
© Dovile Sermokas
Simin Tander
Kraftvoll zurück zu den Wurzeln
Mit The Wind legt Simin Tander eine neue Platte vor, die voller Kraft ist, anders zu klingen scheint – und dabei doch auch ein neuer Weg zurück zu ihren musikalischen Wurzeln ist.
Von Verena Düren
Ihre Stimme verursacht Gänsehaut – sogar am Telefon! Simin Tander hat sich als Sängerin durch zwei entscheidende Merkmale in der Jazzszene einen Namen gemacht: zum einen durch ihre Stimme, die nicht nur mit ihrem warmen Timbre verzaubert, sondern auch einzigartig in ihren Facetten ist, und zum anderen damit, dass sie Englisch und Paschtu, die Sprache ihres Vaters, in ihrer Musik kombiniert. Doch der Weg zur Musik war bei ihr keineswegs vorgezeichnet: „Ich komme nicht aus einem Musikerhaushalt, aber aus einem Haushalt, in dem viel Musik lief und es viel Raum für Kreativität gab. Meine Mutter ist Lehrerin, liebt aber das Theater und die Musik, und mein Vater war afghanischer Journalist und – wie ich erst später erfahren habe – auch Dichter.“ Ihr Vater starb sehr früh, und ihre Mutter erkrankte zwei Jahre später ebenfalls schwer. In dieser Zeit half den Kindern, die schon vorher, unterstützt durch ihre Mutter, ihre Kreativität entdeckt hatten, diese über eine schwere Zeit hinweg.

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„Ich hatte sehr viel Freude am Experimentieren mit der Stimme. Ich habe beispielsweise, schon als ich ganz klein war, die Waschmaschine imitiert“, erinnert sich Tander lachend. Aber obwohl sie absolut nicht scheu war und in der Schule sogar Veranstaltungen moderiert hat, wagte sie sich erst mit 18 Jahren, Gesangsunterricht zu nehmen. „Für mich war das Singen immer schon ein ganz besonderer und sehr intimer Raum, weshalb ich mich zuerst nicht recht traute.“ Über die Al-Jarreau-Platten der Mutter war schon früh die Liebe zum Jazz entstanden, wo es viel mehr Improvisationsmöglichkeiten gab als in der Klassik, mit der sie zunächst begonnen hatte. Nach dem Studium, zunächst in Köln und dann in Arnheim, lebt und arbeitet sie nun in Köln und in Oslo.
Mit The Wind legt sie eine Platte vor, auf der sie ihre Facetten zeigt: „Es war mir ein großes Anliegen, dass dieses Album mich ganzheitlich widerspiegelt, als Künstlerin, die ich jetzt bin. Insofern ist die Musik eher klein besetzt und klingt teils sehr zart, hat aber auch eine große Bandbreite an Dynamik“, so Tander. „Ich empfinde inzwischen auf der Bühne eine ganz andere Kraft, mit der ich viel mehr in die Stimmen reingehen kann.“ Auffällig ist bei The Wind auf Anhieb, welche zahlreichen Einflüsse Simin Tander hier erneut vereint: So finden sich Impulse aus der Folklore und Lyrik Spaniens, Italiens, Englands und Norwegens. „Abgesehen von der Prägung aus verschiedenen Ländern, habe ich auch stilistisch ganz viele Dinge allein über das Hören aufgenommen. So habe ich beispielsweise auch immer schon viel Folklore gesungen, instrumental gesehen bin ich aber vor allem vom Jazz geprägt.“
Der Bandsound ist ein anderer als auf früheren Platten: „Ich habe beim Schreiben der Musik ganz anders mit den jeweiligen Stärken der einzelnen Bandmitglieder gearbeitet. So ist dann ein besonderes Album entstanden, mit dem wir alle sehr glücklich sind, was man auch hört.“ Zur Band gehören Björn Meyer (e-b, effects) und Samuel Rohrer (dr, perc, electr), die Tander schon lange kennt: „Beide haben auf ihre Art einen sehr schönen Groove und sind wie ich auch in verschiedenen Klangwelten zu Hause.“ Neu dabei ist die indischstämmige Geigerin Harpreet Bansal: „Sie kommt aus der Raga-Tradition und schafft es, diese in einen modernen Kontext zu bringen“, so Tander. „Für mich ist sie natürlich von besonderer Bedeutung, weil sie den Gegenpart zu meiner Stimme übernimmt: Mal folgt sie ihr wie ein Schatten, und dann ist sie wieder solistisch und eigenständig zu hören.“ Auch wenn Simin Tander vieles aus der Folklore aufgreift, so macht sie traditionelle Musik doch immer zu ihrer ganz eigenen: So adaptiert sie beispielsweise das norwegische Volkslied „Jesus, gjør meg stille“ und macht daraus „My Weary Heart“, gesungen in ihrer eigenen Fantasiesprache, die gut zur mysteriösen Stimmung des Originals passt. In „Nursling of the Sky“, basierend auf einem Gedicht von Percy Bysshe Shelley, erklingen die tanzbaren und groovigen Sounds, die sie früher selber gerne gehört hat.
Den letzten Schliff erhielt The Wind in New York und Los Angeles von den beiden Grammy-ausgezeichneten Tontechnikern Joshua Valleau und Daddy Kev: „Der Sound der beiden hat mich nicht losgelassen – und ich konnte dieses Mal so viel bestimmen wie nie zuvor“, so Tander begeistert. Bei der inhaltlich und besetzungstechnisch internationalen Platte schien der Schritt logisch, mit jemandem in New York zu arbeiten.
Simin Tander gelingt mit dieser Platte eine Zusammenfassung ihres künstlerischen Schaffens und zugleich ein Album, wie es kaum bedeutsamer sein könnte: „Gerade in diesen Zeiten ist Musik so wichtig, denn ich glaube fest daran, dass sie inneren Frieden und Heilung bringen und allumfassend berühren kann. Für mich fühlt sich das wie eine Lebensaufgabe an.“ Und wer von möglicher Heilung durch Musik nicht überzeugt ist, dem sei die abschließende Improvisation „Outro – the Wind“ empfohlen.
Aktuelles Album:
Simin Tander: The Wind (Jazzland Recordings / Edel:Kultur)