Ystad Sweden Jazz Festival

Nils Petter Molvaer © Py Paavolainen

Von Frithjof Strauß.

Ob Jazzstück oder Krimi – Festivalleiter Jan Lundgren und Camilla Ahlgren, Co-Autorin der TV-Serie Die Brücke und Mit-Erfinderin von Kommissarin Saga Norén, sind sich einig: Der gute Einfall kommt als Blitz, aber dann muss man um Strukturen in der Durchführung kämpfen. Beide sprechen in einer Frühstücksplauderei über die Grundlagen ihrer Kreativität. Dabei hat Ahlgren familiäre Beziehungen zum Jazz; sie ist mit Stan Getz’ schwedischer Ehefrau verwandt. Lundgren berichtet, dass er Musik für zwei Wallander-Folgen geschrieben habe, die aber in der deutschen Fassung von den Produzenten rausgekickt wurde. Nun sei die Zeit reif für Symbiosen von Jazz und Krimi, sinnieren beide.

Die reale Polizei in Ystad jagt derweil Bratwurstbrutzler, denn wegen Brandgefahr in der Sommerhitze gilt Grillverbot. Eben dieses Klima, verbunden mit der Kleinstadtidylle, dem Meer, der gemütlichen Lebensart und der smoothen Musik nageln mich gleich im ersten Konzert auf ein Wort fest, das den Haupteindruck des Festivals beschreibt: Verklighetsextas. Der Pianist Martin Berggren benutzt es, um seinen in Vaterfreude entstandenen „Waltz of Joy“ anzukündigen. Ein Jubel, der eben nicht aus der Wirklichkeit heraustritt, sondern auf ihrem Erleben basiert, sie aufsaugt. Genau diese Freude feiern am Abend The Manhattan Transfer in ihrem Vocalese zu Clifford Browns „Joy Spring“.

Ebenso den Jubel besingt Gunnar Erikssons Chor zur Musik Lars Gullins – er wäre 90 geworden – mit biblischen und klassischen Texten, u.a. dem Hohelied. Die Legenden Georg Riedel (84) und

Youn Sun Nah Quintet © Markus Fagersten

Jan Allan (83), beide Sidemen Gullins, verleihen dem Projekt den authentischen Sound des Swedish Modern Jazz der 50er. Erzschwedisch ist dabei auch die Religionsauffassung eines frohen Christentums, das allzu starke Jenseitsbezüge durch Hingabe an die Schönheit des Irdischen ablenkt – Wirklichkeitsekstase! In umgekehrter Richtung mit Musik und Mystik das Erleben von Transzendenz zu erzeugen, sollte wohl ein Anliegen des Konzerts von Nils Petter Molvær sein, das vor Ales Steinen stattfand. Die frühmittelalterliche Schiffssetzung mit Meeresblick halten manche für einen Sonnenkalender. Wo sich sonst Neuhexen winden und Yogakurse strecken, bespielte Molvær ab 5.20 Uhr mit Trompete und Laptop die aufgehende Sonne vor 540 Besuchern. Das hinderte aber weder die Musik noch die Landschaft daran, in ganz diesseitiger Eigenschönheit zu erstrahlen.

Monty Alexander sagte am Ende seines Auftritts, dass ihm der Herr im Himmel die Finger geführt habe, denn vor fünf Tagen habe ihn ein Schlaganfall getroffen. Sein komplex im Trio verwobenes Klavier klang nichtsdestotrotz in verspielter Unbeschwertheit. Weitere Höhepunkte unter den 44 Konzerten waren die Sängerinnen: Cécile McLorin Salvant mit feinster Nuancensemantik, als würde Fischer-Dieskau jazzen. Youn Sun Nah mit enormer Pathospalette vom Piepsen bis zum Röhren. Lizz Wright im Gospelspirit mit mildem Lächeln und Jesusgestik. Ich sah aus dem Orchestergraben aus drei Metern Entfernung direkt zu ihrer hehren, segnenden, singenden Gestalt empor – Verklighetsextas!