Nels Cline

Kreative Kreise

© Nathan West

Ausladende Gitarrensoli – diese Vorstellung bereitet ihm zunehmend Unbehagen. Nels Cline war schon immer ein ausgemachter Teamspieler. Entsprechend hat der abenteuerfreudige Gitarrist auch seine aktuelle Band ausgerichtet: das Consentrik Quartett. Saxofon-Partnerin ist Ingrid Laubrock.

Von Arne Schumacher

Vier Alben für das Blue-Note-Label – vier verschiedene Konzepte, vier völlig verschiedene Bands. „Dahinter steckt kein Plan, das passiert einfach so“, beteuert Nels Cline. Für das neue hat man ihm von der Marketingseite her dringend geraten, nicht den ganzen Gruppennamen, sondern nur seinen eigenen als Suchbegriff voranzustellen, andernfalls sei er in der Streamingwelt nicht zu finden. Der Fluch des Digitalen. Die – formal mögliche – Schreibweise macht es nicht leichter. Consentrik mit ‚k‘. „Kind of cool looking“, grinst Cline, inzwischen 69.

Konzentrisch bedeutet, dass Elemente symmetrisch um eine gemeinsame Mitte angeordnet sind, so wie unterschiedlich große Kreise um einen Mittelpunkt – hier „ein Symbol für Gruppenmitglieder, die kooperieren, aber unabhängig sind.“ Hervorgegangen ist die Gruppe aus einem Trio, mit dem der Gitarrist noch vor der Pandemie „just for fun“ ein paar kleine Gigs bestritten hatte. Mit Bassist Chris Lightcap (b) und Tom Rainey (dr) tauchte er in Stücke von Gitarristen wie Gábor Szabó und Sonny Greenwich ein, ergänzt um eigene: „Das ging in Richtung Raga-Jazz, wie manche das heute nennen – viel Drone-Material ohne irgendwelche Effekte.“

© Nathan West

Als John Zorn ihm zwei Abende im Club-Ableger The Stone in Brooklyn anbot, ergänzte Cline für den zweiten Abend die deutsch-amerikanische Saxofonistin Ingrid Laubrock. Er hatte sie im Oktett von Mary Halvorson im Village Vanguard erlebt und mochte ihre frei improvisierten Duoaufnahmen mit Lebenspartner Rainey. „Ingrid kann natürlich ziemlich ‚Avantgarde‘ sein“, lacht er. Besonders tief beeindruckt war er davon, wie sie die oft herausfordernden Parts in Halvorsons Stücken gestaltete: „sehr klar und entschieden, ausdrucksvoll – und sehr melodisch.“

Aus der positiven Quartett-Erfahrung heraus begann Cline, Stücke für genau diese Besetzung zu entwerfen. „Wenn ich komponiere, ziehe ich meist in sehr hohem Maße die beteiligten Musiker in Betracht. Ich möchte, dass sie sich wohl fühlen und dass sie glänzen können.“ Die Konstellation kam ihm auch in anderer Hinsicht entgegen. „Ich will eine weitere Stimme als harmonischen und melodischen Gegenpart – metaphorisch gesagt als Sparringspartner. Deshalb hatte ich schon das Quartett mit Julian Lage, deshalb hatte ich Brian Marsella und Skerik in die Nels Cline Singers geholt“, nachzuhören auf den vorigen Blue-Note-Alben. „Ich will weg von ‚heroischen‘ Soli, weg davon, die Hauptstimme zu sein – das empfinde ich in dieser Phase meines Lebens als eine Last, als geradezu lähmend. Stattdessen gibt es auf diesem Album viel Hin und Her zwischen Ingrid und mir und viel Gleichzeitiges. Wir ähneln uns darin, dass wir beim Spielen ständig auf den anderen hören – genau wie Julian.“

Wie gut das Spiel der beiden ineinandergreift, wie sich Saxofonlinien und Gitarrenparts umranken, ergänzen, inspirieren, wie sie kontrastieren, aber nie auseinanderdriften, ist eine der großen, nachhaltig einnehmenden Qualitäten des Consentrik Quartet. Das umfangreiche Material reißt viele Aspekte an, die sich durch das facettenreiche Werk Clines ziehen: vom mystisch dunklen Auftakt „The Returning Angel“ (ein weiterer Titel mit Engel-Bezug des – keineswegs religiös geprägten – Amerikaners) und dem intensiven Groove von „The 23“ über die elegischen Soundscapes in „Allende“ – beeinflusst vom Schaffen Charlie Hadens und Paul Motians – bis zum pulsierenden Free-Bop in Tracks wie „Down Close“. Die Band agiert wie eine echte, höchst elastische Einheit, geleitet vom kommunikativen Geist des Leaders.

© Nathan West

Einige Stücke entstanden während der frühen Phase der Pandemie, für Nels Cline „eine Zeit der nachhaltigen Veränderung“. Da ist vor allem das anrührende Finale „Time of No Sirens“, aber auch das zweiteilige „Satomi“, eine Verbeugung vor einer engen Freundin, Mitglied der Indierock-Band Deerhoof, um die er sich in den Monaten besonders sorgte. Er und seine Frau waren im März 2020 aus Brooklyn aufs Land geflüchtet, ein paar Autostunden nordwestlich im Upper State New York. „Das war bizarr – aus den ständigen Sirenen in unserer Nachbarschaft in diese ländliche, extrem stille Umgebung im Wald im Schnee.“ Aktuell leben sie in Oneonta, einer Kleinstadt in Otsego County. Cline verbringt trotzdem die meiste Zeit in New York City in Wohnungen von Freunden. Und ist musikalisch weiter für alles zu haben, was Spaß verheißt. Kurz vor unserem Gespräch trat er mit einer Gruppe um Saxofonist Larry Ochs auf, tags drauf war er mit Saxofonist Tim Berne für ein Improvisations-Treffen mit Tom Rainey und Elias Stemeseder in Bernes Stamm-Bar verabredet.

Und dann ist da noch sein Engagement als Gitarrist in der weltweit erfolgreichen Rockband Wilco von Jeff Tweedy, der er 2004 beitrat. Da übernimmt Nels Cline, auch in Rock-Kreisen bewundert, eine völlig andere Rolle. Dass er immer wieder zunächst als „Wilco-Gitarrist“ beworben wird, nimmt er gelassen. „Diese Verbindung hat mein gesamtes Leben verändert“, sagt er dankbar. Außerdem sorgt sie dafür, dass alles andere, was er musikalisch so treibt, deutlich mehr Zuspruch erfährt als früher. So ergänzen sich die diversen kreativen Kreise, die Nels Cline in die Welt schickt, aufs Schönste.

Aktuelles Album:

Nels Cline: Consentrik Quartet (Blue Note / Universal)