In jeder Ausgabe der JAZZTHETIK werden die aktuellen CD und DVD Neuerscheinungen aus Jazz, Weltmusik, Elektronik, Blues, u.v.m. vorgestellt. Neben den Einzelvorstellungen gibt es auch Kolumnen zu speziellen Themen. Hier finden Sie 3 ausgewählte Rezensionen zum Probelesen!
Nils Wülker & Arne Jansen
In Concert
Warner
3,5 Sterne
Der Trompeter Nils Wülker und der Gitarrist Arne Jansen sind seit Jahren Freunde, musikalische Partner in Wülkers Band und mittlerweile auch ein viel beschäftiges Duo. Nur zu zweit auf der Bühne zu stehen, ist die kleinste Form der musikalischen Konversation, die direkteste, aber auch eine der schwierigsten. Jansen und Wülker haben die perfekte Balance für ihr Zwiegespräch und packende Kompositionen für das Line-Up Gitarre-Blasinstrument samt Einbindung von Effektgeräten gefunden. Beide lassen dem Mitspieler genug Platz, Ideen zu entwickeln, oft wird der Klang der Trompete mit Harmonizer mehrstimmig angedickt und die Spanne der Gitarre geschmackvoll über Effekte und Looper erweitert. Wülkers weicher Ton an Trompete und Flügelhorn und Jansens facettenreiches Spiel von fast unverändertem akustischem Sound in der Akkordbegleitung bis zu vielen Effekten und dramatischen Soundscapes an der E-Gitarre ergänzen sich traumwandlerisch. Bei „Wanderlust“ steuert Arne Jansen noch eine knackige Basslinie bei. Zwei Coverversionen finden sich auf dem Album, „Ya Ya Ya“ des australischen Singer-Songwriters Ry Mitchell Cuming und „Hurt“ von Nine Inch Nails, fast noch bekannter durch Johnny Cashs eindrückliche Version und hier auch ohne Text ein Gänsehaut-Garant. In Concert ist eine hochklassige Dokumentation von Konzerten der Tourneen 2023 und 2024: nicht nur spieltechnisch brillant, sondern auch kristallklar aufgenommen.
Angela Ballhorn
Jazzrausch Bigband
Bangers Only
ACT / Edel:Kultur
4,5 Sterne
Wenn die Jazzrausch Bigband aufspielt, geht’s rund. Mit ihrem Blechblas-Techno bringen die jungen Münchnerinnen und Münchner mühelos jeden innerhalb von ein paar Sekunden zum Tanzen, von Kindern bis hin zu Senioren – wer die verrückte Kombo einmal live erlebt hat, wird dies bestätigen können. Bangers Only ist zur einen Hälfte ein Best-of-Album und zur anderen das erste Zeichen einer Transformation. Denn neben Fan-Favoriten wie „Moebius Strip“ oder „Punkt und Linie zur Fläche“ hat die Jazzrausch Bigband jetzt auch etwas gefälligere Stücke im Repertoire, mit Euro-Dance-Anleihen und sogar einer Lounge-Jazz-Nummer („La Fée Verte“). Was bei anderen zu Abwertungen in der B-Note führen könnte, ist bei den Münchenern eine durchaus sinnvolle Erweiterung ihrer Stilistik. Und zwar eine sehr gut klingende. Die vorsichtige Öffnung in Richtung Mainstream heißt nicht, dass die Formation ihre alten Techniken ignoriert. „Der Dorfdadaist“ mit seinen Spoken-Word-Texten orientiert sich durchaus an Kraftwerk, „I Want to Hold On“ rast davon wie ein Kolibri-Herz auf Speed, und „Reflection“ und auch „Organic Onions“ starten mit den gewohnten Grooves in Richtung Tanzfläche. Ähnliches könnte man zunächst auch von „Spectrum of a Star“ vermuten, das sich aber mit dem starken Gesang (auch das ein Novum) in Richtung Neo-Soul zu verneigen scheint. Das Ganze jetzt noch live – dann kann die Party starten.
Thomas Kölsch
Matthias Spillmann Trio inviting Bill McHenry
Walcheturm
Unit Records / Membran
3,5 Sterne
Bandbesetzungen ohne ein Harmonieinstrument wie Klavier, Gitarre oder Vibraphon sind im Jazz immer etwas Besonderes, da sich die harmonische Struktur der Musik schwerer erschließt. Für den Schweizer Trompeter Matthias Spillmann, über viele Jahre vor allem mit der Gruppe Mats-up unterwegs, stellt die Besetzung aus Trompete, Bass und Schlagzeug die Keimzelle des Jazz dar. So schreibt er im Albumtext: „Melodie und Rhythmus in reinster Form. Dank der ungemein durchsichtigen Instrumentierung gehen die melodischen Ideen der Protagonisten direkt ins Ohr und ins Herz der Zuhörer.“ Neben Andreas Lang am Kontrabass und Moritz Baumgaertner am Schlagzeug wird diese Keimzelle teils durch den US-amerikanischen Saxofonisten Bill McHenry erweitert. Wie transparent und luftig eine Musik ohne Harmonieinstrument klingen kann, zeigt das Trio beim Opener „Reincarnation of a Lovebird“. Diese Transparenz nutzt die Band auch im weiteren Verlauf, um die klanglichen Möglichkeiten der Besetzung auszuloten. Bei Stücken mit zwei Bläsern wie „Aprentada“ oder „Moon“ zieht die Musik die Zuhörenden durch die in sich verwobenen Bläserlinien in ihren Bann. Die Tradition im Rücken und den Blick nach vorn gerichtet: Walcheturm ist ein Album, das sich seiner Wurzeln bewusst ist und gleichzeitig eine eigene aktuelle Handschrift trägt.
Thomas Bugert