In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!
Emile Parisien Quartet
Let Them Cook
ACT / Edel:Kultur
3,5 Sterne
Ein neues, weithin beliebtes Element hat nun auch Einzug gehalten in den Sound und die Strukturen von Emile Parisiens Working Band: Electronica, im Wesentlichen gesteuert von Drummer Julien Loutelier, dem Youngster des Quartetts. Behutsam führt Let Them Cook die geneigten Hörer an diese Neuerung heran, war die Band seit ihrer Gründung vor zwei Jahrzehnten doch rein akustisch unterwegs. Erst im vierten und fünften Track (einer von Loutelier, der andere von Bassist Ivan Gélugne) tauchen elektronische Sequenzen und Soundflächen auf. Der Effekt ist enorm. Die Bewegungsfreiheit und die typische reaktionsfreudige Elastizität sind merklich eingeschränkt, strenger gerahmt. Warum nicht? Frische Impulse können neue Ideen auslösen und so das Bestehen einer Band sichern. Noch überwiegen allerdings die vertrauten Abläufe und Zutaten, zum Beispiel die verschlungenen Themenführungen und das extrem enge, dynamische Miteinander unter solistischer Führung. Parisiens Sopransax ist hier mehr denn je eine gleichberechtigte Stimme. Nachdem er sich über die Jahre immer stärker jenseits der Gruppe ausgelebt hat (zuletzt erschien mit Louise eine Produktion in internationaler Starbesetzung sowie Les Metanuits, das Duo mit Roberto Negro), taucht er geradezu ein ins gewachsene Kollektiv. Höhepunkt ist für mich sein zum Metronom-Klick entwickeltes „Tik Tik“. Das Album mündet in eine gemeinsam entworfene Meditation, das zieloffen pulsierende „Mars“.
Arne Schumacher
Orchestre National De Jazz / Steve Lehman
Ex Machina
ONJ / Broken Silence
4,5 Sterne
Altsaxofonist Steve Lehman und der Elektroniker Frederic Maurin trafen sich 2016 in Paris nach einem Auftritt von Lehman’s Oktett. Das Album Ex-Machina ist das Ergebnis des beiderseitigen Interesses an einer Synthese von Jazzimprovisation und der gleichzeitigen Verwendung von elektronischen Klangstrukturen. Der Bandname bezieht sich auf das ikonische Tempus Ex Machina des französischen Komponisten Gerard Grisey.
Das Album führt den Hörer in elf Stücken durch eine elektro-akustische Zeitreise, wobei der Begriff Zeit hier wörtlich genommen werden muss und von konzeptionell zentraler Bedeutung ist: Es wird mit diversen Zeitmustern und Metren im Dienste einer Synthese von Band, Solisten und Elektronik gearbeitet. „Ode to akLaff“ etwa ist der amerikanischen Avantgarde-Drummer-Legende Pheeroan akLaff gewidmet. Hat man sich einmal überwunden und die Scheu vor elektronischen Experimentalklängen hinter sich gelassen, macht es richtig Spaß, in diesen Klangkosmos einzutauchen, wobei der Jazz allgegenwärtig bleibt, so durch die Beiträge des Trompeters Jonathan Finlayson aus Colemans Band Five Elements. Die Musik ist sehr imaginativ und fordernd. Elektronik und Jazz bedingen sich gegenseitig – dass das funktioniert, hängt nicht zuletzt von den Spielern und vor allem den Arrangements und Kompositionen von Lehman und Maurin ab. Live mit Sicherheit mindestens so interessant wie spektakulär.
Andreas Ebert
Heinrich von Kalnein & Sophie Min
Intertwined Trees
Natango / Galileo
4 Sterne
In Österreich lebender deutscher Saxofonist & Flötist, Jahrgang 1960, trifft alterslose koreanische Pianistin & Komponistin mit Sitz in Australien, um ein paar amerikanische Standards zu spielen. Das Duo harmoniert, man konzentriert sich aber schnell auf eigene Kompositionen – und kurz darauf nehmen Heinrich von Kalnein und Sophie Min ein gemeinsames Album auf: Flöte und Klavier, da denkt man an „Nirvana“ von Herbie Mann und Bill Evans oder an sensible, impressionistische Stimmungen, an Ravel, Debussy, Gabriel Fauré oder Jacques Ibert. Interessanterweise entspricht die einzige Gemeinschaftskomposition, „Free Flow“, in ihrer Ruhe und Transparenz dieser Erwartung. Heinrich von Kalneins zwei Beiträge zum Album fallen eindeutig jazziger aus, Sophie Mins Kompositionen dafür deutlich opulenter – sie lässt mit ihrer überbordenden Virtuosität oft wenig Raum für die Flöte, und jazzige Interaktion im Sinne von Zwiegesprächen findet hier eher nicht statt. Da wird das zarte Holzblasinstrument auch schon mal von opulenten Arpeggios überstimmt oder mithilfe von Blockakkorden weggetynert. Aber es gibt auch poppige Passagen, die an Joe Farrell bei Return to Forever erinnern, und ein paar ruhige Momente der Nähe, die man genießen kann, so wie das finale „Indelibility“.
Lothar Trampert