© Norbert Guthier

Nathan Ott

Nie in Stein gemeißelt

Mit Continuum legt Nathan Ott sein drittes Album als Bandleader vor. In der Entwicklung des Schlagzeugers hat gleich zweimal Dave Liebman die Rolle eines Katalysators gespielt. In der aktuellen Besetzung des Quartetts nimmt Christof Lauer dessen Platz ein.

Von Harry Schmidt

© Norbert Guthier

Nathan Ott, 1989 in Augsburg geboren, ist in einer musikalischen Familie aufgewachsen – der Vater ist Kirchenmusiker, die Mutter Sängerin –, als Jazzdrummer ist er jedoch fast schon ein Spätberufener: Sein erstes Hauptinstrument war die Violine, was ihm manche erfolgreiche Teilnahme bei „Jugend musiziert“ eingebracht hat. Die im klassischen Bereich herrschende Unfreiheit habe ihn aber zunehmend frustriert und ihm die Motivation geraubt, so Ott: „Man wird im klassischen System immer nur so weitergereicht. Da hieß es dann: Du musst zu dem Professor, du musst zu jenem Wettbewerb – es wurde alles vorgegeben. Mit der Zeit hatte ich nicht mal mehr Einfluss aufs Repertoire.“

Dennoch fand er erst mit 18 Jahren zum Schlagzeug. Entscheidender Auslöser dafür sei ein „Bilderbuchschlüsselmoment“ gewesen: ein Auftritt des US-amerikanischen Saxofonisten Dave Liebman mit einer lokalen Rhythmusgruppe beim Augsburger Jazzsommer 2007, bei dem Ott nachhaltig mit dem Jazzvirus infiziert wurde. „So etwas hatte ich noch nie gehört: Das war total abgefahren, gleichzeitig mysteriös und interessant – ich war völlig geflasht. Das Erlebnis hat mich nicht mehr losgelassen“, erinnert sich Ott, der zu jener Zeit bereits auf der Suche nach einem Schlagzeuglehrer war. Die schüchterne Anfrage nach dem Konzert führte dazu, dass Walter Bittner der erste seiner Mentoren wurde.

„Das war dann meine persönliche Rebellion, mein eigenes Ding. Da konnten meine Eltern auch nicht mitsprechen – die hatten davon keine Ahnung. Und es war eben auch eine andere Musik.“ Rund eine Dekade später war es erneut Dave Liebman, der zum Katalysator einer nächsten Entwicklungsstufe wurde: Im Rahmen des von der Jazz Federation Hamburg ins Leben gerufenen Projekts „Mixed Generations“ kam es zur Zusammenarbeit mit Liebman, Sebastian Gille (sax) und Robert Landfermann (b). „Das war gewissermaßen mein Beginn als Bandleader – und lief so gut, dass wir gemeinsam mein Debütalbum The Cloud Divers aufgenommen haben.“ Mit Shades of Red folgte 2019 ein zweiter Longplayer mit Liebman, bevor dieser mit Rücksicht auf die Gesundheit kürzertreten musste. Den Platz von Landfermann hatte zu diesem Zeitpunkt bereits der Däne Jonas Westergaard eingenommen.

Mit Christof Lauer, dem langjährigen Solosaxofonisten der NDR Bigband, konnte Ott einen „idealen Nachfolger“ für Liebman in seinem Quartett gewinnen, das seitdem in mehr als 30 Auftritten „eine neuartige Vision des Formats entwickelt“ habe. „Deshalb war es jetzt an der Zeit, dieses neue Kapitel zu dokumentieren“, erklärt der Bandleader die Entstehung des dritten Albums Continuum. Dessen Titel beziehe sich in erster Linie auf die Kontinuität der Besetzung mit zwei Saxofonen und ohne Klavier, für die das Elvin Jones Quartet von 1972 mit Liebman und Steve Grossman den Referenzpunkt darstellt. Während anfangs noch die Idee der „Battles“, eine „sehr physische Art“ zu spielen, im Vordergrund stand, habe man sich in eine „mehr kammermusikalische Richtung entwickelt, auch dahin, dass die beiden Hörner eher einen Kontrast bilden.“

Dafür stehen Stücke wie das reduzierte und entschleunigte „The Previous Life“. Wurden in der Arbeit mit Liebman „einfachere Lead-Sheets“ als „Improvisationsvehikel“ genutzt, habe der Kompositionsprozess nun mehr mit dem Credo einer Working-Band zu tun. Eine wichtige Rolle darin spielt für Ott die künstlerische Strategie der sogenannten Pentimenti („Reuestriche“), womit in der Kunstgeschichte Korrekturen und Veränderungen bezeichnet werden, die während der Entstehung an Kunstwerken vorgenommen werden. Otts Faszination für Pentimenti spiegelt sich in einer Suite aus drei Stücken als Auftakt des Albums wider, jedes die Neuinterpretation einer älteren Komposition. „Lyonel“ versteht sich als Hommage an Lyonel Feininger, „Opal“ als Rekombination früherer Arbeiten, „David Graeber“ als Widmung an den visionären Anthropologen. „Gedanken bleiben nie in Stein gemeißelt, sondern sind immer im Wandel und offen für Transformation“, meint der Wahl-Berliner dazu. In „Cosmos“ dominiert der Gedanke der Verschmelzung, während ein Netz jahrhundertealter Pilgerwege in Japan die Inspirationsquelle für „Yunomine“ darstellt. Jonas Westergaards „And They’ll Take What You’ve Got“ betont Christof Lauers expressive Seite. Aufgenommen wurde in den Ludwigsburger Bauer Studios im Direct-to-Tape-Verfahren, „um die Energie und den Flow, den wir live in den vergangenen vier Jahren entwickelt haben, so ungefiltert wie möglich festzuhalten.“ Zudem handelt es sich bei Continuum um die erste Veröffentlichung des von Ott gegründeten Labels An:Bruch, dessen Name an die „Musikblätter des Anbruch“ erinnert, in denen Anfang des 20. Jahrhunderts die Avantgarde der Neuen Musik publiziert hat. Das Profil soll über das eines konventionellen Labels hinausgehen und ist „als interdisziplinäre Plattform“ gedacht. Resonant Bodies, eine Performance für zwei Tänzerinnen und Solo-Drums, die Ott mit der Choreografin Hannah Schillinger konzipiert hat, soll im April erscheinen.

Aktuelles Album:

Nathan Ott: Continuum (An:Bruch / RecordJet)