HÖRBUCHT
LÄRM!
Lärm ist lebendig. Ist Leben. Flexen. Sägen. Bohrhämmern. Lkwehen. Klopfen. Kloppen. Krachen. Schütten. Schmeißen. Schreien. Baulärm. Zwitschern. Piepsen. Brillieren. Pfeifen. Singen. Trillern. Trällern. Trompeten. Tirilieren. Fiderallalan. Keckern. Krächzen. Vogellärm. Rollkoffern. Trampeln. Schreien. Zusammenrotten. Tourilärm. Anfahren. Aufjaulen. Parken. Piepen. Sirenen. Fehlzünden. Knattern. Rören. Qietschen. Auspuffen. Bremsen. Brüllen. Hupen. Straßenlärm. Grölen. Stammeln. Umschmeißen. Davortreten. Vandalieren. Fluchen. Grüßen. Kreischen. Lachen. Feiern. Fallen. Randalieren. Besoffenenlärm. Piepen (schon wieder). Tonnen scheppern. Wuchten. Hochfahren. Leeren. Zurückstellen. Rufen. Piepen (aller schlechten Dinge sind auch drei). Müllabfuhrlärm. Plärren. Quengeln. Weinen. Spielen. Klettern. Juchzen. Jubilieren. Kinderlärm.
Lärm ist lebendig. Ist Leben. In der Hörbucht…
Björn Simon
Jörg Hartmann
Der Lärm des Lebens
Argon Verlag AVE GmbH
4 Sterne
Es soll ja Leute geben, die mögen keine Hörbücher. Erst recht keine solchen, in denen ein Buch „einfach so“ vorgelesen wird, statt als Podcast aufbereitet oder hörspielgerecht mit Musik und Tschingderassabum inszeniert zu werden. Warum, fragen sich diese Leute, soll ich mir das Buch vorlesen lassen, wenn ich es auch selbst lesen kann. Gute Frage, ja, aber die Antwort ist ganz einfach: Weil es Autoren wie Jörg Hartmann gibt.
Dieser Jörg Hartmann nämlich, 1969 in Hagen geboren und in Herdecke aufgewachsen, ist eine Mehrfachbegabung: als Schauspieler, Autor und als Sprecher. Und wo so viele Talente aufeinandertreffen, könnte man auch von einem Glücksfall sprechen. Muss man sich Jörg Hartmann, den die meisten in seinen bekanntesten Rollen als Falk Kupfer in der Serie „Weissensee“ und als Kommissar Faber im Dortmunder „Tatort“ kennen, als einen glücklichen Menschen vorstellen?
Gemach. Erstens wollen wir der Person, die diese Talente in sich vereint, nicht zu nahe treten. Zweitens stellt sich die Frage, womit wir es hier überhaupt zu tun haben. Ein „autobiografischer Roman“ soll das sein, was Jörg Hartmann unter dem schönen Titel „Der Lärm des Lebens“ geschrieben und nun in einer ungekürzten Fassung als über siebeneinhalb Stunden langes Hörbuch eingelesen hat? Aber: Widerspricht sich das nicht, Autobiografie und Roman? Was ist wahr, was erfunden?
Gut möglich, dass Jörg Hartmann solche Fragen herzlich egal sind. Als Kind des Ruhrpotts, dessen Milieu er sich durchaus verbunden fühlt, ist ihm eine bestimmte Haltung vermutlich wichtiger als irgendwelche Gattungsfragen. „Auf den Putz zu hauen“, sagt er zum Beispiel, „das kam (und kommt) im Ruhrpott und bei uns zu Hause nicht so gut an.“ Was aber sehr gut ankommt, ist der Ton, in dem Jörg Hartmann seine Lebensgeschichte schildert, selbst wenn manches etwas zu weitschweifig erzählt wird, Namen mal eben ohne weitere Erklärung auftauchen – „die Barbara“ (Frey), „der Thomas“ (Ostermeier) –, in der Chronologie gern mal hin- und hergesprungen wird und nicht jedes sprachliche Bild („… sagte er mit geballter Faust und lächelnder Inbrunst“) geglückt ist.
Angenehm vertraut klingt schon bald seine Stimme, und wenn es um die Frage geht, ob sich das alles genau so zugetragen hat, wie er es schildert, hält er sich vermutlich auch als Autor an eine Maxime, die ihm sein Schauspielerkollege Rolf Boysen einst mitgab: „Mach einfach immer nur das, was du verantworten kannst.“
Da war er noch ganz am Anfang seiner meist mit selbstironischem Augenzwinkern geschilderten Karriere, die ihn von Herdecke über die Schauspielschule in Stuttgart und erste Engagements in Meiningen und Mannheim bis nach Berlin brachte, wo er seit 2024 wieder zum festen Ensemble der Schaubühne gehört.
Ernster wird der Ton, wenn es um seine Familiengeschichte geht – besonders anrührend in der Schilderung seines an Demenz erkrankten und schließlich verstorbenen Vaters. Ihm und seiner Mutter ein liebevolles Denkmal zu setzen, dürfte ihm ebenso sehr ein Antrieb zum Erzählen gewesen sein wie die Suche nach einer Antwort auf die Frage, die wohl jeden einmal umtreibt: „Wer bin ich – und wenn ja warum?“
Warum er wurde, wer er ist, hat er selbst in die folgenden Worte gefasst: „Durch das Schauspielen hatte ich ein Stück Kindheit in die Tasche stecken können und hinüberretten in mein durchorganisiertes Leben, in die unsinnlichen Zwänge des Erwachsenseins. Wenn der ganze Ballast, der zum Beruf des Schauspielers gehört, abgeworfen ist, wenn es nur um das reine Spielen geht, nur um das reine und freie Spiel im Moment, den meditativen Augenblick des Vergessens, wenn die Eitelkeit keine Bedeutung mehr hat, dann ist die Schauspielerei ein Geschenk und kann die Rettung sein nach dem unumgänglichen Verlust der Kindheit.“
Alles in allem bekommen wir in „Der Lärm des Lebens“ zumindest eine Ahnung davon, wer dieser Jörg Hartmann, vielleicht, ist: einer, der sich selbst gerade so wichtig nimmt, dass er immer auch noch über sich selbst lachen kann. Einer, der die Welt gern umarmt, auch wenn er weiß, dass es viele Gründe gibt, an ihr zu verzweifeln. Und schon dafür, für diese „trotz allem“ lebensbejahende Stimme selbst in finsterer Zeit, kann man dieses Hörbuch nur lieben.
Robert Fischer