Ystad Sweden Jazz Festival

© Markus Faegersten

Ystad

Von Frithjof Strauß. „Da hat gerade ein Konzert angefangen, das ihr unbedingt sehen müsst!“, sagt Bosse von den Festivalhelfern, der uns aus Kopenhagen abgeholt hat, und biegt vom Malmövägen auf eine kleine Allee zwischen Feldern ab. Wir kommen zum Schloss Bergsjöholm, das seinen Park erstmals fürs Festival geöffnet hat. Auf der Bühne lassen es 15 Männer in roten Shirts und wilden Choreographien vor einem großen Publikum krachen – die italienische Marching Band Funk Off. Der Blick schweift über Kornfelder auf die drei Kilometer entfernte Ostsee. Sie gibt sich heute als graue Platte. Aber egal: In Ystad strahlt immer die Idylle.

© Kenny Fransson

Von sanft abfallenden Hängen öffnet sich das Städtchen zum Meer, wo auch zur zehnten Festivalsaison unten am Hafen im schmucken Gründerzeittheater die Stars jazzen. Das waren am ersten Abend Landgren/Danielsson/Haffner/Wollny (als Bühnenfiguren drei Funkies und ein Ave Maria) und das Tord Gustavsen Trio (dunkel grollend wie Nietzsches Worte: „O Mensch, gib Acht, die Welt ist tief!“). Beide Bands repräsentieren prototypisch die Label ACT und ECM, die – komplementär in Stilistik und Marketing – die mitteleuropäische Rezeption des Skandinavienjazz kanalisieren. So standen einander die Norden-Images der

beiden Münchener Labelgründer Loch und Eicher gegenüber. Hier Schweden, Immanenz, Funktionalität, Urbanität, Fun, Pop; dort Norwegen, Transzendenz, Referenzialität, Fjord, Pathos, Feinkultur.

Viele Konzerte brachten aber auch Bezüge zu skandinavischer Jazztradition ohne die deutsche Labeloptik. Gitarrist Jacob Fischer spielte mit einer All-Star-Band zum Gedenken an den Geiger und Showman Svend Asmussen. Hot und hyggelig wurde mit Jokes und gruppenvirtuosem Swingwitz eine Biographie der Anekdoten erzählt – ein populärer, herzlicher Jazzdiskurs, wie wir ihn bei uns nicht kennen. Oder Mimi Terris. Sie ist eine Meisterin des schwedischen Jazzsongs wie einst Monica Zetterlund, der sie auch stimmlich ähnelt. Ernste Themen wie Depression und Lebenskrisen kopp

© Anna Rylander

elt sie mit leichtem Swing und Samba. Ihre Größe kam aber im puppigen Frühschoppenambiente von Hos Morten (Spezialität: dänisches Smørrebrød) nicht zur Geltung, zumal der Sommer Pause machte. Dafür brachte der schwedische Abend von Festivalleiter Jan Lundgren wieder Sonne ins Gemüt mit Stücken, die von Meeresglitzern und Tanz auf der Seebrücke handelten. Sein immer melodisch pointiertes Klavier spielte Evergreens und Folkjazz, wobei er auch an die Pianisten Bengt Hallberg und Jan Johansson erinnerte.

Zehn Jahre Festival mit Swing als Lebensader. Der Ausdruck behaglichen Lebens in touristischer Sommeridylle hat Ystad zu einem Sehnsuchtsort gemacht. Dazu trug als Konstante auch die Parallelwelt der Musica Latina bei, 2019 vertreten von Cristina Branco, Joyce Moreno, Ed Motta (obgleich im Al-Jarreau-Modus) und Omar Sosa. Sicherlich kann dissonanzreduzierte Nostalgie zu einer Abschiedszeremonie geraten wie beim aufgebrezelten Ehrengast Benny Golson, dessen Erzählkunst mehr fesselte als seine Tonsignaturen. Aber auch das Gegenteil kann geschehen: Ganz zum Schluss kam Charles Lloyd und brachte aus der Ruhe des Alters mit seinen souveränen Musikern tonnenweise Intensitäts- und Glückserlebnisse. Das war hippe Beseelung!