Jazz in E.
Eberswalde

© Torsten Stapel
Von Thomas Melzer. Jazz in E. feierte Jubiläum auf einem Zeitstrahl. Die Festivalzählung – 30 verkündeten die vielfach in die Bühnentiefe gestaffelten Monitore – erschien dabei in einem sonderbar statischen Widerspruch zur disparaten Altersanmutung der acht Konzerte.
Gänzlich unplugged und in schmal geschnittenen Anzügen spielend, drehte Die Enttäuschung – als Band so alt wie das Festival – die Uhr musikalisch um zusätzliche 50 Jahre zurück. Rudi Mahalls launige Conférencen waren Dadaismus pur, also noch mal 50 Jahre älter. Ein „Grundlos eitel“ benanntes Stück stand für seine durchgehend uneigentliche, ironische Rede.
Im krassen Kontrast dazu zwei Abende später ein anderes Quartett, Philipp Groppers PHILM (Gropper, Stemeseder, Landfermann, Berger) – eine Generation jünger und tausend Lebensgefühle entfernt. Einen einstündigen Brocken stemmten sie auf die Bühne, ohne Pause, ohne jedes Wort, ohne Mitleid, Ton für Ton ohne doppelten Boden. Hatte man den Zugang erst einmal gefunden, kam man aus dem Sog des Tunnels gar nicht wieder heraus, fragte sich am Ende aber, ob man wirklich noch einmal jung sein wollte, wenn so die Jungen fühlen. Unbedingt alt werden sollte man aber, allein um miterleben zu können, welches Leuchten der am Schlagzeugerhimmel aufgegangene Stern von Leif Berger noch annehmen wird.
Lychee Lassi hatten 2009 in Eberswalde ihr letztes Konzert gegeben, bevor sie in SEEED und der Peter Fox Band endgültig aufgingen, sich aber 2024 auf selbstbestimmtes Musizieren zurückbesannen. Ihr Eberswalder Comeback geriet zum Triumph. Die Band in orangefarbenen Overalls und das Publikum in orangefarbenen Festivalshirts feierten, als wären die Niederlande Fußballweltmeister geworden. Gefeiert wurde am letzten Abend auch Conny Bauer, der in Person den langen Weg dieses Festivals absteckt: Bereits bei dessen allererster Auflage 1995 hatte er auf der Bühne gestanden. Seine 81 Lebensjahre und die 67 von Warnfried Altmann grundierten ein elegisches Konzert. Irgendwie wehmütig umwehten sich Posaune und Saxofon, mehr ein Woher als ein Wohin beschreibend. Im Finale knöpfte sich Altmann folgerichtig und very free Eislers DDR-Nationalhymne vor – „Auferstanden aus Ruinen“ gleichsam als ostdeutsches „Star-Spangled Banner“. Bauer applaudierte heftig.
Und weiter: Es gab Discontinued Rhythm mit Jim Black und Werner Hasler, afrikanisch-indisches Powerplay mit Trilok Gurtu und Aly Keita und das polyphone Pulsieren des Andromeda Mega Express Orchestra. Den berührendsten Moment des Festivals aber gab es bereits in seinem ersten Konzert, dem Duett der 77-jährigen Pianistin Aki Takase mit der 37-jährigen Geigerin Fabiana Striffler. Da fragte man sich, wie Striffler zugleich an die DNA von Stéphane Grappelli und Jean-Luc Ponty gelangen konnte und ob man Takase je so zart, mild, ja empathisch gehört hat. Und Aki Takase wunderte sich hörbar über sich selbst: „Ich habe mein ganzes Leben nur mit Männern zusammengespielt. Ich habe immer gedacht, es müsse so sein, es ginge gar nicht anders. Und jetzt spiele ich mit einer Frau, mit Fabiana, mit dieser jungen Generation, deren Oma ich sein könnte. Und es ist ganz wunderbar.“

© Torsten Stapel