HÖRBUCHT

JUBITANTEN

Man sollte alles nur noch von Tagesschau-Sprecherinnen ein-, aus- und vorlesen lassen, nicht nur Öffentliches und Offizielles, nicht nur Fakten und Verbrieftes, sondern ein ganzes intimes Leben, sein ganzes Leben lang. Telefon- und Tagebücher, Pornos und Pamphlete, Reden und Ansprachen etwa bei Hochzeiten und Beerdigungen, Witze von Fips Asmussen und Mario Barth, Geronnenes und Gesottenes, Kalauer und Kalligraphisches, ägyptische Inschriften und steinzeitliche Höhlenmalerei, Außerirdisches und -friesisches, Morsezeichen und Amouröses, Kalender- und Filofaxen. ALLES. Gelesen von Tagesschau-Sprecherinnen wie Linda Zervakis, Susanne Daubner und Judith Rakers, moderiert von Caren Miosga. Liebesbriefe und Kassiber, Bonmots und Misanthropisches, Einkaufszettel und Fußballtaktiktafeln, Gebote und Zoten, Hausaufgaben und Referate, Kornkreise und Bierdeckel, Predigten und Fanchöre, Bahnverbindungen und Haltestellen, Geburts- und Todesanzeigen, Beipackzettel und anderes Kleingedrucktes, Songtexte und Notationen, Urlaubskarten und Chats, all die Willst-Du-mit-mir-gehen-Ja-Nein-Vielleichts. Ein ganzes Leben en miniature und doch in seiner ganzen Größe, seiner vollen Pracht. Inklusive Jubelarien und Festschriften! Zur 300. Ausgabe alles Liebe und Gute, liebe JAZZTHETIK! (HA! Damit hast Du nicht gerechnet!) Und vor allem für die Zukunft. Immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel und eine frische Brise in den Segeln. Immer ein Ohr am Puls der Zeit, ohne zu Fashion Victims zu werden. Und immer Anspruchsvolles, Ambitioniertes und Launiges, Lauschiges in der Lauscher-Lounge, der Hörbuch-Kolumne von Welt und Niveau. Die besten Wünsche – in der Hörbucht…

Dein Björn Simon

(geschrieben für die Stimme von Ingo Zamperoni)

Martin Suter / Benjamin von Stuckrad-Barre

Alle sind so ernst geworden

Diogenes Hörbuch

4 Sterne

Der Schweizer Bestseller-Autor Martin Suter, bekannt für seine Krimis und Wirtschaftskolumnen, und der deutsche Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, als ewiger Junger Wilder hat vor allem seine Autobiografie Panikherz ziemlich eingeschlagen, haben sich einst in einem Hotel kennengelernt und angefreundet. Die gemeinsamen Gespräche wurden erst als Podcast veröffentlicht, dann als Buch und sind jetzt als Hörbuch erhältlich. Für die Lesestimmen konnten die beiden Linda Zervakis (Suter) und Caren Miosga (Stuckrad-Barre) gewinnen – und das ist ein schöner Coup, denn die beiden weiblichen Stimmen lassen das sowieso schon leichte Geplauder noch lässiger erscheinen.

Gesprächsthemen finden die beiden Autoren, die perfekte Darsteller für die irgendwie aus der Zeit gefallene Figur des Dandys verkörpern, mit Leichtigkeit, und sie haben auch nichts gegen Abschweifungen. Die neue Rechtschreibung ist nur eins dieser Themen und beide können sich schnell darauf einigen, dass das Wort „platzieren“ durch das eingefügte „t“ viel von seiner einstigen Eleganz verloren hat. Natürlich thematisieren sie auch ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit und monieren, dass ihre jeweilige äußere Erscheinung – beide bevorzugen den Anzug als Dresscode – in Beiträgen über sie viel zu viel Raum einnimmt. Durch den routinierten Umgang mit Medien aller Art haben sie aber auch dazugelernt, und so erfahren wir, dass Stuckrad-Barre nicht mehr bereit ist, jenen Gang mit ernstem Gesichtsausdruck, der in Fernsehbeiträgen gerne für Zwischenschnitte verwendet wird, weiterhin auszuführen. Stattdessen solle man ihn doch lieber an der Bar mit einem Drink filmen.

Besonders schön ist das Kapitel über das Füllwort „Ähm“ geworden, die „Verfertigung des Gedankens beim Lallen“, der beide reichlich zusprechen. Dass beiden nicht bekannt ist, dass Helmut Schmidt so gut wie nie „Ähm“ gesagt hat, ist schade. Dafür streifen sie eine Vielzahl von Themen mit leichter Hand – von Rechnungen über Siri bis zur Psychotherapie –, und eigentlich weiß man gar nicht so genau, warum man so gerne zuhört. Aber man tut es.

Rolf Thomas

Wolfgang Niedecken

Bob Dylan

Argon Hörverlag

4 Sterne

Seine Obsession für Bob Dylan ist hinreichend bekannt, schließlich singt BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken nicht nur seit Jahrzehnten dessen Lieder in kölschen Cover-Versionen, er hat auch dessen Chronicles auf Deutsch eingelesen, war beteiligt an der Dokumentation Prophet eines anderen Amerika und hat den Meister gar mehrfach getroffen. Bob Dylan ist der Musiker, „der mich wie kein anderer musikalisch geprägt hat“, wie Niedecken nun auch in diesem Hörbuch erzählt.

Chronicles zu loben, ist nun wirklich nicht nötig, das Buch hat sich ausnehmend gut verkauft, aber Niedecken bringt gut auf den Punkt, was Dylans Autobiografie unter anderem so lesenswert macht: „Umso erfreulicher, dass er diesmal sogar über einige fragwürdige Phasen seiner künstlerischen Entwicklung uneitel und unprätentiös Auskunft gab, sodass man sich mühelos in ihn hineinversetzen konnte.“ Angemerkt sei höchstens, dass die Zeiten vielleicht doch spannender waren, in denen Dylan selten Auskunft gab und man sich seine eigenen Gedanken über missglückte Platten wie Knocked Out Loaded machen musste.

Jedenfalls ist Niedecken schon als Teenager mit der Musik von Bob Dylan infiziert worden, sein Erweckungserlebnis war „Like a Rolling Stone“, die erste Single übrigens, die länger als fünf Minuten dauerte. „Das hat mich wirklich wie ein Blitz getroffen“, erzählt Niedecken. „Das war so unfassbar anders als alles, was ich bis dahin kannte.“ Letztendlich war Dylan dafür verantwortlich, dass der Kölner überhaupt angefangen hat, Musik zu machen: „Im Zweifel will ich solche Songs schreiben wie der Typ mit der Sonnenbrille.“

Ob ihm das gelungen ist, mag jeder selbst beurteilen. Bob Dylan ist jedenfalls eine akribische Liebeserklärung von jemandem, der Dylans Songs wirklich in- und auswendig kennt und sich ausführlich mit dessen Werk beschäftigt hat – allein die Schilderung der Vorbereitung des erwähnten Dokumentarfilms ist Gold wert.

Die Begegnung mit Dylan selbst hat dann etwas Rührendes, denn hier begegnet eben ein Fan seinem Idol. Gerade in Corona-Zeiten wirkt die Episode mit dem Händeschütteln wie aus der Zeit gefallen. Niemand habe ihn vorgewarnt, dass Dylan Probleme mit seiner Hand habe, erzählt Niedecken. „Ich habe ihm die Hand kräftig geschüttelt, wie man mir das auch beigebracht hat. Da war er ganz erschrocken. Das nächste Mal kam er dann direkt auf mich zu mit der Getto-Faust.“

Rolf Thomas