HÖRBUCHT
HERBST
Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei /
Denn es ist Sommer HERBST und was ist schon dabei? /
Die Grillen singen und es duftet nach Heu, wenn ich träume.
Hatschi! Hatschu! Im Zweifel sind wir alle allergisch gegen unsere Träume – und gegen die Realität. Musik hat seit jeher die Gabe, Emotionen zu wecken. Das „Bett im Kornfeld“ vermittelt jene Sehnsucht nach Freiheit und Frieden, nach Unbeschwertheit und Einfachheit des Lebens, natürlich auch im Herbst. In einer Welt, die oft von Hektik und Stress geprägt ist, erinnert uns die Musik an die Schönheit der Natur und die Freuden des Lebens. An Entspannung und Rückzug aus dem Alltag. Musik lädt dann dazu ein, einen Moment innezuhalten und die Seele baumeln zu lassen, natürlich auch im Herbst. Zirpende Grillen und duftendes Heu malen ein Bild von einem perfekten Tag, der zum Träumen einlädt. Doch im Zweifel sind wir ja eh alle allergisch gegen unsere Träume – und die Realität.
In der Hörbucht…
Björn Simon
Little Rosies Kindergarten feat. Sarah Jung
Christine Nöstlinger: Du bleda Bua
Mandelbaum Klangbuch
4,5 Sterne
Mit ihren vielfach preisgekrönten Büchern hat Christine Nöstlinger der Kinder- und Jugendliteratur ab den 1970ern wichtige Impulse gegeben, hat Geschichten in die Kinderzimmer gebracht, in denen auch Themen behandelt wurden, die bis dahin in Jugendbüchern kaum vorkamen: Fragen nach Autorität, Emanzipation, Kinder auf Sinnsuche, Eltern mit Eheproblemen. Doch die 2018 gestorbene österreichische Autorin hat nicht nur für Kinder geschrieben. In ihrem Gedichtband Iba de gaunz oamen Leit widmete sie sich 1974 im Wiener Dialekt, mit dem sie selbst aufgewachsen ist, den Lebensumständen und der Gedankenwelt der einfachen Leute. Dabei geht es ihr darum, nichts zu beschönigen. Sie schildert authentische Schicksale und blickt nicht weg, wenn es hässlich oder trist wird, ohne ihre Figuren vorzuführen oder lächerlich zu machen.
Die Direktheit, die Nöstlinger im Dialekt erreicht, berührte die Schauspielerin Sarah Jung so eindringlich, dass sie unbedingt mit den Texten arbeiten wollte. In der eigenwilligen Wiener Big Band Little Rosies Kindergarten fand sie Mitstreiter für ein Projekt, das unter dem Titel Du bleda Bua ein Musterbeispiel einer originellen und beeindruckenden Symbiose zwischen Lyrik und Musik geworden ist.
In den Psychogrammen von Einzelschicksalen, die exemplarisch für viele stehen, werden Begierde, Leidenschaft und Gewalt ebenso thematisiert wie das Verzweifeln an traditionellen Rollenbildern und der Wunsch, der Realität zu entfliehen. „Des wiad ma daun scho segn“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Musik nicht zur bloßen Untermalung degradiert wird, sondern ein gewichtiges Wort mitredet. Sie baut Stimmungen auf, mischt sich mit störrischen experimentellen Passagen und Free-Jazz-Ausbrüchen ein und ist den ausdrucksstarken Rezitationen ein kraftvoller Gefährte. Die Big Band, in deren dreizehnköpfiger Besetzung sich drei Streicher finden, dafür aber die Blechbläser fehlen, hält sich von musikalischen Wien-Klischees komplett fern, steigert sich vielmehr in der Suizid-Fantasie „A Frau gibd au“ in breite Psychedelik. Wenn in „Unmegliche Dram“ die Ich-Erzählerin feststellt, dass ihr lasziv vorgetragener Traum, machomäßig Männer aufzureißen, nicht zu realisieren ist, scheinen Bläser den Ärger über diese Unmöglichkeit geradezu herauszuschreien. Die drastischen albtraumhaften Bilder in „I dram so schlechd“ verstärkt die Musik mit dichten, bedrohlichen Klanglandschaften. Die Band erklärt ihren Ansatz: „Nicht das vordergründig Dramatische zu unterstreichen, sondern musikalisch etwas dagegenzusetzen, schien uns weit interessanter.“
Man merkt den Interpretationen von Sprecherin und Musikern an, dass sie in langer Auseinandersetzung immer weiter gereift sind und dabei an zusätzlichen Bedeutungsebenen gewonnen haben. So werden die dargestellten Charaktere in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit greifbar und die Aufnahme zu einem bewegenden Erlebnis, das nachhallt.
Guido Diesing