Jazztage
Leipzig
Von Arne Reimer. Gleich zu Beginn der 48. Leipziger Jazztage gab es einen dieser seltenen magischen Momente, die den Atem stocken lassen: Im Duo mit ihrem Pianisten Sullivan Fortner sang Cécile McLorin Salvant „Wuthering Heights“ von Kate Bush auf sehr intime Weise, so dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Als sie Songs aus Broadway-Musicals völlig neu interpretierte, wurden ihr Stimmumfang und ihre Sprunghaftigkeit deutlich, denn teilweise sang sie in einem Song drei unterschiedliche Charaktere, unterbrach sich dabei selbst, nur um dem Publikum zu erklären, welche Herausforderung sie gerade zu meistern versuchte.
Wenn bei 33 Konzerten innerhalb von acht Tagen das Programm zu explodieren droht, muss der musikalische Abend schon mal um 17 oder 18 Uhr losgehen. So geschehen bei Poeji, einem Projekt des Münchener Schlagzeugers Simon Popp und der Sängerin Enkhjargal Erkhembayar, kurz Enji. Sie kommt aus der Mongolei und sang in einer Intensität die erdigsten Töne mit einer so warmen Stimme, dass es auf der Bühne keinerlei theatralische Gestik mehr brauchte, um beim Publikum Faszination auszulösen. Simon Popp unterstützte Enji am Schlagzeug minimalistisch, verzichtete an seinen Trommeln und Becken ebenso auf plakative Dynamik und schlug stattdessen ergänzend eine alte Zither an. Enjis Album Ulaan wurde von der NEW YORK TIMES zu einem der besten zehn Jazzalben 2023 gekürt. Live im Duo mit Popp zeigte sie all die Facetten ihrer Stimme.
Das Gegenteil im Vokalbereich verkörpert Sofia Jernberg, deren Split Tones eher einem Rhythmusinstrument ähneln. Im Duo mit der Saxofonistin Mette Rasmussen erreichten Jernbergs schrille Vokaleinlagen zusammen mit Rasmussens Horn so hohe fiepsende Töne, dass sich einige Zuhörer die schmerzenden Ohren zuhalten mussten. Harmonischer erklang die Stimme der südafrikanischen Sängerin Dumama, die dem ansonsten eher mäßig vor sich hinwabernden Bandprojekt von Harvest Time Experiment zu Ehren Pharoah Sanders‘ einige Glanzpunkte bescherte.
Mit Jazzstars und Newcomern hatte das Festival geworben, wobei der Anteil der jungen Musiker*innen und unbekannteren Namen deutlich dominierte. Sie wollte das Kuratorium fördern und sichtbar machen. Dazu zählten etwa die Bassistin Susi Lotter, die mit einem fetten Sound und gelungenen Kompositionen ihrer Gruppe überzeugte, genauso wie das Quintett des Posaunisten Moritz Renner oder das Quartett der Geigerin Myrsini Bekakou. Sie alle zeigten, wohin sich zeitgenössischer Jazz entwickeln könnte, wenn er mal nicht mit anderen Genres flirten würde.
Doch auch solchen Bands bot das Festival wie immer eine Bühne: Musik, die sich stark an elektronischen Genres, Noise oder HipHop orientierte, durchbrochen von Singer/Songwritern wie Marek Johnson alias David Helm, der sehr farblos fad blieb, wohingegen Wendy Eisenberg mit Gitarre, Charme und Humor das Publikum für sich gewinnen konnte. Ohne dass es im Programmheft thematisiert worden wäre, waren die Improvisatorinnen in der sonstigen Männerdomäne Jazz deutlich in der Überzahl. Auch das zeichnete dieses Festival aus.