© Pierre Hansen

Sara Decker

Kreative Komplizinnen

Der besondere Geist von Gemeinschaft ist offenkundig. Wenn Sara Decker von den anderen Frauen ihres Bandprojekts Expand erzählt, sind das auch mal ganz einfach „die Mädels“. Alle fünf leiten eigene Gruppen – erfolgreich. Die Sängerin und Songschreiberin hat sie unter einen Hut gebracht – für ein außerordentliches Album und eine Tournee.

Von Arne Schumacher

Die Orga ist furchtbar!“ Dabei klingt Sara Decker keineswegs so angestrengt oder genervt, wie man erwarten könnte. Sie lacht. Und freut sich merklich, dass sie auch die größten Herausforderungen im Alleingang bewältigt hat. Fünf eng gestrickte Terminpläne, finanzielle Jonglagen, ein knapp bemessenes Zeitfenster für die Albumproduktion im Januar, später die – immer noch andauernden – Planungen für eine Reihe von Konzerten. Zum Glück ist Expand eine echte Wunschband. Dafür nimmt man einiges auf sich.

Die Idee hatte sich in der Zeit entfaltet, als nach den Corona-Jahren endlich wieder alles machbar war. „Ich wollte Stücke schreiben für Duos mit Kolleginnen und Freundinnen, die ich toll, die ich inspirierend finde, sie featurn im Sinne einer Komplizenschaft.“ Als Vertraute für dieses Unterfangen holte sie Wunschlisten-Kandidatin Mareike Wiening ins Boot. Mit der Schlagzeugerin hatte Decker, die heute in Düren westlich von Köln lebt, mal eine Zeit lang in New York zusammengewohnt.

„Wir haben ein bisschen rumkonzipiert. Dann war klar: Wenn ich diese Frauen zusammenbringen kann, wäre es viel zu schade, einfach nur Duos zu machen.“ Bassistin Kaisa Mäensivu, die schon an Deckers „amerikanischem“ Debütalbum Long Distance (2017) beteiligt war, stammt aus Finnland, lebt aber in New York. Die beiden waren Studienkolleginnen an der Manhattan School of Music. Auch die taiwanesische Vibrafonistin Yuhan Su, die Decker in Paris kennenlernte, ist Wahl-New-Yorkerin. Wiening pendelt zwischen Köln und der US-Metropole, Trompeterin Heidi Bayer gehört seit Jahren zur regen Kölner Szene und tauchte als Gast auf Deckers vorigem Album Poetryfied (2020) auf, einer Produktion mit stimmungsvollen Stücken zu Gedichten von Rilke, Mascha Kaléko, Emily Dickinson und anderen.

Decker spricht selbst an, was aktuell vielerorts zu ähnlichen reinen Frauen-Besetzungen führt. „Das feministische Thema liegt hier natürlich auch irgendwo drunter. Expand ist eine Feier der weiblichen Zusammenarbeit und Freundschaft. Wir haben immer noch männerdominierte Szenen – ich spiele sonst fast nur mit Männern, was auch nicht schlimm ist. Aber es lag einfach nahe, mal Frauen zusammenzurufen und uns gegenseitig zum Strahlen zu bringen.“

Probe und Aufnahme in Köln standen unter einem guten Stern, trotz des sportlichen Zeitplans und eines Schneesturms über dem Frankfurter Flughafen. Die Stücke kommen aus verschiedenen Quellen. Drei Titel basieren auf einem Studioprojekt Deckers mit dem Titel Invisible Loss über unerfüllten Kinderwunsch (sie ist Mutter einer kleinen Tochter). Weitere schrieb sie für diesen Anlass. Eröffnet und beschlossen wird das Album von Kompositionen Mareike Wienings bzw. Kaisa Mäensivus: „Ihre Stücke haben am meisten Arbeit erfordert, weil sie so odd sind“, lächelt die Vokalistin. Sie war selbst überrascht, wie gut sich die Beiträge der Freundinnen mit den eigenen zu einem organischen Ganzen fügten: „Eine interessante Erfahrung“. Der Feinschliff an den ganz verschiedenen Arrangements – es gibt auch Quartettstücke sowie ein kurzes Duo mit Heidi Bayer – wurde im Studio vorgenommen.

Man spürt, wie zufrieden und stolz Sara Decker ist, dass bei Expand nahezu alles so wunderbar gepasst hat. Die Kombination mit Yuhan Sus Vibrafon empfand sie als ganz besonderen Reiz. „Mir gefällt auch gut, dass auf dem Album so verschiedene Facetten von mir als Sängerin rauskommen.“ Die 40-Jährige – ihre vier Komplizinnen sind etwas jünger – ist das Gegenteil einer vokalen Gipfelstürmerin, sie verzichtet souverän auf exaltierte Kapriolen. Ihr samtener, einnehmend weich und unangestrengt fließender Gesang verströmt Wärme und Gewissheit. Perfekt ist der Zusammenklang mit Flügelhorn oder Vibrafon. Die Texte sind persönlich – entsprechend vermittelt sie die Zeilen bis hin zu der anrührenden Intimität von „It’s Safe Here“.

Decker hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr Jazzempfinden auch einer intensiven Pop-Prägung entspringt. Nach einer Jugend mit Pop und Klassik in ihrer Geburtsstadt Aachen hatte sie erst im Zuge eines Kultur- und Medienstudiums in Marburg samt Erfahrungen in Rock- und Soulbands zum Jazz gefunden. Geblieben sind bestimmte Pop-Aspekte wie eine ausgeprägte melodische Klarheit sowie beherzte Singer/Songwriter-Qualitäten.

Zum Knackpunkt für den künstlerischen Reifeprozesses wurden Probleme im Anschluss an ihre Zeit in New York. Sie setzte sich unter Druck, wollte zu viel und überforderte sich, bis sie gesundheitlich in die Knie ging. Eine schwierige Phase und eine lehrreiche Erfahrung. Seither hat Sara Decker ihre Balance gefunden. „Ich bin zu mir selber gekommen, was das Musizieren angeht. Ich genieße es mittlerweile mehr, einfach im Moment zu sein, nicht zu hinterfragen, sondern zufrieden damit zu sein, was ich geben kann. Ich weiß, dass es um eine authentische Stimme geht.“ Die offenbart sie mühelos auch im Kontext dieser vom Kollektivgeist durchdrungenen Formation. „Bei Expand war mir vor allem wichtig, dass jede das Gefühl hat, ihre Stimme einbringen zu können. Das ist die Grundvoraussetzung, damit es klingt.“ Was es tut – vielfach schillernd.

Aktuelles Album:
Sara Decker: Expand (Unit Records / Membran)