Eva Klesse
Erhebt die Stimme!

© Sally Lazic
Stimme (f): mithilfe der Stimmbänder erzeugte Laute. Man kann Instrumente stimmen, verstimmt sein, es gibt Stimmengleichheit und Stimmbruch. Letztlich ist der wichtigste Aspekt im Jazz, „seine eigene Stimme“ zu finden, was der Schlagzeugerin Eva Klesse schon lange gelungen ist.
Von Angela Ballhorn
Ihr neues Album Stimmen nimmt den Begriff wörtlich. Stimmen und Textdokumente – verlesen oder gesungen, oft schwere und beklemmende Kost – machen dieses Album absolut außergewöhnlich. Dem Protest gegen Diskriminierung und die Niederschlagung von Kritik und Widerstand wird so eine Stimme verliehen.
Das sechste Album der Band ist das bislang persönlichste und politischste. Gemeinsam mit den drei Gastmusiker*innen Michael Schiefel (voc), Zuza Jasinska (voc) und Philipp Rumsch (sound design, electr) kreieren Evgeny Ring (sax), Philip Frischkorn (p), Marc Muellbauer (b) und Eva Klesse (dr) in drei abgeschlossenen musikalischen Blöcken ein musikalisches Essay. Inhaltlich nehmen die Texte den Zuhörer sehr mit. Trauer, Schmerz, Wut und Verzweiflung sind Themen, aber auch immer wieder Hoffnung. Mal sind die Songs nur auf die Originalzitate reduziert und von Instrumentalklängen umschmeichelt, mal sind betörende Songs wie Philip Frischkorns „Over and over and over Again“ mit sich verschränkenden Stimmen und eingängigen Hooklines in eng gesetzten Vokalparts entstanden. Die beklemmenden Sirenenklänge zu Texten von Ellen Hellwig stehen im starken Kontrast zu der ausgeklügelten Komposition „Spring“ von Evgeny Ring, die zu den Highlights des Albums zählt.
„Mit Stimmen wagen wir uns auf ganz anderes Terrain. Wir haben noch nie so viel mit Text gearbeitet, so viele Gäste dabeigehabt, uns noch nie politisch so positioniert. Zudem haben wir noch nie so kollektiv gearbeitet“, erklärt Eva Klesse, die sich für dieses Projekt nur als Spokesperson der Band sieht. Das hat viele persönliche Komponenten. „Vor allem für Evgeny, der mit seinem Beitrag ,Peaceful Warrioresses‘ und den verwendeten kritischen Texten im Grunde besiegelt, dass er sein Heimatland Russland nicht mehr betreten kann. Dass er das mit so einer Konsequenz wagt, die viel größer als für uns andere ist, berührt mich sehr.“
Die unterschiedlichen Annäherungen der Komponisten an die politischen Texte sind interessant. Philip Frischkorns „Witnesses“-Suite nähert sich in Texten von Ellen Hellwig dem Danach der Revolution im Osten und der Wiedervereinigung. Für Eva Klesses „Pass the Mic“ war die Ursprungsfrage, wie man sich mit den Ländern verbinden könnte, die die Band schon bereist hat. „Wir waren in Asien, Mittelamerika und auch in Ägypten. Wir haben immer versucht, mit Leuten vor Ort in Kontakt zu kommen. Ich bin ja sowieso feministisch unterwegs, deshalb hat mich die Situation der Frauen interessiert. Es schockierte mich total, dass in einem Urlaubsland wie Ägypten, das sich so westlich anfühlt, über 80 Prozent der Frauen Genitalverstümmelungen erleiden müssen.“
Dinge, die einen berühren, kann man am besten erzählen, sagt die Schlagzeugerin. Über das Goethe-Institut bekam sie Kontakt zu Sondos Shabayek, einer ägyptischen Aktivistin. Sie hatte für ein Projekt Stimmen von Frauen gesammelt, die so etwas erleben mussten, und diese Texte zur Verfügung gestellt. „Eigentlich ist es unmöglich, zu einem solchen Thema zu komponieren, ich wollte es aber probieren. Ich bin glücklich, dass sie sich in den Stücken gesehen fühlt. Ich wollte ein zerbrechliches, aber zugleich starkes Stück schreiben.“
Für den Prozess des Arbeitens im Kollektiv hat sich die Band erstmals in Klausur begeben, in einer Landesmusikakademie haben die Musiker morgens alleine geübt, Bücher gelesen, mittags viel diskutiert und dann zusammen ausprobiert. „Eine ganz andere Arbeitsweise, ja eigentlich die Soundcheck-Proben-Band. Neue Stücke werden im Soundcheck angespielt und rutschen abends ins Programm.“ Eva Klesse nennt das Album und den Entstehungsprozess „krass“, das Programm einen der ambivalentesten, streitbarsten und kontroversesten Prozesse. „Der interessante Aspekt ist, wie unterschiedlich man mit Text umgehen kann. Spaß gemacht haben unsere Chöre, so was haben wir noch nie gemacht. Auch wenn es manchmal schief und krumm klingt.“
Da die Texterinnen Daria Serenko und Yulia Tsvetkova für Evgeny Rings „Peaceful Warrioresses“ nicht in Deutschland leben, werden ihre Texte für die Bühnenfassung des anspruchsvollen Programms teils eingespielt und teils von Zuza Jasinska und Michael Schiefel live übernommen. „Wir haben überlegt, ob das Projekt immer noch Eva Klesse Quartett heißen soll. Wir haben uns dafür entschieden, weil die Leute uns unter diesem Namen kennen. Für Stimmen treten wir als Band einen Schritt zurück. Wir wollen andere Leute featurn, letztendlich sind es nicht unsere Geschichten. Deshalb heißt mein Stück auch ,Pass the Mic‘: Wir reichen das Mikro weiter und umkleiden die Stimmen. Wir haben sie ausgewählt und kuratieren sie.“
Aktuelles Album:
Eva Klesse Quartett: Stimmen (Enja / Edel:Kultur)