Morgenland Festival

Osnabrück

© Liudmila Jeremies

Von Ralf Döring. Jedes Konzert eine Uraufführung – das hat Michael Dreyer für sein Morgenland Festival zum Prinzip erhoben. Künstler zusammenzubringen, die vielleicht noch gar nicht wussten, wie gut sie musikalisch miteinander können, war immer die große Gabe des Festivalgründers. Deshalb vertrauen ihm die Musiker – und das Publikum sowieso.

Zum Beispiel der Pianist Vahagn Hayrapetyan aus Armenien, der syrische Virtuose an der Ney, Moslem Rahal, und Luigi Grasso, italienischer Saxofonist, der hauptberuflich Teil der NDR Bigband ist. Grasso kann in diesem Beziehungsdreieck seine Liebe zu Charlie Parker ausleben, Hayrapetyan bringt armenische Rhythmik und viel traditionellen Jazz ein, Rahal vertritt den arabischen Part, und alles fügt sich aufs Feinste. Das Ergebnis ist packend und trotzdem zugänglich, kurz: ein großes Vergnügen.

© Liudmila Jeremies

Das gilt generell für diese Ausgabe des Morgenland Festivals, die aus zwei Gründen besonders war: Das Festival feierte seine 20. Ausgabe, gleichzeitig war es das letzte, das Michael Dreyer voll verantwortete. Nächstes Jahr stellt Kinan Azmeh das Programm zusammen, selbst ein Fixstern des Festivals. Ab 2026 übernimmt dann Shabnam Parvaresh die Gesamtleitung, eine Musikerin, Künstlerin, Komponistin, Kuratorin, kurz: ein Multitalent, das zudem noch aus dem Iran stammt. Womit sich ein Kreis schließt: In der Anfangsphase prägten die musikalischen Beziehungen zum Iran das Festival maßgeblich.

Für sein letztes Programm hat Dreyer ein exquisites Line-up zusammengestellt. Ein Höhepunkt war das Konzert des armenischen Pianisten Tigran Hamasyan – übrigens Schüler von Hayrapetyan –, der den Jazz mit viel armenischer Folklore impft und dazu noch mit Beatbox anreichert. Überhaupt bildeten Pianisten von Weltrang einen Schwerpunkt: Kristjan Randalu spielte im Tora Collectiv um den griechischen Bassisten Petros Klampanis. Salman Gambarov aus Baku traf auf Bodek Janke (dr), Chris Jennings (b) und Michel Godard (serpent, tuba). Florian Weber schließlich war mit Michel Benita (b), Jeff Ballard (dr), Anna-Lena Schnabel (sax, fl) und wiederum Michel Godard gekommen, um seine Zuhörer mit auf Expeditionen zu unbekannten Musikgalaxien mitzunehmen. Weber analysierte die Frequenzspektren von Ballards Becken oder die Flageolett-Töne von Benitas Bass und unternahm damit ausführliche und ausgedehnte Klangexperimente, auf die nur ein Musiker von seinem Schlage kommen kann, der ja permanent Klangwelten jenseits unserer bekannten musikalischen Sonnensysteme sucht – und findet. Ein umwerfender Abend.

© Liudmila Jeremies

Parvaresh, die künftige Leiterin, gab mit ihrem Sheen Trio und der fabelhaften Sofia Labropoulou am Kanun eine musikalische Visitenkarte ab und positionierte sich an der aufregenden Schnittstelle von Jazz, Folklore und Avantgarde. Aber auch dem Morgenland räumte Michael Dreyer selbstverständlich seinen Platz ein, etwa mit der iranischen Oud-Virtuosin Yasamin Shahhosseini, die mit dem Sänger und Perkussionisten Mehdi Emami Einblicke in die klassische persische Musik eröffnete. Der Nachwuchs bekam schließlich mit der Reihe „Junges Morgenland“ ein eigenes Forum und bot dabei verblüffend großartige Musik – die Zukunft des Morgenland Festivals dürfte künstlerisch gesichert sein.