© Stefanie Marcus

Jazzfest

Berlin

Von Angela Ballhorn. 60 Jahre Jazzfest Berlin – das ist eine lange Zeitspanne und für die künstlerische Leiterin Nadin Deventer ein Grund, Rückschau und zugleich Ausblick zu halten. „Still Digging“ war als Motto mehr als passend gewählt.

Groß feiern bedeutet große Formationen auf der Bühne: Aus Schweden kamen gleich drei größere Ensembles, von denen stellvertretend das Unfolding Orchestra von Bassist Vilhelm Bromanders genannt sei, das auch in den Community Labs mitwirkte. In Moabit wurden dem Jazzfest syrische und türkische Chöre sowie Jazzworkshop-Kindergruppen als Satelliten hinzugefügt. Vor allem das Abschlusskonzert in der Refo-Kirche, bei dem schwedische und japanische Jazzfestmusiker die Kirche zum Beben brachten, begeisterte.

Eins der Highlights des Festivals war die Weltpremiere von Joachim Kühns French Trio. Eigentlich wollte der 80-jährige Pianist kürzertreten, doch sein neues Trio mit Thibault Cellier (b) und Sylvain Darrifourq (dr) fungiert offensichtlich als Frischzellenkur. Für Kühn schloss sich ein Kreis. Vor 58 Jahren hatte er erstmals gemeinsam mit seinem Bruder Rolf beim Jazzfest Berlin gespielt und war gefeiert worden – wie auch 2024.

Pianist*innen hielten das Programm zusammen. Marilyn Crispell spielte ein berührendes Soloset und kam mit Joe Lovanos Tapestry Trio nochmals zurück. Solo konnte sie mehr Nuancen zeigen als im Trio. Kris Davis zauberte mit Terri Lyne Carrington (dr), Nick Dunston (b) und der Turntable-Künstlerin Val Jeanty irrlichternde Sounds und interessante Groove-Konstrukte auf die Bühne, Sylvie Courvoisier stellte ihr neues Quartett Poppy Seeds mit Patricia Brennan (vib), Thomas Morgan (b) und Dan Weiss (dr) vor. Vor allem die quirligen, ihren Katzen gewidmeten Stücke blieben im Ohr.

© Stefanie Marcus

Das Sun Ra Arkestra ohne den mittlerweile 100 Jahre alten Marshall Allen, der von seinem Arzt Reiseverbot bekommen hatte, verband in gewohnt schillerndem Outfit freie Spacemusik mit Bigband-Swing. Auch als Rausschmeißer fungierte eine Großformation: Der Special Big Band des japanischen E-Gitarristen Otomo Yoshihide konnte man die wilde Mischung nicht übel nehmen, die von melancholischen Erinnerungen an verstorbene Freunde über Burt Bacharachs „Say A Little Prayer“ bis hin zu japanischen Volksliedern reichte.

Die Seitenbühnen-Gigs waren absolute Highlights: Das BIDA Orchestra der Schlagzeugerin Sun-Mi Hong brannte auf der Bühne, vor allem die Saxofonistin Mette Rasmussen brachte sich, die Band und das Publikum in Ekstase. Schlagzeuger John Hollenbeck bekam zwei Abende für zwei unterschiedliche Projekte, „The Drum Major Instinct“ war eine Vertonung von Martin Luther Kings Predigt vom 3. Februar 1968, zwei Monate vor seiner Ermordung. Der Text entpuppte sich als Menetekel für die kurz darauf stattfindende US Wahl – mit der Aussage, man solle sich nicht egoistisch nach vorne drängen. Dreimal in unterschiedlicher Instrumentierung lief die Predigt durch. Der Schlagzeuger konnte auch am folgenden Abend mit seinem Programm „Letters for George“ mit himmlischen Sounds betören, als er mit Anna Webber (fl, ts) und den Sängerinnen / Elektronikerinnen Sarah Rossy und Chiquita Magic Briefe an alle möglichen Georges vertonte.

© Stefanie Marcus

 

Die Research und Community Labs ergänzten das Hauptprogramm im Berliner Festspielhaus, dem A-Trane und dem Quasimodo bestens. Auf die nächsten 60 Jahre!