Tobias Hoffmann

© Lucija Novak

Klangforschung und Emotion

Die Pandemie der letzten Jahre hat vieles verändert. Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur, und viele Musiker haben unter den Einschränkungen in der Kulturbranche gelitten. Der Saxofonist und Komponist Tobias Hoffmann hat die Krise als Chance genutzt, um das Bigband-Album Conspiracy aufzunehmen.

Von Thomas Bugert

Als Corona losging, habe ich beschlossen, die Lockdown-Zeit zu nutzen, um möglichst viel Musik zu schreiben. Irgendwann stellte sich die Frage, was das ganze Schreiben bringt, wenn man die Musik nicht aufnimmt“, erinnert sich Tobias Hoffmann, der 1988 in Göppingen geboren wurde und heute in Wien lebt. Die Möglichkeit der Aufnahme ergab sich mithilfe des österreichischen SKE-Fonds, bei dem er sich bewarb und vier Tage Aufnahmezeit im ORF-Studio bekam. So kam es, dass er mitten in der Pandemie mit einer der größten Besetzungsformen im Jazz ins Studio gehen konnte.

In den vielen Telefongesprächen, in denen Tobias Hoffmann seine Band zusammenstellte, erwies sich die Krise in gewisser Weise sogar als Vorteil, da viele Musiker aufgrund fehlender Auftrittsmöglichkeiten weniger ausgebucht waren. „Das waren Leute, mit denen ich in anderen Bands gearbeitet hatte und die ich aus anderen Formationen kannte. Es waren auch viele Empfehlungen dabei, die ich vorher noch nicht kannte“, erzählt Hoffmann. „Die Band hatte vorher noch nie in dieser Konstellation gespielt. Wir haben uns Mittwochmittag um zwölf Uhr getroffen und Samstagmorgen um zehn wurde die CD eingespielt.“ Wüsste man die Hintergründe zur Entstehung der Band nicht, würde man es nicht vermuten. Die Bigband besticht ab dem ersten Ton der Aufnahme durch ein tightes Zusammenspiel und einen ausgewogenen Bandsound, der vermuten ließe, dass sie seit Längerem zusammenspielt. Zudem besticht die Aufnahme durch die Spielfreude der Musiker, die sich durch das ganze Album zieht und Hörende in den Bann zieht. Hoffmann erinnert sich an sein Gefühl, als die Band den ersten Ton spielte: „Es war ein wenig surreal, da ich bis zum Beginn der Aufnahme mit der Organisation beschäftigt war. Das erste Stück, das wir geprobt haben, war ,December Song‘, das mit einem Klavierintro beginnt. Es war ein Gefühl von Entspannung. Der ganze Druck und die Last sind von mir abgefallen, und ich hatte Spaß.“

Conspiracy einfach ein Bigband-Album zu nennen, würde der Musik allerdings nicht gerecht. Die große Besetzung schafft vielmehr den Rahmen und eine Möglichkeit der Klanggestaltung. Tobias Hoffmann nimmt dabei auch immer wieder kleinere Besetzungen in den Fokus, um gezielt andere Klangfarben zu schaffen. „Für mich besteht die Kunst, Musik zu schreiben, darin, einen Sound und eine Linie zu haben, mich dabei nicht zu wiederholen und eine gewisse Flexibilität in meinem eigenen Spektrum zu haben. Orchestration und Besetzung sind dabei zwei der größten Möglichkeiten. Die Bigband ist ein wenig das Sinfonieorchester der Jazzmusik. Wenn man in die klassische Orchesterliteratur schaut, findet man auch immer wieder Stellen, in denen verschiedene Gruppen gefeaturt werden. Mit Klangfarben zu spielen und die Idee, dass alle immer gleichzeitig spielen können, es aber nicht müssen, fand ich total spannend.“

Die Musik auf Conspiracy ist eine sehr kleine Auswahl aus Hoffmanns kompositorischem Schaffen. „Ich versuche, jeden Tag vier bis sechs Stunden Musik zu schreiben. Das muss nicht immer sofort ein Stück sein“, erzählt Hoffmann, der sich selbst dabei als Forschender am Material sieht, der viel experimentiert und dabei Dinge findet, die ihn faszinieren. „Das Meiste kommt aus der Musik selbst heraus. Ich finde es faszinierend, dass man aus Rhythmen, Formen, Tönen und Intervallen etwas kreieren kann. Ich nehme zum Beispiel eine Tonreihe und schaue, ob ich damit zehn Seiten Melodien schreiben kann.“ Ein solcher Keim ist beispielsweise in der Komposition „Relentless“ zu finden.

Diese Herangehensweise klingt zwar zunächst mathematisch, kann jedoch auch dabei helfen, auf neue Ideen zu kommen. „Neunzig Prozent von den Sachen, die ich schreibe, verwende ich nicht. In dem Prozess entdecke ich aber Sachen, die ich sonst nie im Leben gefunden hätte.“ Damit die Musik am Ende nicht konstruiert wirkt, siebt Hoffmann die Menge an komponierter Musik durch eine Art emotionalen Filter. „Wenn ich etwas geschrieben habe, frage ich mich auch, wie ich selbst emotional darauf reagiere.“ Da dieser emotionale Filter auch von seinen Lebensumständen geprägt ist, finden sich durch ihn gewisse biografische Spuren in den Kompositionen. „Bei ,Awakening‘ wollte ich zum Beispiel einen Bob-Brookmeyer-Sound und habe viel von ihm analysiert. Gleichzeitig lebe ich aber nicht in einem Vakuum. Man hat Kontakt mit anderen Menschen, und in diesem Fall ist eine Beziehung gescheitert. Das beeinflusst dann natürlich schon die Stimmung und wie man an etwas herangeht. Vielleicht wäre aus der Idee in einer anderen Zeit ein ganz anderes Stück geworden.“

Aktuelles Album:

Tobias Hoffmann Jazz Orchestra: Conspiracy (Mons Records)