In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!

Marc Sinan & Oğuz Büyükberber

Marc Sinan & Oğuz Büyükberber

White

ECM / Universal

4 Sterne

Zwei Musiker begegnen sich zwischen europäischer Klassik und türkischer Tradition – und das tun sie immer wieder seit nun schon fast zehn Jahren. Marc Sinan, der E-Gitarrist mit (auch) türkischen Wurzeln, und Oğuz Büyükberber, der (Bass-)Klarinettist aus Anatolien, scheinen einander diesmal aber im Niemandsland zu treffen, frei improvisierend, zwischen Tag und Traum, zwischen Realem und Surrealem. Beide haben eine jeweils fünfteilige Suite im Gepäck und mischen die zehn Sätze bunt durcheinander. Historische Tonaufnahmen aus dem Berliner Phonogramm-Archiv und elektronische Beigaben tragen zur Atmosphäre bei – ihre Duette sind ein ständiges Suchen und Schweben, ein Forschen und Fragen. Dabei hilft den beiden auch ihre Jazzerfahrung: Sinan hat sich einst mit Wes Montgomery beschäftigt, Büyükberber fühlt sich Monk, Cecil Taylor und Butch Morris verbunden. An der Bassklarinette war für ihn der Einfluss von Eric Dolphy „unumgänglich“. Die Musik der beiden Grenzgänger braucht keine Leitplanken oder festen Rhythmen, aber sie transzendiert alle Tonalitäten und Stimmungen. White ist eine melancholische, souveräne Improvisationsmusik, deren Intensität sich allmählich und unwiderstehlich ausbreitet. Ein unscheinbares kleines Wunder.

Hans-Jürgen Schaal

Trio Elf & Marco Lobo

Trio Elf & Marco Lobo

The Brazilian Album

Yellowbird / Soulfood

4 Sterne

Seit einiger Zeit spielt das deutsche Trio Elf mit dem Brasilianer Marco Lobo zusammen, tourt mit ihm durch Europa. Für das gemeinsame Brazilian Album konnten sie neben dem berühmten Perkussionisten gleich fünf wunderbare brasilianische Sängerinnen gewinnen, darunter Margareth Menezes, Virginia Rodriguez und Maria Gadú. Im Zentrum der Musik stehen hier die Provinz Bahia und deren vielfältige kulturelle und religiöse Strömungen, wie die von afrikanischen Wurzeln geprägte Candomble mit ihrer Orisha (Göttin) Nana. Die Candomble fußt auf den Riten der Bantu und steht von allen afrobrasilianischen Religionen den westafrikanischen Praktiken am nächsten. In ihrer rituellen Musik werden drei verschiedene Trommeln sowie pentatonische und hexatonische Tonleitern eingesetzt. Damit arbeiten hier auch das Trio Elf und Marco Lobo, verbinden diese sogar mit heutigem Drum’n’Bass und Dub-Momenten. Doch meist singen die fünf Sängerinnen die Texte von Roque Ferreira, Paulo Cesar Pinheiro und Milton Nascimento über Sklaverei, Mythen oder die politischen Zustände zu Zeiten der Militärdiktatur zu einem akustisch gespielten Jazz-Brasil-Konglomerat unter Verwendung des umfangreichen brasilianischen Perkussionsrepertoires. Ganz feine Fusion – weit abseits der sonst häufig bei uns zu hörenden Klischees von Samba und Bossa Nova.

Olaf Maikopf

Terje Isungset

Suites of Nature

All Ice / Galileo

3,5 Sterne

Terje Isungset – Suites of Nature

Solo-CD mit Schlagzeug und allen möglichen Arten von Perkussionsinstrumenten, das liest sich erst mal nicht so spannend. Stein, Wald, Bewegung und Reflexionen sind die Themen, mit denen sich Schlagzeuger Terje Isungset für sein Projekt beschäftigt hat. Zu jedem Themenkomplex hat er mehrere, nicht weiter benannte Titel eingespielt. „The Essence of the Stones“ wurden die ersten sechs Stücke überschrieben, und man hört abgeriebene, beklopfte und geschlagene Steine, vermischt mit allem möglichen anderen Geräuschen, die sich in einem langen Hall verbinden. Der stammt übrigens aus dem Emanuel Vigeland Mausoleum in Oslo, das die Musik mit diesem absolut atemraubenden 12-Sekunden-Hall verzaubert. In der Natur, wie der CD-Titel vermuten lässt, wurde nicht aufgenommen. Terje Isungset verleiht Gegenständen eine Stimme. Steine, Gongs, Maultrommel – er arbeitet mit den unterschiedlichsten Sounds. Und gibt allen Tönen, Geräuschen und Klängen die Gelegenheit, sich zu entwickeln, baut im Hall ganze Klangpyramiden auf. Suites of Nature ist eine sehr atmosphärische CD, allerdings kein Album, das man nebenher hören sollte. Nur im konzentrierten Zuhören erschließen sich die kompletten Klangwelten.

Angela Ballhorn