
© Mitsuru Nishimura
Hiromi
Draußen beim Orion
Wer Hiromi Uehara allein für eine Tastenakrobatin hält, der hat etwas gründlich missverstanden. Klar braucht jemand, über den die Göttin der Musik ein wahres Füllhorn an Talent ausgeschüttet hat, beständig neue Herausforderungen. Klar auch, dass höchste Virtuosität da nur ein erstes Ziel markieren kann. Was aber tun, wenn einem spieltechnisch kaum noch Grenzen gesetzt sind? Genau – dann macht man es am besten wie die japanische Alleskönnerin an den Tasten: Man hat Spaß.
Von Robert Fischer
Und zwar im Idealfall eine ganze Menge Spaß, wie im Internet bestens dokumentiert ist: Über zwei Millionen Aufrufe hat allein das YouTube-Video ihres Tiny Desk Concerts von NPR, das die nur unter ihrem Vornamen firmierende Künstlerin im September 2023 gab. Zu sehen ist sie da mit ihrem aktuellen Quartett, mit dem sie damals gerade das Album Sonicwonderland aufgenommen hatte und mit dem sie dann im August 2024 erneut in ein Studio ging, um das aktuelle Album Out There aufzunehmen. Dazu gehören Adam O’Farrill (tp), Gene Coye (dr) und Hadrien Feraud (e-b).
Als erstes hören wir eine Neuinterpretation ihres Stücks „XYZ“, das 2003 schon den Auftakt ihres Debütalbums Another Mind machte. Spannend zu vergleichen ist das insofern, als zwischen diesen beiden Aufnahmen nicht nur über zwanzig Jahre, sondern offenbar ganze Welten liegen: Was beim Debüt vor allem eine staunenswerte Talentprobe war – erkennbar ausgerichtet auf das Vorführen von Hiromis beeindruckender Fingerfertigkeit –, ist in der aktuellen Version ein gar nicht so kleines Gesamtkunstwerk – Fusion at its best. Was zum einen an O’Farrills den Bandsound gen Kosmos lüftenden Trompetenspiel liegt und zum anderen am dichten Zusammenwirken aller übrigen Beteiligten.
Warum das alles so gut passt, erklärt Hiromi selbst so: „Bei Sonicwonderland hatte ich zunächst das Konzept und die Songs und suchte nach Leuten, die die Musik so spielen konnten, wie ich es mir vorstellte. Nachdem ich über ein Jahr mit der Band zusammen war und wir viele Shows gespielt hatten, begann ich, ihre Stärken zu erkennen und zu sehen, was sie ausmacht. Also fing ich an, Musik zu schreiben, bei der ich ihre individuellen Stimmen stets im Hinterkopf hatte.“
Treiben lässt sie sich dabei ganz schlicht von ihrer Neugierde – die sei der Schlüssel zu allem, was sie macht, erklärt sie. Ihr kreativer Output dabei ist enorm – Out There ist bereits ihr dreizehntes Studioalbum –, und man möchte ihr gerne glauben, dass sie sich ihre enorme Spielfreude bis heute bewahren konnte. Einen großen Anteil daran dürfte ihre Klavierlehrerin Noriko Hikida gehabt haben, die sie seit ihrem sechsten Lebensjahr und insgesamt zwölf Jahre lang unterrichtet hat. Hikida war es auch, die Hiromi die ersten Jazzplatten gab, Erroll Garners Concert by the sea und Oscar Petersons We Get Requests. Nach weiteren musikalischen Einflüssen gefragt, nennt Hiromi so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Frank Zappa, Martha Argerich, Vladimir Horowitz, Jeff Beck und King Crimson – diese Liste könne aber noch ewig so weitergehen, fügt sie hinzu.
Um ihr das Notenlernen zu erleichtern, markierte ihr die Klavierlehrerin bestimmte Passagen mit bunten Farben – rot für expressiv, blau für melancholisch. Das dürfte auch Hiromis bis heute anhaltende Vorliebe für (Klang-)Farben erklären. So suchte sie für die aktuelle Besetzung explizit einen Trompeter mit einem etwas dunkleren Ton – außerdem sollte er den Klang gern mit Effektpedalen variieren wollen. Auch sie selbst will sich nicht auf die Ausdrucksmöglichkeiten des Klaviers beschränken, sondern erweitert das Spektrum mit zwei Synthesizern. Was nicht jedem gefällt – Puristen würden sie am liebsten immer auf ihrem Yamaha-Flügel spielen hören. Andere wiederum erreicht sie gerade mit ihren poppigeren Sounds. Das beschert ihr über das intime Setting kleinerer Jazzclubs hinaus auch Auftrittsmöglichkeiten auf großen Festivals wie in Glastonbury.
Wie bereits auf Sonicwonderland ist auch auf dem aktuellen Album das Verhältnis von akustischen zu synthetischen Klängen gut austariert. Am poppigsten klingt – nomen est omen – das abschließende Stück „Balloon Pop“, das zunächst einen kinderliedschlichten Ohrwurm in die Gehörgänge schmeichelt, dann aber mit Hiromi am Flügel solierend wirklich Fahrt aufnimmt.

© Mitsuru Nishimura
Herzstück des komplett von Hiromi komponierten Ganzen ist die vierteilige Suite „Out There“, nach der das Album benannt ist – auch das als Ausdruck ihrer beständigen Neugierde, „da draußen“ etwas Neues zu finden. Hier heben wir nun endgültig ab in ferne, ja fernste Welten, machen einen Abstecher zum Sternbild Orion und wandern dabei auch insofern durch Raum und Zeit, als wir uns im letzten Teil der Suite, „The Quest“, musikalisch wie klangtechnisch auf den Schultern des Weather-Report-Pioniers Joe Zawinul wiederzufinden scheinen. Was nun wirklich sehr viel Spaß macht.
Aktuelles Album:
Hiromi: Out There (Telarc International)