Potsa Lotsa XL

Tanz der Mikroben

© Dovile Sermokas

Dass Potsa Lotsa XL heute als Tentett auf der Bühne und im Studio stehen, hat sich organisch über die Jahre ergeben. Auf ihrem aktuellen Album Amoeba’s Dance wirft die Großformation einen Blick in den Mikrokosmos der Einzeller. Leaderin Silke Eberhard kennt die Herausforderungen des Unterfangens, sagt aber: „Je mehr Leute, desto mehr Freude!“

Von Harry Schmidt

Neben der Arbeit mit ihrem Trio – dort sind Jan Roder (b) und Kay Lübke (dr) ihre Mitstreiter – steht für die Berliner Saxofonistin Silke Eberhard die Großformation Potsa Lotsa XL auf der Agenda obenan: ein Herzensprojekt, „über lange Zeit gewachsen“, so die Musikerin, aus einem Bläserquartett heraus, das sich mit der Musik von Eric Dolphy beschäftigte, aber auch Werke der klassischen Moderne von Giaccinto Scelsi oder Kurt Schwitters Ursonate aufführte. The Complete Works of Eric Dolphy war 2010 das erste Dokument dieser Auseinandersetzung, für die Aufnahmen von „Love Suite“, einer unvollendet hinterlassenen Komposition Dolphys, verstärkten sich Eberhard, Patrick Braun (ts), Nikolaus Neuser (tp) und Gerhard Gschlößl (tb) um Jürgen Kupke (cl), Marc Unternährer (tuba) und Antonis Anissegos (electr) 2014 zum Septett Potsa Lotsa Plus. Drei Jahre später entwickelte sich daraus das Tentett Potsa Lotsa XL, dem auch Johannes Fink (vc), Taiko Saito (vib), Igor Spallati (b) und Kay Lübke (dr) angehören – nun stehen ausschließlich Kompositionen Eberhards auf dem Programm.

„Ich schreibe gern für große und auch für ungewöhnliche Besetzungen“, sagt die 1972 in Heidenheim geborene Musikerin. Für das jüngste Album Amoeba’s Dance hat Eberhard einen mehrstufigen Prozess ins Werk gesetzt: Die 18 Stücke verstehen sich als Suite über die Lebensform der Einzeller, die Skizzen dazu hat sie in der Abgeschiedenheit des kanadischen Banff Center for Arts and Creativity entworfen, dann in einer Probenphase mit der Band ausgearbeitet und schlussendlich im Aufnahmeprozess fixiert. Von Beginn an habe sie auch bei diesem Blick in den Mikrokosmos konkrete Vorstellungen von Stimmen im Kopf gehabt, der Individualität ihrer Mitspieler komme auch im Tanz der gestaltwandelnden Mikroben eine entscheidende Rolle zu: „Ich schneidere das den Leuten auf den Leib. Jeder hat seine eigene Persönlichkeit, gewisse Vorlieben und Stärken – und das stelle ich gern etwas heraus. Denn im Jazz ist das ja die Tugend: dass man einen eigenen Stil hat.“

Und wie bekommt man diese Vielzahl und Vielfalt individueller Stimmen unter einen Hut? Musikalisch sei das eigentlich recht einfach und eine Frage der Organisation in der Partitur, wobei sie die Vorstellung eines Komponisten als höchste Instanz für überholt hält: „Ich möchte Improvisation und Komposition zusammenbringen“, meint Eberhard. In der Probe werde tatsächlich ausprobiert: „Manche Dinge funktionieren auch mal nicht oder klingen ganz anders als von mir ausgedacht. Da arbeiten wir dann gemeinsam dran.“ Viele der Stücke auf Amoeba’s Dance sind recht kurzgehalten: „Ich denke, das ist noch nicht auserzählt – live werden wir einiges nochmals anders gestalten.“ Logistisch sei solch ein Large-Ensemble „krasser Individualisten“ natürlich eine unglaubliche Herausforderung, beginnend damit, zehn Terminkalender zu koordinieren. Über einen festen Proberaum verfügen Potsa Lotsa XL nicht, „Raum-Hopping“ komme also hinzu, des Weiteren Instrumententransport (Vibrafon!) und Fahrtkosten. Auswärts Hotelzimmer, alles im Faktor zehn. „Und es muss immer ausreichend Kaffee da sein.“ Doch ansonsten sei es wie bei jeder Party: „Je mehr Leute, desto mehr Freude!“

Aktuelles Album:

Potsa Lotsa XL: Amoeba’s Dance (Trouble in the East Records / Bandcamp)