Internationales Jazzfestival
Münster

© Stefan Streitz.
Von Jan Kobrzinowski. Als Opener für das erste Festival des Jahres beeindruckte das internationale Brainteaser Orchestra gleich mit einem komplexen Line-up mit Streichern, Holzbläsern, Rhythmusgruppe plus Gast Théo Ceccaldi (vi). Leider vergab der ambitionierte Leader Tyn Wybenga die Chance auf etwas, was aller Ambition Glanz verleiht: Innehalten. Makiko Hirabayashis Weavers verwob Händels Barockmusik auch ohne „Verjazzen“ des allgegenwärtigen Kontrapunkts zu feiner improvisierter Musik. Herausragend: Schlagzeuger Bjørn Heebøll.
Es gibt aktuell zwei Posaunistinnen in Europa, die mit fast allem, was sie machen, begeistern. Eine davon ist Nabou Claerhout. Für ihr toll aufgelegtes Quartett konnte sie auf den gleich zweimal auf dem Festival zu sehenden Gitarristen Reinier Baas bauen. Aufmerksam, mannschaftsdienlich, hochmusikalisch brachte der Niederländer sein warm klingendes halbakustisches Instrument ein. Kurz darauf, im Daniel García Diego Sextet, begeisterte er mit flamencoinspirierten, dabei genreüberfliegenden Soloeinlagen. García selbst ließ mit seinem großartigen, dabei zurückhaltenden Klavierspiel viel Raum für alle Mitspieler*innen. Ein Highlight voller Emotion: das Duett mit Sängerin Delaram Kafashzadeh.
Eine weitere Posaunistin, Shannon Barnett, war Teil des etwas raueren Projekts Kind des Saxofonisten und Lokalmatadoren Jan Klare, das genau das auf die Bühne brachte, was manchmal zu kurz kommt: schräge Kompositionen, spontane Einfälle, Humor, und ja, auch eine Prise Schmutz, ganz in der großen Tradition der europäischen Free- Jazz-Ensembles à la Breuker Kollektief. Super die Rhythm Section mit David Helm (b) und Bruna Cabral (dr). Bei allem Respekt: Nach der Hälfte von Gianluigi Trovesis Auftritt mit Old and New Dances war klar, dass nichts richtig zusammenging – und die drei Herren nicht zu wissen schienen, wohin. Keine Ahnung, was da los war – kein Festival-Höhepunkt jedenfalls, wie eigentlich gedacht.

© Stefan Streitz.
Kurios die beiden Auftritte der Pianistin Chaerin Im: Beim ersten fehlte sie zunächst wegen akuter gesundheitlicher Probleme, und ihre Band (g, e-b, dr) improvisierte frei. Dann erschien sie mitten im Set doch und leitete einen brillanten Quartettauftritt ein. Für ihren zweiten Gig wurde sie dann vom spontan eingewechselten Daniel García ersetzt, der sich brillant und dienlich in Jasper Høiby‘s Three Elements einfügte. Hut ab vor dieser Leistung! Dass Altmeister Louis Sclavis mit seinem Quintett India kompakt und souverän große Qualität liefern würde, war zu erwarten. Der englische Saxofonist Xhosa Cole begeisterte im Duo mit dem gewitzten Drummer Tim Giles. Aufregend, spontan, voller Kraft und Musikalität – ein Highlight, das an die Zeiten großer Duos von Don Cherry oder Charles Lloyd erinnerte. Coles Quartett Free Monk versuchte dann etwas angestrengt, noch monkischer als Monk zu spielen.

© Stefan Streitz.
Was Pauline Réage zwischen Anne Munkas frech-verspielten Songs samt expressiver Action-Lyrik an Jazz improvisierte, gehörte mit zum Frischesten des Festivals, dank knackigem Rhythmustrio mit einer gut aufgelegten Olga Reznichenko (p, comp), Robert Lucaciu (b) und Maximilian Breu (dr). Ein schöner Kontrast war das Konzert der Westfalenpreis-Gewinnerin Clara Haberkamp mit feinem, geradeaus gespieltem Triojazz inklusive charismatischer Basssoli von Oliver Potratz. Immer für Überraschungen gut sind die Ceccaldi-Brüder Théo (v) und Valentin (cello). Mit dem dritten Mann Yom (cl) in der Mitte spielten sie ein außergewöhnliches Set: Die Premiere von Le Rythme du Silence war ganz und gar dem Eintauchen in Klang gewidmet. Musik, die man kaum mit Worten beschreiben kann, sondern erleben muss.
Alles in allem ein hochverdichtetes gutes Programm; wenn ich dürfte, wünschte ich mir für die Zukunft noch mehr Kind, also Musik von Leuten, die nicht nur verdammt gut sind, sondern auch richtig was riskieren.

© Stefan Streitz.