Maik Krahl

Jazz als Konstante

Für manche Menschen ist der Alltag eine Last. Nicht so für Maik Krahl: Der Trompeter, Schüler von Till Brönner und Ryan Carniaux und eine der großen Hoffnungen seiner Jazzgeneration, versucht im Gegenteil alles, um einen einigermaßen geregelten Tagesablauf zu haben, sofern das für jemanden in seiner Profession überhaupt möglich ist. Mit The Magic of Consistency hat er dieses Streben nun in Musik gegossen – und dabei einmal mehr gezeigt, dass freies Solieren am besten mit einer soliden Grundlage funktioniert.

Von Thomas Kölsch

Guten Kaffee trinken, mehrere Stunden üben, kalt duschen, Sport machen, forschen und Musik hören – all das sind Elemente, die Maik Krahl nur zu gerne jeden Tag abhaken können würde. Klappt nicht immer, schon gar nicht für einen Musiker, der ständig auf Achse ist, von einem Auftritt zum nächsten fährt oder von einem Ensemble zum anderen. Aber versuchen kann man es ja. Vor allem, wenn man sich nach einer gewissen Struktur sehnt. „Ich brauche einfach gewisse Anker in meinem Leben, die mich erden“, erklärt der 33-Jährige. „Für mich ist eine gewisse Beständigkeit essenziell. Das fängt schon mit meinem Instrument an: Ich kann nicht Trompete spielen, wenn ich keine Spannung halten kann – und diese Spannung ist letztlich nichts anderes als eine Konstante, die ich aber kontinuierlich pflegen muss.“ Ebenso wie die Gesundheit und den Geist. Und für die Musik? „Da auch“, so Krahl. „Und ich meine das nicht in Bezug auf neue Ideen. Mir geht es vielmehr darum, dass Konsistenz auch als Dranbleiben verstanden werden kann.“ Also als der Wunsch, ständig alles zu geben? „Mehr noch, ständig mehr als das zu geben“, erwidert Krahl. „Ich habe mich zum Beispiel daran gewöhnt, alle zwei Jahre ein neues Album herauszubringen, bisher 2018, 2020, 2022 und jetzt 2024. Natürlich will ich jede Platte besser machen als die vorhergehende, was mich dann dazu treibt, auch immer bessere Konzerte zu spielen. Und aus dem, was auf der Bühne passiert, entstehen viele meiner Ideen für die nächste Aufnahme.“

The Magic of Consistency zeigt eindrucksvoll, was Maik Krahl meint. Das Album, dass der Wahlkölner seinen Mentoren Till Brönner, Malte Burba und Ryan Carniaux gewidmet hat, erweist sich als vielschichtig, klar strukturiert und brillant arrangiert, kurzum: eindeutig Krahl. Ebenso eindeutig ist es (trotz des exaltierten „Colorado Adventure“) traditioneller als der doch recht avantgardistische Vorgänger – insbesondere, weil Krahl diesmal auf ein Harmonieinstrument verzichtet. „Es war schon immer mein Traum, mit einem Quartett aufzunehmen, bei dem der Fokus auf dem Dialog zwischen zwei Bläsern steht und auf ein Harmonieinstrument verzichtet wird“, betont er.

Als Gesprächspartner für den Dialog hat sich der Trompeter kurzerhand Seamus Blake ausgesucht, mit dem er schon bei Fraction zusammengearbeitet hatte – damals war allerdings noch Pianist Constantin Krahmer mit von der Partie. Blake, der als Saxofonist ein langjähriges Mitglied der Mingus Big Band war und unter anderem mit John Scofield, Joshua Redman und den Brecker-Brüdern gearbeitet hat, harmoniert hervorragend mit Krahls erzählendem Trompetensound, lässt sich auf den Austausch mit diesem ein und begegnet ihm auf Augenhöhe. Das zärtliche Zusammenspiel bei „Tragedy of Being in Time“ steht exemplarisch für das besondere Verhältnis zwischen Blake und Krahl, die sich nicht nur ergänzen, sondern in bestimmten Momenten beinahe zu verschmelzen scheinen – so sehr, dass sich Jazz-Kritiker wie Ralf Dombrowski an Chet Baker und Gerry Mulligan erinnert fühlen. Ein großes Lob. Und ein gerechtfertigtes.

Doch nicht nur auf dieser Ebene herrscht eine einzigartige Chemie – auch die Rhythmus-Sektion (Drummer Peter Gall und Bassist Julius Peter Nitsch) ist sowohl in sich als auch im Austausch mit den beiden Melodieträgern stimmig. Ersteres könnte man noch als selbstverständlich ansehen, letzteres hingegen nicht. „Peter und Julius kennen sich schon seit Ewigkeiten und sind perfekt aufeinander eingespielt“, erklärt Maik Krahl. „Ich selber habe sie aber erst im vergangenen Jahr kennengelernt, als sie kurzfristig bei einem Auftritt ausgeholfen haben. Ein glücklicher Zufall, denn inzwischen sind beide für mich konstante Anker, die Seamus und mich niemals einengen, uns aber gleichzeitig davor bewahren, zu sehr abzudriften.“ Davon abgesehen sind sie schlichtweg exzellente Musiker. Nitsch kann dies in einem eleganten Solo bei „Waiting for the Third Minute“ explizit zeigen, aber auch im tänzerisch swingenden „Wolf and Dog“ aus dem Hintergrund heraus, während Gall sowohl in „Colorado Adventure“ als auch im Titeltrack zu überzeugen weiß.

Und dann wären da noch die Einleitungen: „Für mich ist es unglaublich wichtig, dass alle in der Band gleichwertig beteiligt sind“, führt Krahl aus. „Deshalb gehörte es von Anfang an zum Konzept, dass jeder von uns vieren einmal die anderen ankündigt und in ein Stück einführt.“ Auch das ist eine Konstante, zumindest auf diesem Album. Und beim nächsten? Das wird sich zeigen. Noch hat Maik Krahl immerhin ein bisschen Zeit: Die nächste Aufnahme ist dem bisherigen Muster entsprechend für 2026 geplant.

Aktuelles Album:

Maik Krahl: The Magic of Consistency (Challenge Records / H’Art)