Elbjazz
Hafen, Hamburg
Von Guido Diesing. Wenn man es wohlwollend ausdrücken wollte, könnte man sagen: Das Elbjazz-Festival war für Besucher*innen, die in erster Linie wegen des Jazz an die Elbe gekommen waren, in diesem Jahr so entspannt wie nie zuvor. Kein nervöser Blick auf die Uhr, kein gehetzter Aufbruch, um von einer Spielstätte zur anderen und von einem sehenswerten Konzert zum nächsten zu kommen. Bedauerlich nur, dass dies nicht an einem ausgeklügelten Zeitplan mit wenigen Überschneidungen lag, sondern schlicht am Mangel an großen Jazz-Acts. Die Hauptbühnen auf dem Werftgelände von Blohm + Voss waren fast komplett in der Hand von Soul (z.B. St. Paul & The Broken Bones), HipHop (The Streets) und Indiepop (Belle & Sebastian, Warhaus). Schon die Ankündigungen auf der Festivalhomepage waren eher Drohung als Werbung. Über die französische Band L’Impératrice hieß es dort etwa: „Fluffiger Funk trifft auf satte Disco-Klänge und lässigen Synthpop“, des Weiteren wurden eine „unvergessliche Dance-Show“(Faithless), „euphorische Disco-Hymnen und zackiger Electro-Funk“ (Jungle) sowie „reinste Pop-Glückseligkeit“ (Kit Sebastian) versprochen. Leider erwies sich all das als zutreffend – nur ohne die Glückseligkeit.
Es sei schlicht nicht gelungen, internationale Jazzgrößen zu verpflichten, weil kaum potenzielle Headliner Anfang Juni in Europa auf Tour gewesen seien, erklärte Festivalleiter Alexander Schulz, als die schon im Vorfeld zu hörende Kritik am Programm während der Festivaltage in den sozialen Medien noch lauter wurde. Schulz bezifferte den Jazzanteil am Programm je nach Stildefinition auf immerhin 30 bis 50 Prozent, und tatsächlich gab es eine ganze Reihe sehenswerter Konzerte. Rabih Lahoud legte mit seiner Gruppe Masaa in der Katharinenkirche einen ebenso stimmungs- wie spannungsvollen Auftritt hin und wurde nach einer poetischen und intensiven Stunde mit stehenden Ovationen gefeiert. Tenorsax-Altmeister Scott Hamilton spielte mit der ganzen Souveränität seiner fast 50 Bühnenjahre swingenden Mainstream-Jazz und führte vor, wie man organisch und ökonomisch ein Solo aufbaut. Shake Stew zeigten, wie nützlich zwei Schlagzeuger und zwei Bassisten sein können, wenn man Groove-orientierte Musik mit Anklängen an Afrobeat und Ethio-Jazz spielen will.
Doch all das änderte nichts am Eindruck, als Jazzhörer auf dem Festival eher geduldet als umworben zu sein und weitgehend in die Randzeiten oder auf Nebenbühnen abgedrängt zu werden, etwa zur Talentbühne der Musikhochschule auf dem Vorplatz der Elbphilharmonie oder zum Jazz-Truck, den das Jazzbüro Hamburg mit Bands der lokalen Szene bespielte – leider bisweilen beeinträchtigt von der großen Lautstärke der in Hörweite befindlichen Hauptbühnen. Unterm Strich waren 22.500 Besucher*innen an den beiden Tagen eine stattliche Zahl. Dass die Erwartungen damit nicht ganz erreicht wurden, hatte weniger mit dem Line-up als mit dem Wetter zu tun, das den Aufenthalt bei Wind, zwölf Grad und immer mal wieder Regen doch arg ungemütlich machte. Es bleibt die Hoffnung auf Besserung, sowohl beim Wetter als auch beim Programm. Immerhin: Festivalleiter Schulz betonte, der diesjährige Jazzmangel sei keineswegs als grundsätzliche Richtungsentscheidung zu verstehen. Das könne im kommenden Jahr schon wieder anders aussehen. Warten wir’s ab!