Reflektor Marc Ribot
Elbphilharmonie, Hamburg
Von Guido Diesing. Sein persönliches Fazit lieferte Marc Ribot gleich am ersten Abend: Als er gefragt worden sei, ob er an der Elbphilharmonie für drei Tage das Programm gestalten wolle, habe er gleich gewusst, dass das eine Menge Arbeit werden würde. „War es dann auch. Ich dachte, danach bekomme ich vielleicht eine goldene Uhr und werde ins betreute Wohnen abgeschoben“, kommentierte der Gitarrist launig. Tatsächlich sei schon die Vorbereitung anstrengend gewesen, aber: „Ich bin froh, dass ich es gemacht habe. So war ich gezwungen, mir meine alten Platten mal anzuhören. Und ich fand heraus: Manche davon sind okay.“
Wie viel augenzwinkerndes Understatement in diesem Satz lag, dürfte am Ende der drei grandiosen Tage auch dem Letzten klargeworden sein. Die sechs Programme, die Ribot mit unterschiedlichen Besetzungen absolvierte, deckten eine enorme stilistische Bandbreite ab, unterstrichen seine Rolle als einer der prägenden Gitarristen der vergangenen Jahrzehnte und bewiesen eindrucksvoll, warum er so ein gefragter Sideman ist: Er kann kenntnisreich und souverän in verschiedenste Rollen schlüpfen, wahrt dabei aber immer seine musikalische Identität.
Ribot eröffnete das Festival mit zweien seiner Hauptbeschäftigungen: dem Solospiel und der Arbeit mit seinem langjährigen Trio Ceramic Dog. Der Kontrast zwischen den teils filigranen und fast sanften Momenten des Soloauftritts, der dennoch nicht ohne Widerhaken auskam (herausragend: eine eigenwillige Fassung von „Somewhere“ aus der West Side Story), und dem krachenden Rock des Trios, das auch Blues-, Psych- und Noise-Elemente einbaute, hätte größer nicht sein können – und doch zeichnete beide Auftritte dieselbe Dringlichkeit aus. Es ist Marc Ribot in jedem Moment zu hundert Prozent ernst mit dem, was er macht, und alles, was er spielt, spielt er, weil es genau so sein muss.
Ein gutes Beispiel war seine neue Gruppe Hurry Red Telephone, für die er sein Jazztrio durch James Brandon Lewis (ts) und Mary Halvorson (g) zum Quintett erweitert hat. Zwischen Spiritual Jazz, auskomponierten Passagen, freien Momenten und Coltranes „Sun Ship“ erwuchs eine enorme Energie. Den größten Jubel erntete erwartungsgemäß der Auftritt der wiedervereinten Cubanos Postizos am Samstagabend im ausverkauften Großen Saal. Nachdem anfängliche Soundprobleme ausgeräumt waren, entwickelte sich das erhoffte Fest mit schrägem Son Cubano, spürbarer Freude der Musiker, viel Raum für kantige Twang-Soli, E.J. Rodriguez (perc) als Einheizer und tanzendem Publikum in den Gängen und auf den Balkonen.
Eine spezielle Erfahrung war tags darauf die Aufführung des experimentellen modernen Vampirfilms Shadows Choose Their Horrors, dessen verstörende Bilder Ribot und Anthony Coleman (keyb) live mit düsteren und unheimlichen Klängen passend begleiteten. Einen Blick zurück warf der mittlerweile 70-Jährige mit einer extra fürs Festival zusammengestellten Formation mit Bass (Brad Jones), zwei Schlagzeugern (Ches Smith und Chad Taylor) und einer zweiten E-Gitarre, gespielt von Ava Mendoza, die zu den jüngsten Zugängen im Ribot-Kosmos gehört. Die Gruppe widmete sich Musik, die Ribot in den 90ern für seine eher kurzlebigen Bands Rootless Cosmopolitans und Shrek komponiert und danach nie wieder gespielt hat – eher sperrige Stücke, die aufs Neue das Motto des Festivals unterstrichen: keine Kompromisse, keine Gefangenen!