In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!
Iiro Rantala / Mitglieder der Berliner Philharmoniker
Veneziana
ACT / Edel:Kultur
5 Sterne
Es gibt wohl kaum einen Jazzpianisten, der nicht in seinem Musikerleben auch Berührungspunkte zur klassischen Musik hatte – und wenn es nur die ersten Schritte im (klassischen) Klavierunterricht waren. Jedoch gibt es nur wenige, die auch in ihrem Leben als Jazzer noch so zwischen den Genres springen können wie der finnische Pianist Iiro Rantala. Rantala kann nicht nur bis heute alles spielen, sondern ist auch in der Klassikszene als Pianist ausgesprochen angesehen, was nicht zuletzt seine Projekte mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen zeigen. Nun hat er sich mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker zusammengetan. Als Auftragswerk für Siggi Loch entstand das Projekt Veneziana, in dem Rantala mit unglaublichem Humor durch die Stadt zieht, die zu den wichtigsten Musikmetropolen der Welt gehörte, er aber selber nie besucht hat. An diese Tradition knüpft Rantala an, wenn er den Ideen Claudio Monteverdis nachhängt oder aber versucht, eine skandinavische Fassung von Antonio Vivaldis „Winter“ zu schaffen. Auch Sibelius und Mozart lässt er durch die Straßen der Stadt ziehen. Stilistisch gelingt ihm dabei eine ausgesprochen gelungene Fusion von klassischer Klangsprache, Jazz-Elementen und seinem ganz eigenen Humor. Während Rantala bei seinen Solo-Platten gerne mal eine gewisse Schlichtheit an den Tag legt, so hat er Veneziana auch den Musiker*innen der Berliner Philharmoniker auf den Leib geschrieben und überzeugt gemeinsam mit ihnen mit höchster Virtuosität. Die Aufnahme endet weltlich – mit einer Hommage an alle, die in Venedig gestorben sind.
Verena Düren
Pat Metheny
Dream Box
Modern / Warner
4 Sterne
Wenn eine Ikone der Jazz-Gitarre einem unbekannteren Kollegen ein Stück widmet, ist das ein Zeichen von Größe. Und Pat Methenys Komposition „P.C. of Belgium“ ist ein Dankeschön an den wunderbaren Philip Catherine, dessen warme lyrische Linien doch so einige Instrumentalisten geprägt haben. Wärme, Ökonomie, Ausdruck und ein bisschen Tristesse prägen auch dieses neue Album, das Metheny im Multitrack-Verfahren mit sich selbst und diversen E-, A- und Baritone-Gitarren eingespielt hat. So sind sehr intime kleine Klanggemälde entstanden, in die sich auch zwei Fremdkompositionen („Never Was Love“ von Russ Long und der Styne/Cahn-Standard „I Fall in Love Too Easily“) wunderbar einfügen, während Luiz Bonfas „Morning of the Carnival“ aka „Black Orpheus“ hier austauschbar wirkt und ohne Tiefgang auskommt. Bei jedem Metheny-Original ist dagegen die ganz eigene Intensität dieses Musikers zu erleben, eines Gitarristen, der jeden Ton formt, ihn geradezu dreidimensional ausgestaltet und mit großem Gespür für Dynamik im oft tiefen Hallraum installiert. Das kann er! Pat Metheny hat schon auf seinem Debüt Bright Size Life bewiesen, dass Schönklang Niveau haben kann, und bei Dream Box erlebe ich gerade, dass entspannende Musik auch ein knappes halbes Jahrhundert später immer noch eine Wohltat sein kann. Als gitarristischer Klangmaler mit Crossover-Offenheit bleibt Metheny unerreicht.
Lothar Trampert
Stefan Karl Schmid & Subway Jazz Orchestra
You Are the Universe
Tangible Music
3.5 Sterne
Die Gründe dafür, dass das groß besetzte Jazzensemble ungefähr seit einem knappen Jahrzehnt sich gerade unter jungen Musikerinnen und Musikern wieder wachsender Beliebtheit erfreut, mögen vielfältig sein und den Rahmen einer Rezension sprengen. Auch das Subway Jazz Orchestra (SJO), das seit 2013 einmal im Monat im gleichnamigen Jazzclub in Köln auftritt, trägt zur Hochkonjunktur junger Bigbands bei. Unter Leitung des Klarinettisten, Saxofonisten und Komponisten Stefan Karl Schmid legt das SJO mit You are the Universe eine aktuelle Visitenkarte vor. Die insinuiert, dass die neue Lust an der großen Besetzung auch als nur ein Aspekt einer Hinwendung zur großen Form an sich gelesen werden könnte. Zugleich geht damit eine Abkehr vom Prinzip des Tutti-Soli-Schemas einher, eine Entwicklung hin zu einer landschaftlichen Klangmalerei, die sich als neo-romantischer Zug beschreiben ließe. Dementsprechend firmiert You Are the Universe als „Suite for Jazz Orchestra“, deren fünf Teile durch Interludes verbunden und mittels „Prologue“ und „Epilogue“ gerahmt werden. Überwiegend evozieren die elf Tracks epische, ätherische Weite – Schmid ist deutsch-isländischer Herkunft und hat sich zum Komponieren für mehrere Wochen in eine der nördlichsten Städte Islands zurückgezogen –, was gelegentliche Kulminationen nicht ausschließt („Part 4: All that will be or has been“). Die zeitweilige Abwesenheit von Spannungsbögen wird durch die Spielfreunde des 19-köpfigen Ensembles und die individuellen Qualitäten seiner Mitglieder weitgehend kompensiert.
Harry Schmidt