noch auf die Töne.“ In diesen Zustand muss man sich auch beim Zuhören versetzen, einfach abschalten und eintauchen in dieses akustische Winter-Wunderland, das so harsch sein kann, so unwirtlich und doch so zauberhaft. Nur vor „Glacial Motion“ sollte man sich in Acht nehmen: Das Plätschern fließenden Wassers über beinahe neun Minuten ist nichts für schwache Blasen. Dennoch hält Beauty of Winter, was es verspricht. Derweil arbeitet der Schamane des Frosts weiterhin unermüdlich daran, den Menschen das Eis auch auf anderem Wege nahezubringen – vom 11. bis 13. Januar ist er im Rahmen des Festivals Out of the Box in München zu Gast, danach geht es in Geilo weiter. Auch mit neuen Aufnahmen. „Das nächste Album wird wahrscheinlich Ice Only heißen“, verrät Isungset. „Ganz ohne Gesang oder Effekte. Nur Eis pur.“

Aktuelle CD:

Terje Isungset: Beauty of Winter (All Ice Music / Galileo MC)