© Miki Anagrius

Josefine Lindstrand

Poesie in Zeit und Raum

Diese Stimme ist schon etwas Besonderes: Zart, fast schon zerbrechlich wirkt sie, aber gleichzeitig so persistent und kraftvoll, dass sie sich selbst in einem Indie-Rock-Setting durchzusetzen versteht, sich einfügt und trotzdem klar erkennbar ist, so wie sie das auch im Jazz kann. Oder im Pop. Oder dazwischen. Kein Wunder, dass Josefine Lindstrand zu den aufregendsten zeitgenössischen Sängerinnen Skandinaviens gezählt und von Django Bates oder Uri Caine explizit angefordert wird. Jetzt veröffentlicht sie ihr fünftes Album For the Dreamers – und erweist sich als erstaunlich vielschichtig.

Von Thomas Kölsch

© Miki Anagrius

Im Gegensatz zum Vorgänger Mirages by the Lake, das melodisch wie aus einem Guss erschien, kommt For the Dreamers mit verschiedenen Facetten daher. „Ich würde sagen, dass ich etwas spielerischer an die Aufnahmen herangegangen bin“, bestätigt Lindstrand. „Ich habe mehr ausprobiert und mich auf meine verschiedenen Wurzeln besonnen. Ich habe schon immer zwischen den Stühlen gesessen, und jetzt habe ich angefangen, mein eigenes musikalisches Universum zu entwerfen, in dem ich all meine Einflüsse kombinieren kann.“ Ein Traumreich, gewissermaßen. „Ja“, sagt die 43-Jährige lachend, „auch ich bin ein Träumer, und als Kind war ich es noch viel mehr. Ich habe es geliebt, mir Dinge auszudenken und meiner Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen. Und immer wieder haben mir Menschen gesagt, dass ich mit diesen Phantastereien aufhören und mich der Realität stellen solle. Dabei ist es gerade momentan, in diesen schwierigen Zeiten, umso wichtiger, dass es noch Menschen gibt, die zu träumen wagen und sich ein besseres Leben vorstellen.“

Dieser utopische Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Beim vorletzten Titel „Utopia“ liegt dies auf der Hand, bei „Isagel“ und „Nobia“ dagegen nur dann, wenn man besonders literaturaffin ist: Isagel und Nobia sind Figuren aus Harry Martinsons Vers-Epos Aniara, für das der Autor 1974 den Nobelpreis erhielt. „Es geht um ein Raumschiff, das ähnlich wie Noahs Arche auf einer Reise ohne Ziel ist“, führt Lindstrand aus. „Ein fantastischer Text. Isagel ist die Pilotin, ein explosiver Charakter und eine Frau, die jeden Moment auskostet. Ihr habe ich Nobia gegenübergestellt, die der Inbegriff der Freundlichkeit ist und sich um jeden kümmert. Aus irgendeinem Grund haben mich diese beiden Figuren angesprochen, als ich zunächst die Texte und später dann die Musik dazu geschrieben habe.“ Das erklärt immerhin, warum das Stück über die Letztgenannte ganz ohne Worte, aber mit einem warmen, fast schon umarmenden Sound daherkommt und warum das anfänglich dezent schwebende „Isagel“ zunehmend an Kraft gewinnt und sich am Ende in Indie-Rock-Klangwelten mit prägnanten Sci-Fi-Vibes entlädt, die vor allem für Lindstrands Band ein Geschenk sind. Jonas Östholm (p), Pär Ola Landin (b) und Fredrik Myhr (dr) sowie Gunnar Halle (tp) und Thomas Backman (sax) können hier ganz entspannt Klangflächen übereinanderschichten, während sich Lindstrand auf ein paar Vokalpassagen beschränkt und ihre Stimme zurückstellt.

Ohnehin ist es eine von Lindstrands Gaben, dass sie sich nie in den Vordergrund drängt, aber immer dann über ihrer Band schwebt, wenn die Musik es erfordert. Diese Art der maßvollen Präsenz führt sie – wie so vieles – auf ihre Kindheit zurück. „Als ich mit dem Singen anfing, hatte ich oft Angst, zu laut zu sein“, sagt sie. „Eines meiner ersten Vorbilder war Whitney Houston, ich wollte unbedingt klingen wie sie – aber ich habe schnell festgestellt, dass ich das nicht konnte. Also habe ich mich zurückgehalten, war stets vorsichtig und habe viel an meiner Dynamik gearbeitet. Irgendwann habe ich dann gelernt, dass es nicht nur auf die Lautstärke ankommt – und dass die ganz von selbst kommt, wenn man die richtige Technik hat. Inzwischen weiß ich, wie viel Druck ich aufbauen kann und muss, und vor allem live liebe ich es, wenn ich mich mal richtig austoben kann.“

Lindstrands Technik ist atemberaubend. Auf „Flame and Shadow“, einer modernen Up-Beat-Jazz-Nummer, singt sie so mühelos im Gegenrhythmus zu ihrer Band, als wäre das die leichteste Aufgabe der Welt. „Für mich ist es das auch“, sagt sie und lacht. Es fühlt sich so an, als wäre ich mit der Klavierlinie verbunden, so habe ich das Stück auf jeden Fall geschrieben. Ich habe allerdings auch das Glück, mit meiner Band schon seit etwa 15 Jahren zu spielen und daher genau zu wissen, wie ich meine Stimme dazwischensetzen muss.“

Das gilt auch für das Spiel von Marius Neset, den sie für „In My Craft Or Sullen Art“ eingeladen hat. „Wir kennen uns vom Studium am Konservatorium in Stockholm“, erzählt sie. „Ich erinnere mich, als er dort anfing: ein zurückhaltender, fast schon schüchterner junger Mann und doch schon damals ein Star. Später haben wir dann zusammen in der Band von Django Bates gespielt. Als ich dann die Stücke für For the Dreamers zusammenstellte, wusste ich, dass ich bei ,In My Craft Or Sullen Art‘ einen neuen, frischen Sound haben wollte – und sofort kam mir Marius in den Sinn. Ich war mir gar nicht mal sicher, ob er Zeit für mich haben würde, aber er hat sofort zugesagt und dem Stück so eine Energie gegeben, wie ich es mir besser nicht hätte wünschen können.“

Aktuelles Album:

Josefine Lindstrand: For the Dreamers (o-tone music / Edel:Kultur)