Trans4JAZZ
Ravensburg & Weingarten
Von Christoph Giese. Wie er so von der Bühne schleicht, da merkt man schon, dass Lee Ritenour nicht mehr der Allerfitteste ist. Runde 70 Jahre alt ist der Kalifornier. Aber seine Gitarren spielen, das kann er noch immer vorzüglich, wie er im historischen Konzerthaus von Ravensburg zeigt. Im Quartett mit Sohnemann Wesley (dr) gibt es einen feinen Querschnitt durch Jazz-Rock, knackigen Groove-Jazz und Fusion. Mit flächigen Gitarrensounds vom Meister, aber auch seinen eleganten Single-Note-Linien wie in Oliver Nelsons gefühlvoll vorgetragenem Klassiker „Stolen Moments“.
Am Festivalsamstag war zwei Mal die alte Zehntscheuer aus dem 14. Jahrhundert Spielort. Am Morgen zunächst mit einer kostenlosen Matinee. Da brachte die schon lange in der Schweiz lebende kubanische Geigerin und Sängerin Yilian Cañizares mit ihrem Landsmann Inor Sotolongo (dr, perc) sowie dem Mosambikaner Childo Tomas (e-b, g, voc) ihr in Pandemiezeiten gegründetes Resilience Trio mit nach Ravensburg. Kubanische Rhythmen, Klassikeinflüsse und Jazz – daraus macht das Trio einen manchmal leicht spirituell angehauchten Auftritt, der mit Rhythmen und Lebensfreude punkten kann und das Publikum zum Mitsingen und am Ende sogar zum Tanzen animiert.
Trompeter Matthew Halsall aus Manchester ist einer dieser Kreativköpfe der pulsierenden jungen britischen Szene. Der Sound seiner Band, der mit Harfe oder auch Flöte ungewöhnliche Instrumente einbindet, erinnert mit seinen unaufgeregten Klangbildern an den spirituellen Jazz der 60er und 70er Jahre. In der Zehntscheuer verwöhnen die Briten mit lyrischen, weit ausgreifenden Melodielinien und zumeist wohltuend entspannten Klängen. Der Bandleader nimmt sich selbst oft zurück, hockt dann am Bühnenboden und hört einfach seiner exzellenten sechsköpfigen Truppe zu, bevor er wieder zu seiner Trompete greift, um eindringliche Linien in den Fluss der Musik einzufügen.
Der Snarky-Puppy-Gitarrist Mark Lettieri erweist sich mit seiner knackigen Funk-Jazz-Band als ideale Besetzung für das Wake-up-Concert am Sonntagmittag im Kulturzentrum Linse im Nachbarort Weingarten. Denn mächtige E-Bass-Grooves, knochentrockene Schlagzeugbeats, gewitzte Sounds vom Keyboarder und vor allem das einfallsreiche Spiel Lettieris auf E- und Baritongitarre wecken jeden im ausverkauften Saal auf. Ein wenig kühl ist es in der Evangelischen Stadtkirche beim Gastspiel des Jazzchors Freiburg, der dem Publikum aber mit einem feinen Programm und dem ungewöhnlichen Fokus auf Fusionjazz-Hits das Herz erwärmt.
Und dann ist da noch Lady Blackbird, eine extravagante Erscheinung mit ihrem Outfit und dem riesigen wasserstoffblonden Wuschelkopf. Die Sängerin wickelt in Ravensburg mit eigenwilligen Coverversionen alter, nicht immer so bekannter Songs das Publikum sofort um den Finger. Ihre Musik ist aufregend, dringlich, aber zugleich rockig, sexy und rebellisch. Und was für eine Stimme hat diese Frau. Dunkel und mächtig, raumausfüllend, aber auch verletzlich und warm. Wie sie das durch Gloria Gaynors Discoversion berühmt gewordene „I Am What I Am“ in einer der Zugaben auf die pure Essenz herunterbricht – einfach magisch, so wie ihr ganzer Auftritt.